TOD EINES UNSTERBLICHEN. Herbert W. Franke

TOD EINES UNSTERBLICHEN - Herbert W. Franke


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Stimmen wurden leiser, unhörbar. Dann wieder die Stimme von vorhin: »Ändern Sie Ihren Kurs! Sie nähern sich einem Meteoritengürtel! Benutzen Sie Ihr Notaggregat! Legen Sie die Schutzanzüge an! Schnallen Sie sich fest! Achtung, Achtung – das ist eine Warnung! …«

      Durch das Sichtfenster war kein Anzeichen von Gefahr zu erkennen, doch als Arvids Blick den Monitor streifte, erschrak er: Helle Punkte querten das Bild, so rasch, dass sie als weiße Linien erschienen, nach und nach wurden es mehr, manchmal überdeckten ganze Büschel die Position des Schiffs.

      Plötzlich bäumte sich die Fähre auf, eine übermächtige Kraft presste Arvid in den Sitz, für Sekunden riss sein Denken ab – wahrscheinlich infolge der Blutleere in seinem Gehirn. Dann schleuderte das Schiff herum wie von einer riesigen Zentrifuge gepackt – eine schwindelerregende Drehung, die Arvid aber immerhin Zeit gab, den Helm aufzusetzen und sich erneut anzuschnallen. Gerade rechtzeitig, um dem nächsten Richtungswechsel gewachsen zu sein; diesmal schien er auf dem Kopf zu hängen, es riss ihn förmlich aus seinem Sitz, und dann wieder ein jähes Bremsmanöver, eine Drehung, ein Schlag, der Decken und Wände ächzen ließ. Und das Erschreckendste daran: Die Fähre reagierte auf eine Bedrohung, die es nicht gab. Der Sternenhimmel draußen ruhig und zeitlos, der Planet in sanftem Glanz – keine Rede von Meteoriten oder anderen dahinfliegenden Teilen.

      Noch immer das wandernde grüne Licht des Frequenzsuchers. Dann die schon bekannte Stimme: »Sie fallen zu rasch! Benutzen Sie die Bremsdüsen! Das ist eine Warnung! Die Versicherung kommt nicht für selbst verschuldete Schäden auf!«

      Die Stimme wurde undeutlich, verlor sich in einem Krachen und Rieseln, dann ertönte überlaut die andere: »Sie befinden sich in militärischem Sperrgebiet! Landung streng verboten! Nichtbefolgung wird mit Zwangsarbeit nicht unter fünf Jahren bestraft!«

      Arvid hörte die Stimmen, doch den Sinn erfasste er nicht mehr. Wie ein lebloses Bündel hing er in den Gurten, durch die Bewegungsänderungen des Schiffs in wechselnde Richtungen gezogen, dann presste ihn wieder die unsichtbare Faust der Trägheit in die Polsterung, die – bis an die Grenzen der Belastbarkeit beansprucht – hart wie Stahl geworden war.

      Die Sterne draußen führten einen wilden Tanz auf, manchmal schoss der Planet wie eine sanfte Entladung über das Bild, manchmal auch der grelle Blitz der Sonne. Allmählich stellten sich die chaotischen Schwenkbewegungen auf eine Vorzugsrichtung ein: senkrecht von unten nach oben. Ein rauschendes Geräusch klang auf, eine diffuse Helle verbreitete sich über den Sichtschirm und ließ die Sterne verblassen; zuerst blau, dann heller und heller, bis ein leuchtendes Weiß die Bildfläche erfüllte. Und dann hob sich ein tiefbraun verschattetes Kreissegment höher, schob das weiße Licht beiseite und füllte den Bildschirm aus. Auf einmal waren wieder Sterne zu erkennen.

      Doch von alledem merkte Arvid nichts; bewusstlos lag er in seinem Sitz.

      James-Jeans-Plateau | Ortszeit 1700–1730

      Der Sand, durch den Wind zu Wellen geformt, breitete sich zwischen den Klippen aus wie eine Flüssigkeit. Dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass die Oberfläche ständig in Bewegung war; der Atmosphärenstrom, durch die steil aufragenden Felstürme in Tausende dahinhuschende Wirbel zerschnitten, hob die winzigen glitzernden Körnchen auf, trieb sie zu kleinen Sprüngen, hob sie empor, ließ sie wieder fallen. So war der Boden ständig unter einer diffusen Decke verborgen, ein Überzug aus Nebel, austretender Dampf knapp vor dem Sieden.

      Die Sonne stand hoch an einem ins Grüne verfärbten Himmel. Ihr Glanz reichte aus, um die Sterne zu überblenden; stattdessen hingen die Sicheln von drei orangefarbenen Monden ziemlich tief über dem Horizont – entlang einer Bogenlinie, die auch die Sonne miteinbezog.

      Das orangefarbene Licht malte die Tiefe des Kessels hell und warm aus, doch es reichte nicht, um die dunklen Kolosse der Klippen zu erhellen; die der Sonne zugewandten Flächen waren nur mit einem schwachen rötlichen Hauch überzogen, alle anderen Partien steckten tief in Schwarz. Und ebenso schwarz waren die langen Schatten, deren Zackenlinie allmählich tiefer in die Ebene hineinstach.

      Sekundenlang war dieses Bild gestört gewesen – ein dumpfes Sausen, der hohle Knall des Aufpralls – eine Staubwolke, die den Ort des Geschehens verbarg. Allmählich senkte sie sich, enthüllte das gestrandete Schiff, das einen kleinen Krater gebildet hatte und überdies tief in die weichen Massen eingedrungen war. Es lag schief, zwei der Landebeine waren gebrochen, über die Bodenfläche lief ein breiter Riss. Der Wind fing sich in der frisch ausgehobenen Grube, trug glitzernde Körnchen heran, streute sie über den fremden, metallischen Körper. Der Abhang geriet in Bewegung, Sand rieselte herab, grub den Rumpf tiefer ein.

      Da und dort trauten sich verschreckte Tiere wieder an die Oberfläche – reptilhafte Köpfe erhoben sich über den Boden, spitze Zungen vibrierten. Zwei Geschöpfe mit vielen ineinander verkeilten Panzersegmenten wateten auf einem Dutzend platter Füße zum Kraterrand, senkten ihr Stirnauge dem unbekannten Gebilde dort unten entgegen. Dann, wie auf ein Kommando, wandten sie sich ab, liefen, hin und wieder haltend und um sich äugend, durch den Kessel, auf die nächste Klippe zu.

      An einigen Plätzen begann der Sand zu rieseln, kleine zusammengefaltete Schirme schoben sich empor, entfalteten sich zu Blättern, die sich der Sonne entgegen wanden. Durch kleine zitternde Bewegungen schüttelten sie die Sandkörnchen ab.

      Die Sonne lag nun schon tief, knapp über dem schroffen Rand der Felsgebilde. Die Monde hatten ihre Positionen gewechselt, zwei lagen enger beisammen, einer hatte sich merklich entfernt und dabei seine Sichel zu einem vollen Kreis ergänzt. Die Farbe des Himmels war nun ein tiefes Azur, um die Sonne herum verbreiteten sich orangefarbene, gelbe und grüne Tinten.

      Das Raumschiff, ein Fremdkörper in dieser Landschaft, war nun schon halb von Sand bedeckt und ragte nur noch wenig über den Boden hinaus. Der Aufbau seines Kanzelraums, die Peilantenne und der Gravitationsfühler warfen einen lang gezogenen, bizarren Schatten. Nichts rührte sich, nur ein automatischer Sender strahlte in kurzen Abständen ein sich stetig wiederholendes Signal aus, elektrische Wellen, die sich rundum an den Klippen brachen und unsichtbare Echos warfen.

      James-Jeans-Plateau | Ortszeit: 2310–2320

      Dieselbe Gegend, doch ein anderes Bild: Nacht. Der Kessel nur matt beleuchtet, ein silbernes Regen darüber. Vom Raumschiff ragte nur noch ein Teil der Kanzel aus dem Sand heraus, im Glas spiegelten sich Ausschnitte des Himmels.

      Die Klippen noch dunkler als am Tag – ein tiefschwarzer, strukturloser Wall, Bollwerk gegen den lichtüberfluteten Himmel. Ansammlungen von Sternen, fremdartige Gruppierungen, an einer Seite ein tiefes, sternfreies Loch. Mehrere Monde, zwei davon groß, den Schauplatz beherrschend, andere – mindestens ein halbes Dutzend – klein, kaum von den helleren Sternen zu unterscheiden. Das Besondere an diesem Schauspiel ein Schwarm von gelb schimmernden Brocken, wie aus einer riesenhaften säenden Hand in einer Kreisbewegung in den Himmel gestreut. Manche nur klein, nahezu punktförmig, nur in der Gruppierung bemerkenswert; andere so groß, dass man ihre langsame Drehung beobachten konnte, das wechselnde Spiel des Lichts auf aufgebrochenen Flächen, glänzende Reflexe, Abtauchen in Dunkelheit.

      Noch immer das wirbelnde Gas, in der Bühne des Kessels gefangen, das leise Rauschen und Klingeln der sich aneinander reibenden Sandkörner.

      In der Ferne, mitten aus dem Schwarz der Klippen heraus, ein bläulicher Schein, die blendenden Augen von Lampen, die tastenden Lichtkegel von Scheinwerfern. Ein ungewöhnliches, den Frieden störendes Geräusch, Heulen eines Antriebs, Schleifen von Kettenrädern.

      Die Scheinwerfer huschten über die Ebene, hafteten kurz an den ihrer Dunkelheit entrissenen Felswänden, bewegten sich weiter, ließen noch schwärzere Löcher zurück … Dann berührten sie die Kanzel des Raumschiffs, irrten für Sekunden ab, kehrten wieder. Nun lag das Licht auf der Kuppel, als wäre es fest damit verbunden, ließ das Borglas weiß aufblinken, das Netzwerk des Rahmens schwarze Schatten werfen …

      Das Kettenfahrzeug hielt dicht am nun nahezu vergrabenen Raumschiff. Ein Arm schwenkte aus, die Öffnung eines sich gegen das Ende zu verengenden Rohres richtete sich


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