Wagners Antisemitismus. Dieter David Scholz

Wagners Antisemitismus - Dieter David Scholz


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und verhärteten Fronten in der aktuellen Wagner-Debatte, in der ein sachlicher, unparteiischer Standpunkt – aus welchen Interessen heraus auch immer – offenbar nicht gewünscht wird.

      Ich gebe mich keineswegs der Illusion hin, dass die Debatte um Richard Wagner mit dieser Arbeit abgeschlossen sein wird. Wenn es mir aber gelungen ist, deutlich zu machen, dass Wagners musikdramatisches Werk frei ist von jeglichem Antisemitismus, dass der Wagner’sche Antisemitismus (der hier nicht im Geringsten geleugnet noch zähneknirschend verharmlost oder bagatellisiert werden soll, wie Christian Niemeyer anmaßend in einem unsachlichen Aufsatz in den Nietzsche-Studien behauptete) sich grundlegend unterscheidet vom Rassenantisemitismus eines de Lagarde, Dühring oder gar Hitler und dass die nationalsozialistische Berufung auf Wagner auf eigentlichem Unverständnis Wagners beruht und nur als Missbrauch bezeichnet werden kann, zumal sich der nationalsozialistische Antisemitismus wesentlich aus ganz anderen Quellen speist, wie zu zeigen sein wird, dann ist der Zweck meines Buches erreicht. Vielleicht gelingt es mir, wenigstens einige der postnationalsozialistischen Wagner-Vorurteile abzubauen, um so einer Versachlichung des Themas den Boden zu bereiten. Der Sisyphusarbeit solchen Vorhabens bin ich mir selbstverständlich bewusst.

      Walter Levin, der sowohl in jüdischer Tradition als auch in früher Kenntnis der Wagner’schen Werke aufgewachsene Gründer des LaSalle-Quartetts, mit dem ich noch unlängst sehr anregende Gespräche über das Thema dieses Buches führte, hat das Problem auf den Punkt gebracht: „Im Amerikanischen sagt man: ‚Don’t bother me with the facts, my mind is made up!‘ Die Fakten interessieren bei einem Vorurteil überhaupt nicht. Das Vorurteil dient einem ganz anderen ideologischen Zweck und es braucht die Konstruktion dessen, was mit Ruhe besehen zwar falsch ist, aber es nützt dem Zweck, den man verfolgt. Und so werden diese ideologisch begründeten Vorurteile immerfort tradiert und werden unbesehen auch immer weiter übernommen vom Einen zum Andern. Die meisten Wagnerbücher, die geschrieben werden, sind ja eigentlich Abschriften zusammengesuchten Zeugs aus anderen Büchern.“

      Dieses Buch ist das Ergebnis langjähriger wissenschaftlicher Beschäftigung mit der Person und dem Werk Richard Wagners, aber auch zahlreicher Gespräche und Auseinandersetzungen über Wagners Antisemitismus und seine Folgen.

      Die Erstfassung des Buches basierte auf meiner Berliner Dissertationsschrift an der Technischen Universität Berlin 1992 und erschien ein Jahr später als selbständige Veröffentlichung, die schnell vergriffen war. Das Thema dieser Neuausgabe des Buches hat allerdings, wie die nach wie vor polarisierte, in verhärteten Fronten verharrende Wagner-Debatte zeigt, nichts an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil: Meine Grundthese, dass im Falle Wagners vor allem Missverständnisse und Vorurteile repetiert, anstatt mit zunehmendem Erkenntnisgewinn der Wagner-Forschung abgebaut werden, hat sich auch in den zurückliegenden sieben Jahren nur bestätigt. Selbstverständlich habe ich das Buch gründlich überarbeitet, aktualisiert und auf den neuesten Stand der Forschung und Literatur gebracht.

      Dank noch einmal an alle streitbaren Gesprächs- und briefliche Konversationspartner, darunter besonders herzlichen Dank an Prof. Dr. Dénes Zoltai (Budapest), Walter Levin (USA), Prof. Dr. Jacob Katz (Israel) und an zwei getreue Freunde für anregende Debatten und vielfältige Unterstützung: Kamillus Dreimüller, dem ich auch wertvolle Literaturhinweise verdanke, sowie Prof. Dr. Ingo Kowarik, ohne dessen Ermunterung diese Arbeit wohl kaum zustande gekommen wäre.

      Zu danken habe ich nach wie vor dem ehemaligen Leiter der Richard-Wagner-Gedenkstätte Bayreuth, Herrn Dr. Manfred Eger und dem Bibliothekar des Archivs, Herrn Günter Fischer. Er hat mir in ungewöhnlicher Hilfsbereitschaft alles verfügbare Material des Bayreuther Wagner-Archivs zugänglich gemacht. Nicht zuletzt danke ich Prof. Dr. Peter Wapnewski und Prof. Dr. Norbert Miller.

      Dieter David Scholz, Berlin im Februar 2000

      Wagner und das Judentum.

      Karikatur veröffentlicht 1879 in der satirischen Zeitschrift

      „Der Floh“, Wien.

      Einleitung

       „R. drückte sein Erstaunen gestern darüber aus, dass, trotzdem er so bemüht sei, die Leute immer mehr die Sachen über ihn läsen als seine eigenen; selbst von der Judenbroschüre gelte dies.“

      (Cosima Wagner, Tagebuchnotiz vom 29.3.1878)

       „Wenn es heute gelingt, dem Menschen Richard Wagner und seinem Werk mit Unbefangenheit gegenüberzutreten, so wird damit nicht Entsühnung oder gar Erlösung praktiziert, was undenkbar wäre, sondern historische Gerechtigkeit geübt.“

      (Hans Mayer)

      Richard Wagner ist noch immer ein Politikum. Obwohl die Auseinandersetzung mit ihm und seinem Werk schon mehr als hundert Jahre andauert, ist sie in Vielem so emotional und kontrovers wie eh und je. Nur über wenige Gestalten der Weltgeschichte ist so viel geschrieben worden wie über Richard Wagner. Er gehört neben Friedrich Nietzsche mit „Karl Marx, Sigmund Freud und Martin Heidegger zu denjenigen Autoren des deutschsprachigen Raumes, die die europäische Geistesgeschichte bis heute am nachhaltigsten beeinflusst haben“1 (Ulrich Müller). Was Wunder: Richard Wagner war ohne Frage der schreib-, mitteilungs- und selbsterklärungsfreudigste, essayistisch wie kunsttheoretisch produktivste, schließlich der dezidiert politischste Komponist des neunzehnten Jahrhunderts.

      Sein Œuvre ist unter allen nur erdenklichen Aspekten analysiert worden: Musikwissenschaftler, Historiker, Germanisten, Philosophiehistoriker, Altphilologen und Komparatisten haben sich mit der wissenschaftlichen Erhellung des künstlerischen und theoretischen Werks, seiner Entstehung, seiner literarhistorischen, musikhistorischen und soziologischen Bedingtheit, mit der Biographie Wagners und – bisher nur in recht einseitigen Ansätzen – mit der Wirkung Wagners befasst.

      Unmengen nichtwissenschaftlicher, meist biographischer, aber auch journalistischer Publikationen haben dazu beigetragen, dass die Wagner-Literatur ins Gigantische anwuchs. Trotzdem kann man Lore Lucas nur beipflichten, wenn sie schreibt: „Widersprüchlich, grenzenlos subjektiv und unkritisch spiegelt sich das Phänomen Richard Wagner … im Urteil seiner Zeitgenossen und der folgenden Generation. Es fehlt in wissenschaftlicher Hinsicht ein objektiver Standpunkt zum Werk und Ideengut Richard Wagners – den auch unsere Zeit noch nicht gefunden hat.“2 Wie kein anderer Künstler des neunzehnten Jahrhunderts hat Richard Wagner unter seinen Verteidigern und Verächtern kontroverse und emotionsgeladene Debatten hervorgerufen – im Grunde bis heute. Wissenschaft und öffentliche Meinung sind noch immer von divergierenden Urteilen über Wagners Stellung in der deutschen Kulturgeschichte, speziell aber in der Geschichte der Entstehung des modernen deutschen Antisemitismus geprägt. Gegenstand der kontroversen Auseinandersetzungen in der Forschung, die zuweilen wissenschaftliche Disziplin und das Bemühen um historische Objektivität vermissen lassen, sind primär nicht Musik und Drama Richard Wagners, sondern Intention, Weltanschauung und politische Haltung Richard Wagners. Dies betrifft vor allem Wagners unbestreitbaren Antisemitismus3, dem die Forschung allerdings bis heute nicht die nötige Aufmerksamkeit und Gründlichkeit umfassender Untersuchungen gewidmet hat. Entweder wurde das Thema – vor allem nach 1945 – aus Pietät Wagner gegenüber bagatellisiert, wenn nicht gar als Tabu behandelt, oder aber es wurde derart polemisch hochgespielt, dass Wagner zum Ahnherrn Hitlers und seines Antisemitismus erklärt werden konnte.

      Erst in den letzten vierzig Jahren ist der Antisemitismus als Thema wissenschaftlicher Erörterungen – vornehmlich essayistischer Arbeiten – in den Vordergrund der Wagner-Diskussion getreten. Das 100-jährige Bestehen der Bayreuther Festspiele 1976 und das Bühnenweihfestspiel „Parsifal“, 1982, hundert Jahre nach seiner Uraufführung, waren Anlass erneuter, heftiger Wagner-Debatten und zahlreicher Veröffentlichungen, vor allem zum Antisemitismus Richard Wagners.

      Der Münchner Germanist Hartmut Zelinsky im Besonderen ist durch Publikationen hervorgetreten, die Wagners Vorläuferschaft zu Adolf Hitler beweisen sollten, was die Antisemitismus-Debatte zunächst mächtig auflodern ließ. Im Gefolge seiner Bemühungen, diesen Standpunkt durch mehrfache Veröffentlichungen zu erhärten,


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