Augenzeugenbericht des Häftling Nr. 738 im KZ Buchenwald 1937–1945. Alfred Michael Andreas Bunzol

Augenzeugenbericht des Häftling Nr. 738 im KZ Buchenwald 1937–1945 - Alfred Michael Andreas Bunzol


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Ich glaube, für Adelheid war es jedes Mal der Lohn für Ihre Arbeit, wen sie unsere Freude und Begeisterung für die mitgebrachten Sachen erleben konnte. Man sah den Stolz in ihren Augen. Es waren nicht nur Sachen schlechthin, nein sie waren sehr modisch. Mutter wurde oft gefragt, wo wir die schönen Sachen her haben. Wenn sie es Adelheid sagte, war sie noch stolzer.

      Das zweite Ereignis neben Vaters Tod, was mir dieser September 1914 brachte, war meine Einschulung in die Volksschule von Bielschowitz. Wir waren, glaube ich, so 35 Schüler des Jahrgangs 1907. Für Bielschowitz eine stolze Zahl, zumal es gerade einmal 1700 Einwohner hatte. In diesen Kriegsjahren dürfte sich die Geburtenrate garantiert noch einmal sprunghaft erhöht haben. Fast jeder Heimaturlaub in Bielschowitz endete mit einer Schwangerschaft und der Geburt eines neuen Erdenbürgers. Diese Kinder wurden alle auf einen kurzen Fronturlaub gezeugt. Schnell, zwischen zwei großen, wichtigen Schlachten. Die zweite Schlacht überlebten die meisten Zeuger nicht mehr. Somit waren die meisten der Frauen zum Kriegsende Witwen und ihre Kinder logischerweise Halbwaisen. Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich zumindest die ersten Jahre nicht gern in die Schule gegangen. Mir machte lernen eben am Anfang keinen Spaß. Ich wollte lieber mit Hilde rumtollen. Außerdem mussten die Aufgaben im Haushalt erledigt werden. Aber was soll es, in die Schule gehen war Pflicht, man kam nicht drum herum. Ich will nicht sagen, dass ich ein Musterschüler war, ich war eben Durchschnitt. Mal besser, mal schlechter, so wie ich grade Lust hatte. Ich hatte auch noch das Pech oder Glück, jenachdem wie man es nennen soll, den Lehrer von Paul zu haben. Paul war ja wie schon gesagt ein sehr guter Schüler. Und das hat mir Lehrer Schrull ständig wissen lassen. Bis ich mich daran gewöhnt hatte, hat es mich sehr gestört und geärgert. Aber ich will mich nicht beschweren, dafür haben meine Mitschüler und ich natürlich auch Lehrer Schrull manchen Streich gespielt. Zugute halten muss ich Herrn Schrull, dass er seine Schüler nicht zur Kriegseuphorie erzogen hat. Dies war an deutschen Schulen nicht selbstverständlich, eher die Ausnahme. Gab es unter den Lehrern doch genügend mehr oder weniger fanatische Anhänger für Kaiser, Volk und Vaterland, aber auch genauso leuchtende Ausnahmen, die gerade aus der heutigen Sicht der Geschichte heroisch erscheinen. Wie unser Lehrer Herr Schrull. Ich denke, er versuchte sein bestes, sein Wissen an uns zu vermitteln und in Nachhinein betrachtet blieb relativ viel hängen. So vergingen die Kriegsjahre in Bielschowitz für Hilde und mich sprichwörtlich wie im Fluge. Wir gingen in die Schule. Wir versorgten die Kaninchen und Hühner. Wir unterstützten Mutter im Haushalt. Wir spielten und tollten. An der Front starben die Väter.

      Dann kam der 1. November 1918 und der 1. Weltkrieg war zu ende. Wir verstanden als Kinder nicht warum er auf einmal aufgehört hatte. Genauso wenig verstanden wir warum er vor Jahren angefangen hat. Aber wir verstanden die Auswirkung eines Krieges auf alle Menschen, auch in unserem Alter schon sehr genau. Alles atmete auf und hoffte auf Besserung. Aber gebessert hat sich wenig. Der Erste Weltkrieg forderte fast zehn Millionen Todesopfer und etwa 20 Millionen Verwundete. Allzu oft werden in diesen Zusammenhang noch die Opfer vergessen, die durch die weltweit verheerende Epidemie, der sogenannten „Spanischen Grippe“ als unmittelbare Auswirkung des Krieges noch zu beklagen waren. Ich denke vorwiegend ausgelöst durch Unterernährung, mangelnde Hygiene, mangelte medizinische Betreuung und die enormen weltweiten Truppenbewegungen. Die spanische Grippe forderte ca. 20 Millionen Todesopfer.

      Also hat die spanische Grippe noch einmal weltweit mehr Opfer gefordert, als der gesamte erste Weltkrieg selbst. Gott sei Dank nicht in Bielschowitz. Viele, auch Mutter, sagten: „Das ist Gottes Gericht!“. Vielleicht hatten sie damit sogar Recht! Im Deutschen Reich leisteten im Kriegsverlauf 13,1 Millionen Mann Militärdienst, davon starben über 2 Millionen. Und so sah die Bilanz dieses Krieges für Bielschowitz aus: Viele Männer zwischen 18 und 40, eigentlich alle, waren tot, in Gefangenschaft oder Kriegskrüppel. Es gab jede Menge Witwen und Kinder die Halbwaise waren. Den wenigen Bauern im Ort wurde im Krieg das Vieh konfisziert, vor allen die Pferde. Ein Pflug ohne Pferd ist nichts mehr wert. Keiner wusste wie er die Felder bestellen sollte. Und die Bilanz dieses Krieges für unsere Familie: Unser lieber Vater war tot, die Bäuche waren weiterhin leer. Mutter war Witwe und wir 3 Kinder Halbwaisen. Das war der Krieg. Außer Leid, Kummer und Entbehrungen hat keiner in unseren Ort einen Vorteil von diesem Krieg gehabt. Gott sei Dank, wir hatten die Kaninchen und Hühner, die uns oft das schlimmste überstehen ließen. Und wir hatten Adelheid, die uns mit Sachen versorgte. Mutter gab ihr bestes um uns durchzubringen. Sie ging in letzter Zeit immer öfter in die Grube, wo sie aushilfsweise als Putzfrau arbeitete und die Büros der Geschäftsleitung reinigte. Es brachte uns ein kleines Zubrot. Die Kohleförderung ging nur noch schleppend voran, weil ganz einfach die Arbeitskräfte fehlten. Es wurden dringend Bergleute gesucht, aber die waren im Krieg gefallen, in Gefangenschaft oder Kriegskrüppel. Neben uns wohnte die Familie Buchwald. Sie hatten 2 Söhne, Max und Franz. Max war so alt wie mein Vater und sein bester Freund gewesen. Er ist Mitte 1918 ebenfalls in Frankreich gefallen. Mutter war oft bei den Buchwalds, einfach um ihr Leid zu teilen oder um einfach zu reden. Der 2. Sohn, Franz, war in amerikanischer Gefangenschaft. Das wichtigste für die Buchwalds war aber, dass er lebte. Mutter sagte uns mal, dass der Franz von den Buchwalds in amerikanischer Gefangenschaft wäre. Aber was amerikanisch oder Amerikaner bedeutete, darauf konnten wir uns damals keinen richtigen Reim machen. Ich glaube meine Mutter wusste es auch nicht so genau. Woher auch? Großbritannien und die Vereinigten Staaten entließen ihre Gefangenen schon im Herbst 1919. Wenn man im Krieg überhaupt von Glück reden kann, so hatte es Franz bei seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft, wie er es später immer wieder betonte. Andere Kriegsgefangene kehrten erst oft nach Jahren, oder gar nicht mehr nach hause zurück. Vor allen die, die in Russland waren. Die Zahl der in Gefangenschaft geratenen Soldaten konnten nie ganz exakt beziffert werden, aber sie beläuft sich auf mindestens sieben Millionen, wahrscheinlich eher acht bis neun Millionen, bei insgesamt rund sechzig Millionen Kriegsteilnehmern weltweit, also über zehn Prozent aller Mobilisierten. Die größten „Gewahrsamsmächte“ waren das Deutsche Reich (wo 2,5 Millionen Gefangene der Entente-Staaten interniert waren, 57 Prozent von ihnen Russen), Russland mit 2,4 Millionen Gefangenen (überwiegend Soldaten der österreichisch-ungarischen Armee) und Österreich-Ungarn mit 1,9 Millionen (größtenteils Russen). In französischer und britischer Gefangenschaft befanden sich bei Kriegsende 350.000 beziehungsweise 328.000 deutsche Soldaten. Das sind Zahlen die ich im nachhinein rausgefunden habe als ich mich mit der Geschichte des 1. Weltkrieges näher befasste. Franz fing nach seiner Entlassung sofort wieder in der Grube als Bergmann an zu arbeiten. Franz war noch Junggeselle und nicht dazu verurteilt, es zu bleiben. Man merkte es, denn Mutter und er waren jetzt sehr viel zusammen. Zur Silvesterfeier 1919/​1920 offenbarten uns beide gemeinsam, dass sie dieses Jahr heiraten werden. Keine so gute Offenbarung für uns Kinder, wir waren jedenfalls nicht so begeistert. Trotz allen heirateten sie 1920, und Mutter bekam von Franz einen Sohn, den sie Alfons nannte. Bestimmt in Erinnerung an Vater. Mein Verhältnis zu Franz war anfangs nicht so besonders. Er konnte niemals Vater ersetzen. In diesem Jahr, ging glaube ich meine Kindheit von Tag zu Tag immer mehr zu ende. Das Leben in unserem Haus und in der Familie hat sich verändert. Ich kann es schlecht beschreiben aber es wurde irgendwie kälter. Obwohl Franz sich um uns bemühte. Aber wer schon mal ein Elternteil durch Tod oder Scheidung verloren hat, wird wissen wie schwer es ist, sich als neuer Partner zu integrieren. Vor allen bei den Kindern. Man wird mit einer Messlatte gemessen, die man schwer erfüllen kann. Hilde, Adelheid und Paul hatten ähnliche Gefühle. Paul hatte seine Lehre mit sehr guten Ergebnis beendet und ist im Laufe des Jahres zu Elfriede gezogen. Mutter hatte nichts dagegen. Da nun Adelheid noch seltener kam, waren nur noch Hilde, ich und Stiefbruder Alfons als Kinder im Hause. 1920 hatte Hilde ihre Schule mit sehr guten Ergebnissen beendet, bekam aber leider keine Lehrstelle. Wer wollte in so harten und unsicheren Zeiten noch Lehrlinge ausbilden, noch dazu ein Mädchen. So musste sie also noch zu hause bleiben und ich war sehr froh darüber. So konnten wir 1 Jahr lang noch viel gemeinsam unternehmen.

      Weit ab, sollte dieser Krieg einen weiteren Schicksalsschlag für uns bereithalten, unsere Familie nicht in Ruhe lassen und vor neue Probleme stellen. Die Siegermächte des Krieges beschlossen den Vertrag von Versailles von 1919. Und der hies für Schlesien nichts Gutes ahnen:

      Der Vertrag von Versailles trat am 10. 1. 1920 in Kraft und sah für Oberschlesien eine Volksabstimmung vor. In Schlesien hatte am 11. 2. 1919 die „Interalliierte Regierungs- und Plebiszitkommission“ unter dem französischen General Le Rond in Oppeln die Verwaltung des Abstimmungsgebietes übernommen, welches von französischen,


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