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größerem, anthropologisch dimensioniertem Kontext erhellt sich also, dass die 140 000 Japaner zum Opfer der Natur ihrer eigenen Gattung wurden, die fortschreitend effizienteres Kriegsgerät baut, weil sie es kann – und dann selbstverständlich regen Gebrauch davon macht. Letztlich würde sich die Krone der Schöpfung so berechnungslos wie zielstrebig in eine evolutionäre Sackgasse manövrieren – wenn nicht justament der historische Höhepunkt technologisch perfektionierter Massentötung dem US-Präsidenten eine Lektion erteilt hätte, die dieser umgehend an seine Mitmenschen weiterreicht:
„Die Vorstellung des Atompilzes, der in diesen Himmel wuchs, erinnert uns an den Kernwiderspruch der Menschheit... Technologischer Fortschritt ohne äquivalenten Fortschritt menschlicher Institutionen bedeutet unseren Untergang.“
Aus dem Munde des Vorsitzenden der Institution, die es zum technisch fortschrittlichsten Mittel „unvergleichlicher Zerstörung“ gebracht hat, ist es besonders glaubwürdig, wenn er daran erinnert, dass „die gewöhnlichen Menschen“ sich ihre massenhafte Vernichtung nicht bestellt haben. Weshalb ihre Führer sie dennoch für „die Menschen“ ihrer Feinde auf die Tagesordnung setzen, lässt er großzügig offen – Hiroshima immerhin, meint er, sollte sie zögern lassen:
„Die gewöhnlichen Leute wollen keinen Krieg mehr. Sie hätten es lieber, wenn sich die Wunder der Wissenschaft auf eine Verbesserung ihres Lebens und nicht auf seine Zerstörung richteten. Wenn die Entscheidungen, die Nationen und ihre Führer treffen, diese einfache Weisheit reflektieren, dann ist die Lektion von Hiroshima gelernt worden... Heute können die Kinder dieser Stadt in Frieden durch den Tag gehen. Das ist ein wertvolles Gut.“
Offenbar meint er wirklich, dass die Menschheit zu Dankbarkeit verpflichtet ist, weil und solange diejenigen, die es könnten, auf Atom- und sonstige Kriege verzichten und sie wenigstens in Frieden lassen. Und weil seiner Auskunft zufolge die USA nicht erst, aber gerade unter seiner Führung die menschlich so wünschenswerte Zurückhaltung beim Kriegführen als Lehre aus Hiroshima und Nagasaki an den Tag legen, preist er die Nuklearmassaker von 1945 abschließend glatt als den „Beginn unseres eigenen moralischen Erwachens“.
So gesehen, wäre es tatsächlich abwegig, sich dafür auch noch zu entschuldigen.
4. Gedenken an den Beginn des deutschen Russlandfeldzugs
Zum 75. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion wird im Rahmen einer Sitzung des Bundestages betont unfeierlich in demonstrativer parlamentarischer Routine das Gedenken als „Tagesordnungspunkt 4“ aufgerufen:
„In den frühen Morgenstunden des 22. Juni 1941, heute vor 75 Jahren, brach die Hölle los... Über 25 Millionen Menschen in der Sowjetunion, Weißrussen, Ukrainer, Russen und andere, sollten in diesem Angriffskrieg ihr Leben verlieren. Das Ausmaß des Leidens ist nicht in Worte zu fassen.“ (Steinmeier) „Ein beispielloser Vernichtungsfeldzug ..., der in der menschenverachtenden nationalsozialistischen Rassenideologie wurzelte...“ (Bundestagspräsident Norbert Lammert) „Es war der ungeheuerlichste Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungskrieg.“ (Bundestagsabgeordneter Alois Karl, CDU/CSU, alle Zitate aus: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 18/178, 22.6.16)
Mit dem pflichtschuldigen Bekenntnis zu ganz außerordentlichen Täterleistungen stellt der Bundestag zunächst einmal klar, wem hier die führende Rolle in der Erinnerungskultur zukommt – und das, „im Jahr 2 der Ukrainekrise“, mit einem klaren „Um-zu“:
„Wir sind hier, um zu erinnern, und wir sind hier, um uns im Erinnern der Verantwortung zu vergewissern, die wir Deutsche für den Frieden auf diesem Kontinent tragen. Von einem Zeitalter des Friedens sind wir heute weit entfernt, weiter, leider, als wir jemals seit dem Ende des Kalten Krieges waren... Mit der Annexion der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine hat sich erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges ein Unterzeichnerstaat der Schlussakte von Helsinki offen gegen eines der leitenden Prinzipien der europäischen Friedensordnung gestellt, die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Souveränität eines anderen Staates. Gerade weil wir unsere historische Verantwortung für die europäische Friedensordnung ernst nehmen, war es diese deutsche Bundesregierung, die auf diesen Prinzipienbruch klar und unmissverständlich reagiert hat und die unsere Partner in diese Reaktion eingebunden hat.“ (Steinmeier)
Das Bekenntnis zur Täterrolle in einem „Vernichtungsfeldzug“ ist offenkundig und ohne Verfallsdatum immer wieder produktiv für die Gegenwart. Man erobert sich damit eine raumgreifende „Verantwortung“ – für Frieden gleich auf dem ganzen Kontinent, womit Russland als heutiger Täter vor ein ideelles Tribunal gestellt und sein moralisches Recht, auf den alten Opfern herumzureiten, grundsätzlich infrage gestellt wäre.
In diesem Sinne legt sich auch die Grüne Marieluise Beck ins Zeug, die darauf deutet, dass auch russische Verantwortung für das große Gemetzel in Rechnung zu stellen ist:
„Der Angriff vom Sommer 1941 traf Stalin weitgehend unvorbereitet und kostete damit vielen sowjetischen Soldaten das Leben.“
Das ist einmal ein guter Einfall, ausgerechnet der mangelnden Kriegsbereitschaft Stalins ein Stück Täterschaft anzuhängen. Und außerdem: Darf Putin überhaupt die alle als seine Opfer reklamieren?!
„Der Überfall auf die Sowjetunion war kein Überfall allein auf Russland, sondern eben auf den Vielvölkerstaat Sowjetunion. Die Sowjetunion existiert nicht mehr. Die historische Schuld, die das Deutsche Reich auf sich geladen hat, und die Verantwortung, die uns bis heute daraus erwächst, gelten also allen Menschen der Nachfolgestaaten, denen in Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Lettland, Litauen, Moldawien, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan, in der Ukraine und Usbekistan.“ (Marieluise Beck)
Das kann man Putin nicht durchgehen lassen, mit Opfern auf Rechte zu pochen, die ihm gar nicht gehören. Zumal dank der unermesslichen Schuld der Deutschen die Sorge für die genannten Opfervölker heute in deutsche Verantwortung fällt.
© 2016 GegenStandpunkt Verlag
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