Standort Deutschland. Volker Meyer-Guckel

Standort Deutschland - Volker Meyer-Guckel


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mit Politik, Zivilgesellschaft und Unternehmen nach neuen Lösungen suchen, das natürliche Kapital nur in den erneuerbaren Mengen zu nutzen. Neuere ökonomische Ansätze wie z. B. die Gemeinwohlökonomie von Christian Felber oder die Doughnut Economics von Kate Raworth streben bereits danach, in den planetaren Grenzen und unter Beachtung des sozialen Ausgleichs, ökonomisches Handeln radikal zu transformieren.

      4.4 Bitte wenden!

      In vielen Industrien stehen die Unternehmen vor großen Umbrüchen. Diese selbst mitzugestalten, kann helfen, der Menschheit ihr Überleben zu sichern. Und damit auch den Unternehmen selbst. Oder man setzt auf Abwarten, auf Verzögern und Taktieren, um die bewährten Geschäftsmodelle zu retten. Dann werden andere Spieler auf das Parkett treten und die immer noch zahlreich vorhandenen Wertschöpfungsoptionen abgreifen, die angesichts der anstehenden Transformation möglich werden. In Summe zeichnet sich schon länger deutlich ab, dass ein »Business as usual« keine Option mehr ist, unter Betrachtung der vielfältigen Risiken, die dieser Pfad beinhalten würde.

      Ein Umsteuern betrifft die Art, wie wir produzieren und konsumieren, wie wir unsere Städte und ländlichen Regionen gestalten, welchen Wert wir der Natur und ihrem Schutz beimessen und nicht zuletzt, welche soziokulturellen Narrative wir dieser umfänglichen Transformation zuordnen. Positive Visionen, die auf bereits heute sichtbaren Geschichten des Gelingens beruhen, sind wichtig, um den Menschen die Angst zu nehmen und Freude zur Veränderung zu vermitteln (vgl. u. a. Welzer 2020). Innovationen sind in vielen Branchen erforderlich, dies betrifft insbesondere eine technisch hochentwickelte Ökonomie wie die in Deutschland. Hier sind Staat wie Wirtschaft gleichermaßen in der Pflicht, entsprechende Basisinnovationen zu stimulieren. Innovation bedingt aber immer auch Exnovation, sprich sich von Gewohnheiten und etablierten Prozessen, Produkten und Systemen zu trennen, um Raum für das Neue zu schaffen. Dieser Gedanke führt in vielen Kernbereichen der europäischen Volkswirtschaften zu einer Wende in der strukturellen Art des Wirtschaftens.

      4.4.1 Energiewende

      Die Energiewende ist die prominenteste unter den industriellen Wandlungs- bzw. Wendeprozessen. In Deutschland immerhin schon in den 1990er Jahren gestartet mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, sind mittlerweile deutliche Fortschritte zu verbuchen. Laut Bundesregierung betrug der Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung 2019 bereits 42 Prozent, bei der Wärmeversorgung hingegen erst knapp 14 Prozent.

      Weltweit gilt es, gültige Mechanismen zu etablieren, die die Wirtschaftlichkeit der Gewinnung und Umwandlung fossiler Energieträger reduzieren und die Investitionssicherheit für alternative Technologien schaffen (z. B. durch einen globalen CO2-Preis). Allerdings gibt es manifeste geopolitische Interessen vieler Länder, diesen Prozess zu verhindern, um ihre derzeitige Stellung zu festigen. Der forcierte Umstieg auf von fossilen auf erneuerbare Energien bleibt der zentrale Hebel, um die CO2-Emissionen zu reduzieren und den Klimawandel abzuschwächen. Verschiedene Maßnahmen können dies unterstützen. Eine dezentrale Erzeugung kann z. B. helfen, um den Verbrauchern mehr Wissen zu vermitteln und global mehr Einfluss im Markt zu übertragen und somit auch erfahrbar zu machen, selbst einen Beitrag leisten zu können.

      Bezogen auf Deutschland sind die zentralen Stichpunkte der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien (z. B. durch gebäudeintegrierte Photovoltaik und Einleitung einer echten ›Wärmewende‹), die Steigerung der Energieeffizienz (z. B. Gebäudesanierung insbesondere im Altbestand und Ausbau des Internets der Energie), der Ausbau der Stromnetze (z. B. Steuerung dezentraler Verteilnetze), Innovationen bei der Energiespeicherung (z. B. Umwandlung von Strom zu grünem Wasserstoff) und Anreize zur Substituierung fossiler Energieträger bei energieintensiven Industrien (z. B. Chemie oder Stahl). Auch die Förderung der Elektromobilität für Privathaushalte, Kommunen und Kleingewerbe sind ein wichtiges Element der Energiewende und tangiert damit bereits die Schnittstelle zur Mobilitätswende.

      4.4.2 Mobilitätswende

      Auch im Mobilitätssektor steht ein tiefgreifender Umbruch bevor. Einerseits wird die Digitalisierung zu neuen Geschäftsmodellen, neuen Mobilitätsmustern und neuen Anbieterstrukturen führen. Andererseits werden die Anforderungen in Richtung einer klimaneutralen und ressourcenschonenden Mobilitätsweise tiefgreifende systemische Veränderungen bedingen. Die einzelnen Punkte sind vernetzt und können nicht singulär betrachtet werden.

      Die volkswirtschaftliche Relevanz der Automobilindustrie in Deutschland ist außergewöhnlich, umso dringlicher aber auch die aktive Steuerung und Gestaltung des anstehenden Wandels. Ein energetisches Thema steht dabei in der öffentlichen Debatte noch über allen: der Wechsel vom Verbrenner hin zur batterie- oder wasserstoffbasierten Elektromobilität. Für die deutsche Industrie ist dies neben der Digitalisierung sicher die zentrale Herausforderung des kommenden Jahrzehnts angesichts der massiven Verschiebung in der Wertschöpfung und der infrastrukturellen Anforderungen (z. B. Ausbau Ladeinfrastruktur und Sektorkopplung). Blickt man auf die Mobilität als System werden schnell andere Fragen relevant.

      Insbesondere in Städten verdichten sich die Herausforderungen durch den Klimawandel, Mangel an Wohnraum und Verknappung von Ressourcen. Es bedarf einer Neugestaltung des öffentlichen Raums weg von der autozentrierten hin zur menschenzentrierten Stadt. Daher führt der Weg in Richtung fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte sowie vernetzter Mobilitätsangebote, um Raum zu schaffen und die Lebensqualität (z. B. durch saubere Luft) zu erhöhen. Städte ziehen Menschen an und stoßen Autos ab. Dieser globale Trend wird verzögert gegenüber anderen Ländern auch in Deutschland sichtbar werden, indem Autos zunehmend aus den Städten hinausgedrängt werden (z. B. durch Verkehrsbeschränkungen, Parkraumbewirtschaftung, Fahrverbote, autofreie Innenstädte).

      Auch multimodale Lösungen, um eine Reise komfortabel über mehrere Verkehrsträger hinweg zu ermöglichen, werden zunehmend, insbesondere bei jüngeren Generationen, nachgefragt. Im ländlichen Raum könnten in Ermangelung flächendeckender ÖPNV-Angebote zusehends Angebote autonomer und geteilter Mobilität entstehen. Pandemiebedingt erleben wir gerade, dass der öffentliche Nah- und Fernverkehr einer generellen Reform bedarf, um in der Breite der Bevölkerung als attraktive Option wahrgenommen zu werden. Um dies zu realisieren ist die Digitalisierung ein entscheidender Hebel (Echzeitinformationen, Planbarkeit, Abrechnungssysteme).

      Insgesamt bewegt sich die Mobilität in einem soziokulturellen Paradigmenwechsel weg vom autozentristischen hin zu einem eher polyzentristischen Weltbild mit vielfältigeren Mobilitätsmustern als wir es heute gewohnt sind. Menschen werden zunehmend erfahren, dass ein Leben ohne eigenes Auto möglich ist. Dies funktioniert aber nur, wenn attraktive Alternativen vorhanden sind.

      4.4.3 Ernährungswende

      Agrarwirtschaft, Nahrungsmittelindustrie und Verbraucher sind gleichermaßen gefragt, wenn es darum geht, den negativen Eintrag für Umwelt und Klima zu reduzieren.

      Systemisch bleibt in Europa weiterhin eine nachhaltige Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik notwendig. Gegenwärtig sehen wir immer noch eine starke Förderung der alten Systemstruktur mit dem Kern der industriellen Landwirtschaft, die wegen Palmölplantagen oder Viehzuchtfarmen Haupttreiber des weltweiten Waldverlustes ist. Die »Farm to Fork Strategy« der EU-Kommission als Teil des European Green Deals ist ein richtiger Ansatz für den Umstieg in ein faires, nachhaltiges und gesundes Ernährungssystem. Ähnlich wie im Energie- und Mobilitätssektor stehen aber viele Gewinner des derzeitigen Systems unter enormen Anpassungsdruck und werden weiterhin versuchen, die Transformation zu verzögern.

      Im Blickfeld stehen sowohl die Nahrungsmittelerzeugung als auch der Nahrungsmittelkonsum. Erzeugerseitig ist die Hinwendung zu einer nachhaltigen Landwirtschaft unumgänglich, entsprechende Anreize müssen schnell gesetzt werden. Dies beinhaltet u. a. eine organische Landwirtschaft mit alternativen Düngemitteln und nicht-chemischem Pflanzenschutz, aber auch der systemische Umstieg von Monokulturen auf Mischkulturen und der gezielte Einsatz digitaler Applikationen, um den Einsatz von Pflanzenschutz und Wasser effizienter zu gestalten. Auch neue Konzepte der urbanen Landwirtschaft (Vertical Farming, Indoor Farming), sowie regionale und lokale Nahrungsketten (u. a. verbesserter Transport und Lagerung von Lebensmitteln) helfen


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