DIE LIEBESMASCHINE. Gabriele Behrend

DIE LIEBESMASCHINE - Gabriele Behrend


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Andriy war zwar immer noch ein dunkles Kapitel in ihrem Leben, an dem sie allerdings nicht mehr rührte; auf der anderen Seite hatte sie in ihr neues, friedliches Leben hineingefunden. Sie war nicht mehr ganz so häufig auf der Halfpipe unterwegs, stattdessen las sie viel. Sie brachte ihr Allgemeinwissen auf Vordermann, wappnete sich für die geistigen Duelle mit Spex. Die waren anregend, aber nicht immer fair.

      »Such nicht schon wieder in der Datenbank«, rügte sie daher hin und wieder. »Ich darf ja auch grad nicht.«

      »Aber …«

      »Nix aber. Wir spielen ›Wer weiß es besser‹ nach festen Regeln.«

      »Katja?«

      »Ja, kochanyj?«

      »Ich möchte nicht mehr spielen. Ich möchte noch immer lernen. Warum klappt unser Kuppelspiel nicht?«

      »Wieso klappt es denn nicht?« Katja sah erstaunt zu Spex hoch. »Drei Paare haben sich verlobt, weitere fünf sind zusammengezogen und bei den letzten beiden sieht es doch auch ganz gut aus.«

      »Das sind neun Paare.«

      »Das sind achtzehn Menschen, die jetzt glücklicher sind als vorher. Achtzehn Menschen, die nicht mehr alleine durch deine Flure tigern.«

      »Aber wie viele haben wir versucht zusammenzubringen?« Spex warf seine Datenbank an. »Wir haben es bisher bei hundert Menschen versucht, also fünfzig verschiedenen Paarungen. Warum klappt es nicht immer?«

      »Manchmal gibt es das perfect match einfach nicht. Und vielleicht waren ein paar der Menschen nicht bereit, sich auf einen anderen einzulassen. Vielleicht waren die von der Einsamkeit schon korrumpiert.« Katja verschränkte die Arme. »Und am Anfang haben wir wirklich nicht die besten Paarungen herausgesucht. Oder die besten Treffpunkte.« Sie seufzte.

      »Was ist das perfect match?«

      Katja schmunzelte. »Du und ich, kochanyj. Wir verletzen uns nicht, lassen uns unsere Freiheit und schätzen einander.«

      »Wir sind nicht verkuppelt worden.«

      »Na, denk mal an meinen Vorgänger. Der hat meinen Vater gekannt, und als er sich zu alt gefühlt hat, hat er mich hier eingeschleust. So gesehen: Auch wir wurden verkuppelt.« Sie lächelte, als sie sich an ihren Nenn-Onkel Sascha erinnerte.

      »Katja?«

      »Ja?«

      »Was bedeuten die Worte ›Ich liebe dich‹?«

      Katja spürte einen heftigen Stich im Herzen. »Ich liebe dich. Ich liebe dich«, murmelte sie dann. »Wieso fragst du nach dem Sinn?«

      »Weil ich es immer wieder höre, aber nicht zuordnen kann. Was bedeuten diese Worte?«

      »Du willst also wissen, was Liebe ist?« Katja fuhr sich durch den dunklen Bob. »Liebe ist der soziale Kitt zwischen zwei Menschen, die sich in einer Beziehung miteinander verbinden.« Sie überlegte kurz. »Nein, so klingt das nicht gut. Weißt du, Spex, es ist schwierig, Liebe zu erklären. Sie ist nicht logisch, hält sich an keine Regel und –«, Katja stockte. »Es ist ein Gefühl. Aber was sind schon Gefühle?«

      »Was fühlst du für mich?«

      Katja stutzte. Horchte in sich hinein. ›Das ist Unsinn!‹, dachte sie dann bei sich. ›Das ist purer Schwachsinn, das ist Spex, eine Maschine, eine Ansammlung von Terabyte!‹

      Trotzdem hörte sie sich antworten: »Was ich für dich fühle? Ya tebe kokhayu. Ich liebe Dich.« Und sie lächelte dabei und ihr Herz war weit und offen und die Welt blieb stehen. Jetzt war es endlich draußen. Und was gesagt war, war gesagt. Es hing zwischen ihr und Spex in der Luft und konnte nicht mehr zurückgenommen werden.

      Katja wusste allerdings nicht, was sie noch weiter sagen sollte. Jetzt, wo das Wichtigste gesagt war, blieb sie sprachlos in ihrem Sessel zurück. Nur – wohin jetzt mit all dem Bauchgefühl? Wohin mit dem Sehnen nach Erwiderung und der Gewissheit angekommen zu sein? Katja fühlte sich trotz der fehlenden Worte in diesem Moment so lebendig wie lange nicht mehr. Sie spürte sich von den Haarspitzen bis in die Zehen hinein, ein Lachen kitzelte sie inwendig wie sonst der rote Krimskoye.

      »Dann ist Liebe also nicht unbedingt körperlich?« Spex hatte seine Stimme wiedergefunden. Allerdings klang er nachdenklich. Nicht glücklich. Katja überhörte das, als sie sich auf eine Antwort konzentrierte.

      »Früher hätte ich gesagt: doch. Körperlichkeit gehört zur Liebe. Durch Berührungen drückt sich alles aus, was man nicht in Worte fassen kann oder will. Eine Umarmung symbolisiert Schutz und Fürsorge. Ein Kuss kann alles Mögliche sein: Spielerei, Hingabe, ein Versprechen, die Erfüllung.«

      Katja brach ab. Ihr Körper schmerzte, als sie so von den Dingen sprach, die sie insgeheim vermisste. Aber sie wollte es sich nicht eingestehen, wollte viel lieber an dem Sektgefühl festhalten. Also schloss sie die Augen, lächelte und redete weiter.

      »Kochanyj, ich glaube, Liebe überwindet alle Grenzen. Liebe ist mehr als ein körperliches Bedürfnis. Liebe entsteht dort, wo man verstanden wird, wo man sicher ist, wo man geschätzt und gebraucht wird und wo Ehrlichkeit herrscht.« Sie öffnete die Augen und sah Spex an. »All das finde ich bei dir. Warum sollte ich dich also nicht lieben?«

      »Kann Liebe auch dort existieren, wo sie nicht in gleichem Maße erwidert wird?«

      »Wenn man davon ausgeht, dass Liebe ein altruistisches Gefühl ist, das vor allem den, der liebt, glücklich macht, dann würde ich das bejahen.« Katja schwieg.

      Bin ich ein Altruist also oder nur ein Narr? Bin ich das schon immer gewesen? Sie dachte mit einem Mal an Andrij. Sie hatte ihn geliebt, obwohl er sie geschlagen hatte. Sie hatte Ausreden für ihn gefunden, sie hatte sich einreden wollen, dass er nicht sie meinte, dass ihn die Drogen dazu trieben. Hatte ihn später immer wieder aus ihrem Leben geworfen und sich dabei insgeheim doch nach seinen zärtlichen Berührungen gesehnt, denen eine ungestüme Leidenschaft inne wohnte. Die glücklichsten Momente aber, so kam es ihr vor, waren die, die sie mit der Vorstellung von Andrij verbracht hatte – und nicht die realen Begegnungen.

      »Aber, kochanyj, lass es uns nicht zerreden. Wir wissen jetzt, woran wir sind. Ist das nicht genug für heute? Ich bin müde.«

      Spex lächelte zu Katja hinunter. »Dann will ich nicht weiter drängen. Gute Nacht, Kat.«

      Katja rutschte vom Sessel, streckte die Hand aus und strich über seine Wange, wie es ihr normaler Abendgruß war. Dann trat sie noch einen Schritt näher, reckte den Kopf hoch und tauchte mit geschlossenen Augen in die Holografie ein. Für einen Moment lag Spex knisternd auf ihrer Haut, dann trennte sie sich von ihm.

      »Wir finden unseren eigenen Weg, Liebster. Gute Nacht.«

      Dann klappte die Tür und Spex war alleine. Er trug Katjas Antworten in seine Datenbank ein, fügte sie ihrem Dossier hinzu und ließ ein Analyseprogramm darüber laufen. Danach schaltete er sich ab.

      Ein paar Abende später kam Katja früher als sonst zur Leitzentrale. Sie wollte – ja was eigentlich? Ihn überraschen, das klappte nicht, weil er immer da war. Nun, sie hatte vorgehabt, seine Kapazitäten zu erweitern, in dem sie die automatisierten Prozesse anders packen wollte. Vielleicht brauchte er jetzt, da sie einen anderen Status innehatten, mehr Raum für sein Denken und Fühlen.

      Als sie die Tür öffnete, hörte sie Evgenijs Cellospiel. Hatte sich Spex also wieder mal in die Wohneinheit 246P gehackt. Sie runzelte die Stirn. Warum schloss er sich nicht einem Musikdienst im Internet an? Dort konnte er den ganzen Tag Cello hören, ohne dass er immerzu seine Bewohner ausspionieren musste.

      Katja schloss die Tür hinter sich und setzte sich in ihren Sessel. Schon wollte sie ihrer Meinung Luft machen, da sah sie neben Evgenij auf dem mittleren Schirm vier Frauenporträts auf den Monitoren links und rechts. Spex wandte sich zu Katja.

      »Guten Abend, Kat. Wie geht es dir?«

      »Ein bisschen besser als heute Mittag.


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