Verrat verjährt nicht. Peter Gerdes

Verrat verjährt nicht - Peter Gerdes


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mich«, lehnte er ab. »Ich halte den Kopf lieber unten. Du weißt doch, meine Leute und ich gehören zu den Unbeliebten. Ich will auf keinen Fall mit unter die Räder kommen.«

      So unauffällig wie möglich drückte sich Erhard neben seinem Bruder an die Holzwand. Das belauschte Gespräch von vorhin fiel ihm ein. Schritt für Schritt, eins nach dem anderen.

      »Erich, du brauchst dir doch keine Sorgen zu machen!« Georg Zander schlug seinem Mannschaftskameraden wuchtig auf die Schulter. »Ihr habt doch alle den reichsdeutschen Pass, oder? Na also! Juden seid ihr auch keine, das weiß ich, weil ich dich und deine Sippschaft schon in der Kirche gesehen habe. Was soll also passieren?« Er legte Erich den Arm um die Schulter, halb vertraulich, halb Schwitzkasten: »Außerdem, solange ich auf dich aufpasse, kann dir sowieso keiner etwas anhaben. Wer Arier ist, bestimmen wir, verstanden?«

      »Ist gut, Georg, ihr seid die Besten, ich weiß Bescheid.« Erich entwand sich dem Größeren, deutete spielerisch ein paar Boxhiebe an. »Und wenn schon. Von diesem Herbst an ziehen wir über die Jahrmärkte, meine Familie und ich, mein Vater mit seiner Schießbude, meine Mutter als Wahrsagerin. Vater sagt, ich soll den Zugwagen fahren. Bin der Einzige von uns, der das kann. Außerdem muss ich die Karre immer wieder zusammenflicken.« Bedauernd breitete er die Arme aus: »Du siehst, es geht nicht. Vater ist der Chef, und was der sagt, ist Befehl. Kennst du doch, kannste nichts machen.«

      »Mensch, Erich! Was kannst du denn dabei verdienen? Pfennige! Bei uns machst du das große Geld. Und als Mechaniker können wir dich auch sehr gut gebrauchen. Der Mercedes ist zwar neu, aber was wir sonst noch so im Fuhrpark haben …« Er rollte mit den Augen.

      »Einen Mechaniker wirst du doch wohl anderswo finden«, erwiderte Erich. »Beliebter Beruf heutzutage. Hier, guck dir Erhard an, der bastelt gerne an unserem Laster herum. Hat er richtig Begabung dafür.« Sein Blick huschte zwischen seinem Bruder und Georg Zander hin und her. »Rechnen kann er übrigens auch, besser als ich. Überhaupt ist er viel flinker im Kopf, ich hab’s mehr in den Beinen. Und guck mal, wie groß er schon ist. Also, wenn du jemanden suchst für dein Geschäft, wie wär’s denn mit ihm?«

      »Mit dem?« Georg Zander betrachtete den Jungen, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Mit der kleinen Kröte hier?« Abschätzig starrte er Erhard Köhler aus eisblauen Augen an. Erhard stellte sich kerzengerade hin und starrte zurück.

      5.

      Heute

      Stahnke warf die Zeitung vor sich auf den Konferenztisch. Am anderen Tischende tat Venema das Gleiche, nur ungleich heftiger. »Hat die Spottdrossel uns wieder ausgetrickst«, schimpfte der Oberkommissar. »Tatortfotos mit allen Details! Aus nächster Nähe! Das kann nur sie gewesen sein. Der Dame ist einfach nicht zu trauen. Klimpert einen treuherzig an mit ihren blauen Augen, und dann haut sie uns hinterrücks doch in die Pfanne.«

      »Mit den Wimpern«, korrigierte Stahnke. »Man klimpert mit den Wimpern. Augen klimpern nicht.«

      Venema erstarrte. Alle Gespräche im Raum erstarben. Es war plötzlich so still, dass das Gespräch zweier Kollegen unten auf dem Hof durchs offene Fenster Wort für Wort zu verstehen war. Oberkommissar Venema presste seine Lippen aufeinander, stampfte durch den Besprechungsraum und knallte das Fenster zu. Als er seinen Platz einnahm, hatte sich sein Gesicht gerötet.

      »Moin zusammen.« Stahnke setzte sich und blickte in die Runde. »Ich begrüße alle Mitglieder der Mordkommission Jachthafen zur ersten offiziellen Dienstbesprechung. Die meisten von uns sind schon seit gestern am Ball; bringen wir uns also gegenseitig auf den aktuellen Stand. Aktenführung macht Frau Wiemken.« Er nickte der grauhaarigen Beamtin zu, die gleich rechts von ihm saß. Nach ihm war sie die älteste Person in diesem Zimmer. Dienstrang Oberkommissarin, Vorname Sibylle. Hoffentlich bietet sie jetzt nicht das Du an, dachte Stahnke. Kollegin Wiemken aber beließ es bei einem Lächeln.

      Außer ihr, Stahnke und Venema umfasste die neue Mordkommission zwei weitere Mitglieder, die junge Kommissarin Manuela Schönborn und Hauptkommissar Berthold Seifert vom Wasserschutz. Fünf Leute, das war normal. Ob die MK aufgestockt wurde, hing davon ab, wie sich die Ermittlungen entwickelten. Stahnke wusste, dass er den Vergleich mit seinem Amtsvorgänger nicht zu scheuen brauchte; der hatte keine gute Aufklärungsquote erreicht, viele Fälle waren ungeklärt in die Ablage gewandert. Wenn er hier unter Druck stand, dann nur, weil er von sich selbst mehr erwartete. Deutlich mehr.

      Mit Seifert war Stahnke schon in Leer zusammengetroffen; damals war der Glatzenträger mit dem überbreiten Schnurrbart noch bei der Autobahnpolizei. Jetzt also Wasserschutz. Ob es da beschaulicher zuging als auf der Autobahn? Sicher, aber jedes Ding hatte seine zwei Seiten. Längst nicht alle Wasserleichen waren so frisch wie die von gestern. »Hat der Tauchereinsatz noch etwas ergeben?«, fragte Stahnke.

      Seifert schüttelte den Kopf. »Leider nein. Es wurden zwar ein paar Kleinteile gefunden, die dürften aber eher im Zusammenhang mit den Bootsliegeplätzen dort stehen als mit unserem Fall. Ein Wantenspanner, ein paar größere Schrauben und Muttern, eine Bratpfanne ohne Stiel. Nichts, was zu den Wunden des Toten passt. Trotzdem haben wir natürlich alles in die Kriminaltechnik gegeben.«

      »Danke.« Stahnke legte seine Hände flach auf den Tisch. »Dann gehen wir also unsere Hauptfrage an. Identität des Toten. Wer war dieser Mann? Haben wir diesbezüglich schon etwas? Kollege Venema, was ist mit Gebiss und Fingerabdrücken?«

      »Fingerabdrücke negativ«, antwortete der Oberkommissar, dessen Wangen immer noch rötlich getönt waren. »Wir haben ihn nicht in unserer Datenbank. Zahnstatus ist noch offen; Aufnahmen sind angefertigt, aber noch nicht ausgewertet. Ich schlage vor, wir veröffentlichen als Nächstes ein Porträtfoto und bitten die Öffentlichkeit um Mithilfe.« Er hielt den Abzug einer Nahaufnahme in die Höhe.

      Seifert lachte. »Foto veröffentlichen? Nach all dem, was heute schon in der Regionalen Rundschau steht? Text und illegale Fotos von Spottdrossel Dressel? Das hat sich wohl erübrigt. Eigentlich müssten unsere Telefone schon Sturm klingeln.«

      »Das tun sie natürlich nicht, weil dieser Bericht keine Telefonnummer für sachdienliche Hinweise enthält«, fauchte Venema den Höherrangigen an. »Außerdem ist die Nahaufnahme vom Gesicht der Leiche verpixelt. So viel Anstand hatte die Redaktion gerade noch. Also werden wir das noch mal ganz ordentlich … ja, was ist denn?«

      Manuela Schönborn hatte schüchtern die Hand gehoben. Allem Anschein nach war dies die erste Sonderkommission, der sie angehörte. Entsprechend unsicher klang sie, als sie fragte: »Wir suchen den Namen des Toten? Seine Identität ist noch nicht bekannt?«

      »Natürlich suchen wir seine Identität«, polterte Venema los. »Wie sollen wir denn wohl den Täter ermitteln, wenn wir nicht einmal wissen, wie der Tote heißt?«

      »Ich weiß, wie er heißt«, sagte Manuela Schönborn. Thorsten Venema verstummte augenblicklich, nur sein Mund klappte ein paarmal auf und zu.

      »Warum sagst du das nicht gleich?«, fragte Sibylle Wiemken milde tadelnd. »Wer ist es denn?«

      »Ich wusste ja nicht … bin doch erst heute früh hierher abgestellt worden.« Sie gab sich einen Ruck. »Der Tote ist Heino Zander. Er hat mit meiner Mutter zusammen an der Uni Oldenburg studiert. Damals hat er im Studentenwohnheim am Johann-Justus-Weg gewohnt. Meine Mutter auch. Es gibt Fotos aus dieser Zeit. Ist lange her, aber ich habe ihn gleich wiedererkannt. Das ist Heino Zander.«

      »Gibt es die Fotos noch? Die müssen wir haben.« Fordernd streckte Stahnke seine Hand aus. »Können Sie Ihre Mutter fragen? Am besten jetzt gleich, telefonisch?«

      Die junge Kommissarin schlug die Augen nieder. »Die Kartons stehen bei mir auf dem Dachboden«, sagte sie leise, aber mit fester Stimme. »Der ganze Papierkram aus ihrem Nachlass. Ich schaue gerne gleich nach, sobald ich hier abkömmlich bin.«

      »Aber sofort, wenn ich bitten darf!«, schnauzte Venema. Als seine junge Kollegin nicht gleich darauf reagierte, fiel ihm auf, was er falsch gemacht hatte. Er schaute Stahnke an und stammelte: »Ich meine, natürlich nur, wenn Sie … wenn Ihnen das recht ist, Herr Erster … Herr Hauptkommissar.«

      Seifert, zurückgelehnt in


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