Der hölzerner Engel. Gisela Garnschröder

Der hölzerner Engel - Gisela Garnschröder


Скачать книгу
eine Gegenfrage:

      »Ist die Familie Gressmer verreist?«

      »Ja!« Frau Sieman nickte eifrig. »Seit einer Woche. In der Schweiz zum Skilaufen. Aber Susanne, die Tochter ist daheim. Wegen der Schule. Ein so intelligentes Mädchen und immer freundlich! Müsste eigentlich bald zurück sein. Ist etwas nicht in Ordnung?«

      Tann lächelte. »Danke, für die Auskunft. Es ist nichts weiter. Wir kommen dann ein anderes Mal wieder.«

      Die beiden Beamten gingen eilig davon. Frau Siemer schaute ihnen nach und beobachtete, wie sie in einen dunklen Wagen stiegen. Zu gern hätte sie gewusst, was die Polizei bei den Gressmers zu suchen hat.

      »Schrecklich, diese sensationslüsternen Tratschtanten!«, sagte Josef Tann zu seinem Kollegen, als sie im Wagen saßen.

      Alfons Weiß grinste breit: »Hat manchmal was für sich. Jetzt weißt du wenigstens, dass die Leute in der Schweiz in Urlaub sind.«

      Weiß fuhr langsam in Richtung Kreisstadt.

      »Mein Gott, du findest auch immer etwas Positives! Trotzdem müssen wir erst einmal herausfinden, wo in der Schweiz sich die Gressmers aufhalten. Wird ein ganz schöner Schock sein, wenn sie erfahren, dass ihre Tochter sich umgebracht hat. Sag mal, wo fährst du überhaupt hin?«

      Tann stellte überrascht fest, dass sie sich auf dem Nordring befanden und in Richtung Herzebrocker Straße den kleinen Vorort verließen.

      »Wohin schon? Zum Kreishaus natürlich. Hast du vergessen, dass der Landrat zur großen Dienstbesprechung geladen hat?«

      Gernot und Heidelinde Gressmer waren bester Stimmung. Sie hatten sich in der Hotelbar mit Freunden zum Après-Ski getroffen. Als eine Durchsage kam, achteten sie nicht darauf.

      »Seid mal still! War das nicht euer Name?« Simone Bauer, eine zierliche Brünette mit Grübchen in den Wangen, horchte gespannt auf.

      »Ach, hier kennt uns doch niemand!«, lachte Gernot Gressmer und nahm einen ordentlichen Schluck aus seinem Bierglas.

      Da ertönte wieder die Stimme aus dem Lautsprecher.

      »Herr oder Frau Gressmer bitte dringend zur Rezeption!«

      »Aber … das ist doch …? Was soll denn das?«, empörte sich Gressmer.

      Seine Frau wurde unruhig: »Es wird hoffentlich nichts passiert sein?!«

      »Quatsch! Dann hätte Susi längst angerufen.«

      Verärgert ging Gernot Gressmer davon. Als er nach fünf Minuten nicht zurück war, folgte Heidelinde ihm. Sie fand ihn in einem Sessel an der Rezeption. Leichenblass saß er da, sein Gesicht war eingefallen.

      »Um Himmels willen, Gernot! Was ist?«

      »Susanne, sie ist … sie hat … Die Polizei hat angerufen«, er suchte nach Worten und eine schreckliche Angst kroch in Heidelinde Gressmer hoch. Sie kauerte sich neben ihren Mann und erfuhr nach und nach, was sich ereignet hatte. Sie nahm ihn mit aufs Zimmer, packte die Koffer und regelte alles, damit sie den ersten Zug erreichten. Ihr Mann war völlig apathisch.

      Am darauf folgenden Nachmittag erreichten sie ihren Wohnort. Heidelinde Gressmer setzte sich sofort mit der Polizei in Verbindung. Irgendwie hatte sie geglaubt, alles wäre ein Irrtum. Als sie den Hörer auflegte, brach sie zusammen.

      Als Kommissar Tann erneut das Haus der Gressmers aufsuchte, waren die Eheleute gerade zurückgekommen. Gernot Gressmer hatte sich inzwischen gefasst und öffnete. Er bat den Polizisten, im Wohnzimmer Platz zu nehmen.

      »Meiner Frau geht es nicht gut. Der Arzt war da«, erklärte er knapp und nahm ebenfalls Platz, stand aber dann gleich wieder auf und rannte unruhig im Zimmer hin und her.

      Tann beobachtete ihn nachdenklich und sagte bedächtig:

      »Es muss jemand Ihre Tochter identifizieren. Ihre Sachen könnten Sie dann auch abholen. Ich würde Sie mitnehmen.«

      Gressmer blieb vor dem Kommissar stehen.

      »Wann?«

      »Wenn Sie Zeit haben sofort.«

      Ohne ein weiteres Wort ging Gressmer davon, kam nach einer Minute mit seiner Jacke zurück.

      »Ich bin so weit.« Mehr brachte er nicht heraus.

      Als sie die Rechtsmedizin verließen, war Gernot Gressmer kalkweiß im Gesicht. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Kommissar Tann fuhr mit ihm zurück zur Kreispolizeibehörde.

      »Der Obduktionsbericht liegt noch nicht vor. Aber die Sachen Ihrer Tochter kann ich Ihnen schon aushändigen«, sagte Tann, als sie im Büro angekommen waren und Gressmer ihm gegenüber Platz genommen hatte.

      Der Kommissar nahm eine Plastiktüte, die auf einem Hocker neben dem Schreibtisch gelegen hatte, und verteilte den Inhalt vor sich auf dem Schreibtisch. Ein paar silberne Ohrstecker, einen silbernen Ring mit einer Perle, eine Halskette mit einem schlichten Kreuz, ebenfalls Silber, ein braunes Lederportemonnaie mit einem Bargeldbetrag von 56,90 Euro, einen Personalausweis und eine Bankkarte der Volksbank Gütersloh ausgestellt auf den Namen Susanne Gressmer. Er hielt seinem Gegenüber ein Schriftstück hin, auf dem alle Gegenstände der Toten aufgeführt waren.

      »Bitte unterschreiben Sie, dass Sie die Sachen erhalten haben. Das Fahrrad Ihrer Tochter können Sie in den nächsten Tagen unten im Hof abholen. Der Beamte dort wird es Ihnen gegen diese Durchschrift aushändigen«, erläuterte Tann.

      Gressmer unterschrieb, ohne zu zögern. Er war noch immer blass.

      Josef Tann bemerkte es und versuchte, seine Frage möglichst vorsichtig zu formulieren.

      »Herr Gressmer, haben Sie eine Vorstellung oder besser gesagt eine Ahnung warum Ihre Tochter …?«

      »Nein! Ich habe keine Ahnung!«, unterbrach ihn Gressmer. »Seit gestern Abend grüble ich darüber nach. Ich kann es mir nicht erklären.«

      Er stützte den Kopf in die Hände. Der Anblick der Leiche ging ihm nicht aus dem Sinn. Gut, dass seine Frau nicht dabei war!

      »Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesprochen? Sie werden doch sicher mit Ihr telefoniert haben.«

      Der Kommissar beobachtete sein Gegenüber aufmerksam. Er war sehr blass, machte aber sonst einen relativ stabilen Eindruck. Er ließ sich Zeit mit seiner Antwort.

      »Meine Frau hat zuletzt mit ihr gesprochen. Gestern Morgen, nein, vorgestern Morgen. Susi war gut drauf, sie hatte eine Zwei in Latein. Sie war eine ausgezeichnete Schülerin. Die Schule war sicher nicht der Grund.«

      »Hatte Ihre Tochter einen Freund?«

      Gressmer schüttelte den Kopf. »Nein, nicht dass ich wüsste. Zumindest nichts Festes. Hin und wieder war sie mal mit einem Jungen aus. Meistens war sie mit Ihrer Clique zusammen.«

      »Eine Clique? Wer gehörte dazu? Wissen Sie die Namen?«, fragte Tann.

      »Nicht alle, da müssen Sie meine Frau fragen. Die Veronika Brauer war dabei. Ein nettes Mädchen, es war häufig bei uns.«

      Gressmer wischte sich den Schweiß von der Stirn. Josef Tann merkte, wie schwer es ihm fiel, seine Fragen zu beantworten.

      »Herr Gressmer, ich glaube es ist besser, ich bringe Sie jetzt nach Hause. Sobald die Leiche Ihrer Tochter freigegeben ist - ich denke morgen werden die Untersuchungen abgeschlossen sein - melde ich mich bei Ihnen. Ach, da fällt mir noch etwas ein. Könnte ich mir das Zimmer Ihrer Tochter einmal ansehen?« Gressmer nickte abwesend. Der Kommissar packte die Habseligkeiten der Toten wieder in die Tüte und überreichte sie ihm. Gressmer nahm den Beutel und fasste hinein.

      »Der Haustürschlüssel? Susannes Schlüsselbund, ein kleines rotes Täschchen mit Reißverschluss ist nicht dabei.«

      Überrascht schaute der Kommissar ihn an.

      »Einen Schlüssel haben wir nicht gefunden. Unsere Beamten haben alles abgesucht.« Josef Tann war leicht verärgert, dass ihm


Скачать книгу