Psychodynamische Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter. Arne Burchartz

Psychodynamische Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter - Arne Burchartz


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– im Anschluss an Jaques Lacan – festzuhalten, dass der/die Dritte nicht unbedingt ein gleichgeschlechtlicher Elternteil ist, sondern dass es hier vielmehr um eine Funktion geht, die auch andere, auch gesellschaftliche Instanzen einnehmen können. Immer aber geht es um die Begrenzung omnipotenter Ansprüche an das Liebesobjekt und die Errichtung einer Generationengrenze.

      Merke

      Die infantile Sexualität ist ein psychisches Geschehen, das einer Beziehung erwächst. Sie lehnt sich an Körperfunktionen an. Erogene Zonen dienen der Erregungsabfuhr. Zentrale psychosexuelle Entwicklungsaufgaben strukturieren die frühe psychoanalytische Entwicklungspsychologie, in welcher der Ödipuskomplex eine zentrale Position einnimmt.

      2.4 Übertragung, Gegenübertragung, Widerstand

      In seiner analytischen Arbeit entdeckte Freud schon bald ein Phänomen, das er Übertragung nannte.

      Definition

      Übertragungen »sind Neuauflagen, Nachbildungen von den Regungen des Patienten, die während des Vordringens der Analyse erweckt und bewußt gemacht werden sollen, mit einer für die Gattung charakteristischen Ersetzung einer früheren Person durch die Person des Arztes.« (Freud 1905e (1901), S. 279).

      Übertragen werden nicht allein einzelne »Regungen«, sondern ganze Beziehungsmuster, die aus anderen Quellen als der Analyse stammen. Zunächst war dies für Freud ein ärgerliches Phänomen. Bald aber erkannte er, dass in der Übertragung sich etwas wiederholte, was dem Patienten unbewusst ist – sei es verdrängt, sei es noch nie bewusst. Was nicht erinnert werden kann, muss mit dem Analytiker in Szene gesetzt werden. So lässt sich die Übertragung als Teil einer unbewussten Kommunikation begreifen, eine Mitteilung, die in keiner anderen Form möglich ist. Die Übertragung »wird zum mächtigsten Hilfsmittel (der Psychoanalyse), wenn es gelingt, sie jedesmal zu erraten und dem Kranken zu übersetzen« (Freud 1905e (1901), S. 281).

      Damit ist ein zentraler Behandlungsparameter der psychodynamischen Psychotherapien gefunden. Es gilt, ein Setting zu etablieren, in dem durch die Analyse der Übertragung im »Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten« (Freud 1914g) die Neurose aufgelöst werden kann.

      Die Übertragung drängt dem Analytiker eine bestimmte Rolle in der inneren Szene des Patienten auf. Da kann es nicht ausbleiben, dass der Analytiker auf die Übertragung des Patienten mit eigenen Regungen teils unbewusster Natur reagiert.

      Definition

      Die Gegenübertragung ist die »Gesamtheit der unbewußten Reaktionen des Analytikers auf die Person des Analysanden und ganz besonders auf dessen Übertragung« (Laplanche und Pontalis 1973/1973, S. 164).

      Auch dieses Phänomen war Freud verdächtig. Die Gegenübertragung verstelle den Blick des Analytikers auf seinen Patienten, deshalb müsse jener die Gegenübertragung »in sich erkennen und bewältigen« (Freud 1910d, S. 108).

      Erst Ende der 1940er Jahre veränderte sich der Blickwinkel. Paula Heimann begriff die Gegenübertragung in einem Vortrag (On Countertransference 1949/1950, Heimann 1964) als eine Schöpfung des Patienten. Damit wurde sie zu einem wesentlichen Teil der Diagnostik: Anhand der Gegenübertragung lassen sich die momentanen unbewussten Regungen, Wünsche, Ängste des Patienten erkennen, gleichsam in einer Kommunikation von Unbewusst zu Unbewusst. Die Gegenübertragung sei »Ausdruck einer in höchstem Maß dynamischen Rezeption der Stimme des Patienten« (Heimann 2016 [1950], S. 113). Die Gegenübertragung kann konkordant erfolgen – dann spürt der Analytiker die gleichen Gefühle wie der Patient. Sie kann komplementär erfolgen, dann spürt der Analytiker Regungen, welche der Reaktion einer Person aus einer früheren oder gegenwärtigen Beziehung des Patienten entsprechen. Damit wurde die Gegenübertragung zu einem zentralen Erkenntnismittel in den psychodynamischen Psychotherapien.

      Ein erweitertes Verständnis von Übertragung und Gegenübertragung finden wir heute in der relationalen Psychoanalyse (image Kap. 2.12).

      Ein drittes Phänomen schien sich dem Fortschreiten des Heilungsprozesses in der Psychoanalyse in den Weg zu stellen: Der Widerstand. Jedes neurotische Symptom stellt eine kreative Lösung der Psyche des Patienten dar, womit sich dieser gegen Angst und weitergehende Dekompensationen schützt. So wird verständlich, dass er seine Krankheit nicht ohne weiteres aufgeben will. Eine psychodynamische Psychotherapie mutet dem Patienten zu, seine Abwehr zu lockern, zu modifizieren und bestimmte Abwehrformen ganz aufzugeben. Damit wird der Patient konfrontiert mit schmerzhaften Emotionen und peinlichen Einsichten, mit Gefühlen der Schutzlosigkeit. Wenn auch der Patient bewusst eine Heilung oder Besserung seines Zustandes anstrebt, so sträubt sich doch ein anderer, unbewusster und oft mächtiger Teil seines Seelenlebens dagegen. Niemand gibt gerne eine Heimat auf, auch wenn sie unbequem geworden ist, für den Übergang in ein fremdes, noch unbekanntes Land, dessen Gefahren man kaum einzuschätzen weiß.

      Insbesondere Kinder wehren sich gegen Veränderungen, vor allem dann, wenn sie sich angstvoll an eine Illusion umfänglicher Befriedigungszufuhr klammern. Sie suchen ja auch nicht von sich aus einen Psychotherapeuten auf. Ihr Leben kommt ihnen meist ganz »normal« vor, sie kennen es nicht anders, die Beschwerden und Probleme haben die anderen, die Erwachsenen. Besonders im Jugendalter sträubt sich alles in den Heranwachsenden, als »psychisch krank« definiert zu werden, das kommt einer schweren narzisstischen Kränkung gleich – weshalb die Widerstände so groß sein können, dass eine Psychotherapie trotz signifikanten Symptomdrucks erst gar nicht zustande kommt. Die Verweigerung lässt sich als eine letzte Bastion der Verteidigung der Autonomie verstehen.

      Aber auch in Eltern regen sich Widerstände gegen die Therapie ihres Kindes. Häufig hat ein Kind und seine psychische Erkrankung eine regulierende Funktion im psychischen Gefüge der Eltern oder im Familiensystem. Eine Veränderung im Kind kann deshalb ein bisher leidlich aufrechterhaltenes Gleichgewicht labilisieren. Mit Fortschreiten des Heilungsprozesses werden im Familiensystem Ängste aktiviert. Nun werden der Therapie Hindernisse in den Weg gelegt, unter Umständen droht dann auch ein Abbruch.

      Nicht zuletzt muss berücksichtigt werden, dass sich auch im Therapeuten Widerstände regen können, etwa dann, wenn in der Therapie Themen auftauchen, die für den Therapeuten angstbesetzt sind. Es ist Aufgabe jedes Therapeuten, diese Eigenanteile sorgfältig zu reflektieren und mithilfe einer Supervision zu bearbeiten.

      Widerstände können vielfältige Formen annehmen. Zu erkennen sind sie, wenn äußere Vereinbarungen unterlaufen werden, wenn die Therapie stagniert oder wenn wichtige Themen vermieden werden.

      So gesehen ist auch der Widerstand ein ärgerliches Phänomen. Gleichwohl steht er im Dienste des Schutzes der Beteiligten. Wie bei Übertragung und Gegenübertragung ist der Widerstand eine Sprache des Unbewussten und deshalb ein wertvoller Vorgang, wie in einem Brennpunkt zeigen sich darin die entscheidenden Konfliktherde. Die Bearbeitung des Widerstandes und die Entschlüsselung seiner Bedeutung ergibt besonders evidente Einsichten in das unbewusste Geschehen, ereignet er sich doch zwischen zwei (oder mehreren Personen) im Hier und Jetzt und lässt sich nicht ohne weiteres verleugnend beiseiteschieben.

      Damit sind einige wichtige Grundlagen seit den Anfängen der Psychoanalyse dargestellt, die für die Entwicklung der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie von Bedeutung sind. Die Psychoanalyse hat sich seither in mehrere Hauptströmungen verzweigt, die auch in Theorie und Praxis von Kinder- und Jugendlichenbehandlungen Eingang gefunden haben: Triebtheorie, Ich-Psychologie, Objektbeziehungspsychologie, Selbstpsychologie und die intersubjektive Psychoanalyse. Es würde allerdings den Rahmen dieser Darstellung sprengen, wollte man sie detailliert nachzeichnen.

      Vertiefung: Einen Überblick über die psychoanalytischen Schulen gibt: Burchartz et al. (2016); ausführlich: Mertens 2010–2012.

      Merke

      Übertragung, Gegenübertragung


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