Kubinke und der Sturm: Kriminalroman. Alfred Bekker
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Am späten Nachmittag waren wir zurück im BKA in Berlin. Kriminaldirektor Hoch, unser Chef empfing uns in seinem Büro. Es ging darum, letzte Details bei diesem Einsatz zu besprechen.
„Ich habe gerade mit dem Chef der Polizei in Wilhelmshaven gesprochen”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Man schickt Ihnen einen Kollegen als Verbindungsmann, der Sie vor Ort unterstützen soll. Es ist Kriminalhauptkommissar Jörn Pedersen.”
„Besitzt er irgendwelche besonderen Kenntnisse, was den sogenannten ‘Stecher’ angeht?”, fragte ich.
„Ja, er hat die Ermittlungen in dem letzten Fall geleitet, der mit dem Stecher in Verbindung gebracht wurde”, antwortete Kriminaldirektor Hoch. „Es ging da um die Ermordung eines windigen Finanzmaklers namens Daniel Rodenbach, der bis über beide Ohren in die Geldwäschegeschäfte einer kriminellen Vereinigung verwickelt war, die man die Hannover-Konföderation nennt. Leider waren die Ermittlungen nicht von Erfolg gekrönt.”
„Das liegt fünf Jahre zurück”, stellte ich fest. „Und der Stecher ist die ganze Zeit über nicht aktiv gewesen.”
„Sie können sich vorstellen, wie sehr Kommissar Pedersen daran gelegen ist, dass dieser Killer nicht wieder ins Auftragsgeschäft zurückkehrt, sondern dahin kommt, wo seinesgleichen am besten aufgehoben ist.”
„Allerdings ...”
Eine Ermittlung, die man nicht erfolgreich hatte zu Ende führen können, saß einem wie ein Stachel im Fleisch. Ich kannte das aus eigener Erfahrung. So etwas lässt einen lange nicht los. Mein Kollege Stefan Grüttner hatte mir in meiner Hamburger Zeit mal gesagt, dass man so etwas sportlich nehmen müsste. Und sportlich nehmen würde eben bedeuten, dass man akzeptieren müsste, dass man nicht immer gewinnen kann. Aber wenn man die Opfer im Blick hat, die bei Verbrechen dieser Art zurückgelassen werden, dann fällt es einem schwer, die Sache so zu sehen.
„Bei der Wilhelmshavener Polizeidienststelle ist außerdem Thorben Jansen Ihr Ansprechpartner. Er ist zurzeit Hauptkommissar bei der Mordkommission und war zuvor in der Abteilung für Organisiertes Verbrechen.”
„Bedeutet das, dass Hauptkommissar Jansen ebenfalls in die Ermittlungen im letzten Stecher-Fall eingebunden war?”
„Exakt. Und dieser Daniel Rodenbach besaß ein Ferienhaus in Wilhelmshaven. Ganz in der Nähe wurde er auch umgebracht.”
„Wissen Sie Näheres über diese Organisation, zu der Rodenbach Verbindung hatte?”
„Nur, dass sie ursprünglich von Weißrussen gegründet wurde und eine Art Verteidigungsbündnis kleinerer Banden gegen die aufkommenden Organisationen der asiatischen und arabischen Drogenmafia war. Aber mit der Zeit wurde sie selbst eine mächtige Krake des organisierten Verbrechens. Und soweit bekannt ist, hat die Organisation inzwischen auch ihren reinen Russen-Charakter längst verloren.” Kriminaldirektor Hoch seufzte. „Seit gut zwei Jahrzehnten mischen die recht kräftig mit in der Szene. Und es scheint, als ob Leute wie der Stecher dafür sorgen, dass hin und wieder mal ein Hindernis aus dem Weg geräumt oder ein vermeintlicher Verräter bestraft werden muss.”
„Ich verstehe”, murmelte ich.
„Dorothea hat Ihre Flüge gebucht und auch sonst alles vorbereitet”, sagte Kriminaldirektor Hoch. „Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Und erstatten Sie mir sobald Sie können Bericht.”
„Ja”, sagten Rudi und ich fast wie aus einem Mund.
Wenig später übergab Dorothea Schneidermann, die Sekretärin unseres Chefs, uns alle nötigen Unterlagen und Tickets.
„Ich habe Sie beide, Wildenbacher und Förnheim zusammen in einer kleinen Pension untergebracht. Sie haben einen direkten Blick auf den Jadebusen. Wenn Sie ein regelmäßiger Kinogänger sind, werden Sie einiges wiedererkennen”, sagte sie lachend.
„Hauptsache, es führt auch eine Straße dahin”, lächelte ich.
„Keine Sorge”, gab Dorothea zurück. „Einsam ist diese Lage nicht - sie sieht nur so aus.”
Wilhelmshaven in Niedersachsen ist ab und an eine Kulisse für die Filmindustrie gewesen. Auch Fernsehserien sind dort gedreht worden. Wahrscheinlich gab es in der Gegend kaum einen Winkel, der nicht schon irgendwann einmal als Kulisse gedient hatte.
„Sie sind zu beneiden”, meinte Dorothea, nachdem wir alles eingesteckt hatten.
„Wieso?”
„Ich bin ein Fan von „Mörderische Stille“, aber bis Wilhelmshaven bin ich bislang leider nicht gekommen.”
„Ich werde Ihnen erzählen, ob es sich lohnt”, versprach ich.
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Rudi und ich flogen am nächsten Morgen vom Flughafen Tegel aus mit einer Kleinmaschine nach Wilhelmshaven. Förnheim und Wildenbacher würden erst eine Maschine am Nachmittag nehmen, da sie noch ein paar Voruntersuchungen abschließen wollten, für die sie besser in Quardenburg ausgestattet waren, als dies am Zielort der Fall sein würde.
Eine Beamtin der Wilhelmshavener Polizeidienststelle empfing uns am Flughafen.
„Polizeiobermeisterin Tanja Dettmer”, stellte sie sich vor. „Sie sind?”
„Kriminalinspektor Harry Kubinke. Dies ist mein Kollege Kriminalinspektor Rudi Meier”, gab ich Auskunft.
„Ich hatte eigentlich erwartet, dass ...” Sie brach ab und ihr Blick schweifte suchend umher.
„Wen suchen Sie?”, fragte ich.
„Ich dachte, Sie wären zu viert. Jedenfalls hat man mir das gesagt.”
„Dr. Förnheim und Dr. Wildenbacher werden mit einer späteren Maschine kommen. Das ist kurzfristig umdisponiert worden.”
„Oh ...”
Ich hob die Augenbrauen.
„Irgendwie habe ich den Eindruck, dass Sie ziemlich enttäuscht sind.”
Ihr Lächeln wirkte auf eine durchaus charmante Art und Weise verlegen.
„Sieht man das so deutlich? Wir sind natürlich sehr froh, dass Sie da sind und sich dieses Falles annehmen, Herr Kubinke.”
„Da bin ich ja froh!”
„Aber um ganz ehrlich zu sein: Ich hatte eigentlich gehofft, Dr. Förnheim zu treffen und deswegen sogar mit einem Kollegen getauscht, der eigentlich dazu eingeteilt war, Sie abzuholen. Irgendjemand scheint da die Information nicht weitergegeben zu haben.”
„Kann ja passieren”, meinte Rudi.
„Kennen Sie Förnheim?”, fragte ich, während wir bereits die Flughafenhalle