Essen und Ernährungsbildung in der KiTa. Kariane Höhn
wichtige rechtliche Grundlagen.
23 Phylogenetisch bezieht sich auf die Entwicklung der Spezies Mensch, ontogenetisch auf die Entwicklung der einzelnen Menschen.
24 Einige der in der ersten Auflage in Anhängen ergänzten Informationen wurden in das Kapitel eingearbeitet bzw. in Form von Literaturhinweisen ergänzt. Der aktuelle Anhang dient als Exkurs in zentrale fachliche Grundlagen.
25 Vgl. dazu die Nachrangigkeit der öffentlichen Jugendhilfe vor der freien Jugendhilfe gemäß § 4 SGB VIII.
2 Physische und psychische Entwicklungsvoraussetzungen für Essen und Ernährung
Essen muss gelernt werden. Von Beginn an bringt der Mensch zwar schon zentrale Voraussetzungen für die Nahrungsaufnahme mit, als Säugling kann er aber nur begrenzt Nährstoffe und Speisen verarbeiten, weil die Organe z. T. noch nicht vollständig gereift sind. Ein Säugling oder Kleinkind (
Tab. 2.1: Bezeichnungen der unterschiedenen Lebensaltersbereiche in der frühesten und frühen Kindheit (angelehnt an die Gliederung in Schneider & Lindenberger, 2018; für die vorgeburtliche Entwicklung und bis Ende des 2. Lebensjahres s. insbesondere Elsner & Pauen, 2018)
AlterBezeichnung
Ein Verständnis dieser Voraussetzungen und deren Zusammenwirken ist eine wichtige Grundlage für die Förderung der physischen und psychischen Entwicklung sowie für Ernährungssozialisation und -bildung. Im Folgenden werden die dafür relevanten Grundlagen komprimiert dargestellt: die Entwicklung zentraler Verdauungs- und Stoffwechselorgane, der Motorik und der Sinne als physische Voraussetzungen (
Bei den Altersangaben werden die Entwicklungsphasen und -stufen berücksichtigt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Kinder in Abhängigkeit von ihren Entwicklungsbedingungen und -voraussetzungen (Kany & Schöler, 2010, Kap. 1.3 u. 1.4) in ihrer Entwicklung individuell sehr verschieden sein können (Montada et al., 2018, S. 28 ff.).
2.1 Physische Voraussetzungen für Essen und Ernährung
Ein Säugling verfügt bei Geburt zwar bereits über grundlegende Voraussetzungen für die Nahrungsaufnahme, dennoch muss er das Essen noch lernen. Um den Säugling dabei entwicklungsangemessen unterstützen zu können, sollten einige Erkenntnisse über seine Entwicklung beachtet werden.
Obwohl Essen und Ernährung lebenswichtige Entwicklungs- und Lernbereiche und Füttern und Pflege für die körperliche, kognitive und sozial-emotionale Entwicklung eines Kleinkindes notwendig sind, wurden diese Bereiche in der Entwicklungspsychologie bislang wenig thematisiert. Aus der Kenntnis über die kindliche Entwicklung lassen sich aber eine Reihe von Hinweisen und Annahmen für Essen und Ernährung ableiten.26 Die Beispiele für die Entwicklung des kindlichen Essverhaltens sind daran orientiert und durch die Autorinnen ergänzt (s. auch Pudel, 2002b).
Wenn im Folgenden bei der aufs Essen bezogenen physischen Entwicklung das Alter angegeben wird, ist zu beachten, dass diese Altersangaben in der Regel auf Erfahrung beruhen und als Orientierung zu nutzen sind: In dem betreffenden Alter haben 90–95 % der Kinder den entsprechenden Entwicklungsschritt erreicht (Rosenkötter, 2021; zur »Normalität« und den notwendig zu differenzierenden Normen, wie statistische Norm, Idealnorm, Funktionalnorm, s. Kany & Schöler, 2010, S. 86 ff.; Schöler, 2019). Da Kinder verschieden sind und sich unterschiedlich entwickeln, sind solche Altersangaben immer mit Vorsicht zu nutzen: Einerseits können sie Hinweise auf den Entwicklungsstand geben, aufgrund der individuell sehr unterschiedlichen Entwicklungen sollten sie aber andererseits nicht vorschnell zur Diagnose einer Fehl- oder verzögerten Entwicklung führen (Manz, 2011, S. 63 ff.). Für alle im Folgenden beschriebenen Entwicklungen gilt daher immer, dass den Kindern ihre Zeit gegeben werden sollte, d. h. die interindividuelle Entwicklung verläuft in einer annähernd vergleichbaren Abfolge, aber unterschiedlich schnell (Montada et al., 2018).
2.1.1 Pränatale Entwicklung
Ernährung und Stoffwechsel der Mutter in der Schwangerschaft sind zum einen für die Versorgung der Föten bedeutsam, zum anderen beeinflussen sie zugleich deren Organ- und Stoffwechselentwicklung. Auch für den sich schon während der Schwangerschaft entwickelnden Geschmackssinn ist die mütterliche Ernährung wichtig. Die ersten Geschmackserfahrungen macht ein Fötus, wenn er das Fruchtwasser der Mutter schmeckt und u. a. die Süße kennenlernt. Dies stimuliert die Entwicklung der Geschmacksrezeptoren (zur Unterscheidung von Geschmack und Aroma
Alle Sinne werden in der Embryonalphase angelegt und reifen unterschiedlich schnell und lang. Im letzten Schwangerschaftsdrittel sucht der Fetus z. B. Berührungsreize und vermag zu schmecken und zu hören. Zum Zeitpunkt der Geburt ist der Tastsinn am weitesten entwickelt, der Geruchs- und Geschmackssinn recht weit, das Gehör mäßig und der Gesichtssinn erst rudimentär entwickelt. (Manz & Manz, 2005, S. 88)
So werden in Abhängigkeit von der Ernährung der Mutter die Grundlagen der Geschmacksakzeptanzen des Kindes gelegt – die »In-utero-Programmierung« (Ellrott, 2009a, 2009b). Mit 32 Wochen kann der Fötus darauf reagieren, wenn sich der Geschmack des Fruchtwassers verändert: Bei süßem Fruchtwasser schluckt er häufiger, als wenn Bitterstoffe im Fruchtwasser sind (Dr. Rainer Wild-Stiftung DRWS, 2008a; Krist et al., 2018; Manz & Manz, 2005;
Werden im Folgenden Geschmack und Geruch nicht einzeln genannt, sind mit Geschmack immer alle beteiligten Sinne gemäß der kulinarischen Definition gemeint