Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski). Henryk Sienkiewicz

Der kleine Ritter (Herr Wolodyjowski) - Henryk Sienkiewicz


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es kam.«

      »Ich danke,« antwortete Charlamp; »von Zeit zu Zeit will ich dir Bescheid tun, wenn du mir zutrinkst, denn der Schmerz greift nicht bloß ans Herz, sondern auch an die Gurgel, wie der Wolf, und wen er greift, kann er ohne Rettung erwürgen. Es war so: Ich fuhr von Tschenstochau in die Heimat, um meine alten Tage in Frieden hinzuleben und auf meinem Gute zu sitzen. Ich habe genug vom Krieg, denn ich begann als junger Bursche und habe jetzt einen grauen Schädel. Wenn ich's gar nicht ausgehalten hätte, so wäre ich noch einmal mitgezogen; aber jene Kriegszüge zum Schaden des Vaterlandes und zur Freude der Feinde, und jene Bürgerkriege haben mir die Bellona ganz und gar verleidet ... Du lieber Himmel, der Pelikan nährt seine Kinder mit dem eigenen Blute, es ist wohl wahr, aber dieses Vaterland hat gar kein Blut mehr in seiner Brust. Swiderski war ein großer Krieger ... mag ihn der Himmel richten.«

      »Mein liebes Ännchen,« unterbrach Frau Kmiziz weinend, »wenn du nicht gewesen wärest, was wäre aus uns allen geworden? Du warst mir Zuflucht und Schutz! Mein liebes, gutes Ännchen!«

      Als Charlamp dies hörte, weinte er wieder laut auf, aber Kmiziz unterbrach ihn mit der Frage:

      »Und wo seid Ihr denn Wolodyjowski begegnet?«

      »Wolodyjowski traf ich ebenfalls in Tschenstochau, wo sie beide zu rasten gedachten, denn sie hatten dort beide unterwegs Gelübde getan. Er sagte mir, er zöge mit der Verlobten aus eurer Gegend nach Krakau zur Fürstin Griseldis Wischniowiezka, ohne deren Zustimmung und Segen das Fräulein keineswegs getraut sein wollte. Das Mädchen war damals noch gesund und er fröhlich wie ein Vogel. »Siehst du,« sagte er, »so hat mir Gott für meine Arbeit meinen Lohn gegeben.« Wolodyjowski rühmte sich auch, Gott verzeih's ihm, und neckte mich, weil wir, ihr wißt's ja, um das Fräulein seinerzeit gestritten hatten; wir sollten uns sogar schlagen... Wo ist sie jetzt, die Arme?«

      Und wieder weinte Herr Charlamp laut auf, aber wieder nur kurz, denn Kmiziz unterbrach ihn wieder:

      »Sie war also gesund? Wie kam es denn so plötzlich?«

      »Ja plötzlich, ganz plötzlich. Sie wohnte bei der Frau Martin Samojska, die damals mit ihrem Manne in Tschenstochau war. Wolodyjowski steckte den ganzen Tag bei ihr, klagte ein wenig über den Aufenthalt und meinte, sie würden wohl gar erst über ein Jahr nach Krakau gelangen, da alle Menschen unterwegs sie aufhielten. Kein Wunder auch! Einen solchen Kriegshelden wie Wolodyjowski bewirtet jeder gern, und wer ihn einmal hat, der hält ihn fest. Auch mich brachte er zu dem Fräulein und drohte mir lachend mich niederzuschlagen, wenn ich mich um ihre Liebe bemühte. Aber sie sah in der Welt nichts außer ihm. Mir ist wohl manchmal traurig geworden, wenn ich daran dachte, daß der Mensch im Alter wie der Nagel an der Wand vereinsamt ist. Nun, es kann nicht anders sein! Plötzlich in der Nacht stürzt Wolodyjowski in fürchterlicher Erregung zu mir herein:«

      »Um Gottes willen, weißt du nicht einen Arzt?«

      »Was ist geschehen?«

      »Sie ist krank, sie weiß nicht, was vorgeht!«

      »Ich frage, wann sie krank geworden. Soeben, sagt er, habe man's ihm von Frau Samojska gemeldet, mitten in der Nacht. Wo einen Arzt hernehmen! In der ganzen Stadt war nur das Kloster unversehrt, überall mehr Trümmerhaufen als Menschen. Endlich fand ich einen Feldscher, und der wollte nicht einmal mitgehen. Ich mußte ihn zwingen, mit an den Ort zu kommen. Aber da war der Priester schon notwendiger als der Arzt; wir trafen einen würdigen Pauliner Mönch, der sie durch sein Gebet wieder zum Bewußtsein zurückrief, so daß sie das heilige Abendmahl empfangen und von Herrn Michael herzlichen Abschied nehmen konnte. Am anderen Tag um Mittag war's schon um sie geschehen. Der Feldscher behauptete, es müsse ihr jemand etwas angetan haben, was doch nicht möglich ist, denn in Tschenstochau hat der Zauber keine Macht. Aber was nun mit Herrn Wolodyjowski vorging, was der angab ... ich will hoffen, daß ihm das nicht angerechnet werde, denn der Mensch wägt die Worte nicht, wenn ihn der Schmerz packt ... o, ich sage euch,« hier senkte Herr Charlamp die Stimme, »... er lästerte.«

      »Um Gottes willen, er lästerte!« wiederholte Kmiziz leise.

      »Er stürzte von ihrer Leiche fort in den Flur, vom Flur in den Hof und wälzte sich wie ein Betrunkener. Dort hob er die Fäuste in die Höhe und schrie mit entsetzlicher Stimme: »Ist das der Lohn für meine Wunden, meine Mühen, für mein Blut, für meine Liebe zum Vaterland?! Das eine Lamm«, sagte er, »hatte ich, und das hast du mir genommen, Herr. Einen streitbaren Mann hinstrecken,« sagte er,»der stolz über die Erde dahinschreitet, das ist«, sagt er, »würdig der Hand Gottes: aber die unschuldige Taube kann auch die Katze und der Habicht und der Geier erwürgen.««

      »Bei allen Wunden Christi,« rief Frau Kmiziz, »wiederholt das nicht, denn Ihr bringt Unglück über unser Haus!«

      Charlamp bekreuzigte sich und sprach weiter:

      »Der Arme dachte sich's redlich verdient zu haben — und das war sein Lohn ... ha! Gott weiß am besten, was er tut, wenn auch der menschliche Verstand es nicht fassen, die menschliche Gerechtigkeit es nicht ermessen kann. Und gleich nach dieser Lästerung wurde er starr und sank auf die Erde, und der Priester sprach und beschwor über ihm, damit die unreinen Geister nicht in ihn fahren, die seine Lästerung ihn zu verderben benutzen könnten.«

      »Kam er schnell zu sich?«

      »Eine Stunde lag er wie leblos da. Dann erwachte er, ging in sein Quartier und wollte niemand sehen. Während des Begräbnisses sprach ich ihn an. »>Herr Michael,« sage ich, »habe Gott im Herzen!« Er antwortete nichts. Noch drei Tage saß ich in Tschenstochau, denn es tat mir weh, ihn allein zu lassen; aber ich pochte vergebens an seine Tür, er wollte mich nicht einlassen. Ich wußte nicht, was tun, ob noch länger an der Tür harren oder abreisen ... wie kann man einen Menschen so ohne Trost zurücklassen. Da ich aber einsah, daß ich nichts erreichen würde, so beschloß ich, zu Skrzetuski zu reisen. Er ist ja sein bester Freund, er und Sagloba; vielleicht können sie ihm zu Herzen reden, besonders Herr Sagloba, denn er ist ein scharfsinniger Mann und weiß die Worte wohl zu setzen.«

      »Waret Ihr bei den Skrzetuskis?«

      »Ich war dort, aber auch hier gab Gott kein Glück; denn sie waren beide mit Herrn Sagloba in die Gegend von Kalisch zu Herrn Stanislaus, dem Hauptmann, gereist. Niemand wußte, wann sie wiederkommen würden; da dachte ich mir, mich führt auch so der Weg nach der Smudz, ich will bei Euch vorsprechen und erzählen, was geschehen ist.«

      »Das wußt' ich längst, das Ihr ein würdiger Ritter seid,« sagte Kmiziz.

      »Nicht um mich handelt es sich, sondern um Wolodyjowski,« antwortete Charlamp, »und ich muß Euch gestehen, ich bin sehr besorgt um ihn, daß er nicht irre wird.«

      »Gott möge ihn behüten!« sagte Frau Olenka.

      »Wenn er ihn davor schützt, so wird er sicher ins Kloster gehen, denn das sage ich Euch, solchen Schmerz habe ich mein Lebtag nicht gesehen.... Schade um den Krieger, schade!«

      »Warum schade, wenn Gottes Ruhm dabei wächst?« begann Frau Olenka wieder.

      Charlamp schüttelte den Schnauzbart und rieb die Stirn:

      »Seht, werte Frau, ob Gottes Ruhm wächst oder nicht wächst ... zählt nur nach, wieviel Heiden und Ketzern er in seinem Leben den Garaus gemacht hat, wodurch er sicherlich unseren Heiland und die Mutter Gottes mehr erfreut hat, als so mancher Priester mit seiner Predigt ... hm, es verlohnt wohl, darüber nachzudenken. Diene jeder Gottes Ruhme, so gut er kann. Seht, unter den Jesuiten findet sich immer eine ganze Menge, die klüger ist, als er, aber einen zweiten solchen Degen gibt es in der Republik nicht.«

      »Das ist wahr, bei Gott!« antwortete Kmiziz. »Weißt du nicht, ob er in Tschenstochau geblieben oder abgereist ist?«

      »Er war dort bis zum Augenblick meiner Abreise; was er nachher getan hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, wenn eine Krankheit über ihn kommt, oder der Irrsinn, der so häufig der Verzweiflung folgt, dann ist er allein, ganz allein, ohne Hilfe, ohne Verwandte, ohne Freunde, ohne Trost.«

      »Möge dich die heilige Jungfrau an einen Wunderort retten, teurer Freund, der du mir so


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