Der siebenstufige Berg. Liselotte Welskopf-Henrich

Der siebenstufige Berg - Liselotte Welskopf-Henrich


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      Liselotte Welskopf-Henrich

      Der siebenstufige Berg

      Roman

      Palisander

      Überarbeitete und ergänzte Neuausgabe

      1. Auflage März 2013

      © 2013 by Palisander Verlag, Chemnitz

      Erstmals erschienen 1972 im Mitteldeutschen Verlag, Leipzig

      Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

      Einbandgestaltung: Claudia Lieb

      Lektorat: Palisander Verlag

      Redaktion & Layout: Palisander Verlag

      1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

      ISBN 9783938305669

       www.palisander-verlag.de

       Das Blut des Adlers

       Pentalogie

      1. Band: Nacht über der Prärie

      2. Band: Licht über weißen Felsen

      3. Band: Stein mit Hörnern

      4. Band: Der siebenstufige Berg

      5. Band: Das helle Gesicht

       Rot ist das Blut des Adlers.

       Rot ist das Blut des braunen Mannes.

       Rot ist das Blut des weißen Mannes.

       Rot ist das Blut des schwarzen Mannes.

       Wir sind alle Brüder.

      Der Medizinmann von Alcatraz (1970)

      Inhaltsverzeichnis

       Cover

       Titel

       Impressum

       Ein Büffel stand im Weg

       Der Mann, der die Wahrheit spricht

       Fahrt ins Eisland

       Der heimliche Häuptling

       Die erste Stufe

       Weitere Bücher

      Chester Carrs Passmerkmale lauteten: Augen blau, Haar blond, mittelgroß, besondere Kennzeichen: keine. Er war im Staate Mississippi geboren. Seine Eltern hatten ihn mit finanziellen Opfern in einem Privatinternat erziehen lassen, um ihn von den politischen und sozialen Streitigkeiten fernzuhalten und aus ihrem einzigen Sohn einen zuverlässigen Südstaatler zu machen. Chesters Leistungen in den Schulfächern waren so mäßig wie gleichmäßig gewesen. Seine Lehrer konnten ihn weder faul noch fleißig nennen. Er galt als ein Sportsmann, dessen Leistungen kaum schwankten und dessen Einsatz daher stets zuverlässig berechnet werden konnte. Aufgrund solchen Rufes war er ungeschoren durch seine Schul- und seine Collegezeit gegangen. Er teilte stets die tonangebenden Meinungen der Bürger von Mississippi, mit deren Söhnen er aufgewachsen war. Und er war immer Glied irgendeines Teams, eingepasst wie ein Rädchen in eine präzise laufende Maschine. Nie wäre ihm ein Alleingang reizvoll erschienen. Er gehörte noch zu jener Generation, die schon in jungen Jahren nicht als ein odd ball, nicht als Außenseiter, angesehen werden wollte. Bei allen Aktionen gegen Schwarze konnte man auf Chester zählen. Er sympathisierte mit dem Ku-Klux-Klan. Da sein Vater Mitglied der Nationalgarde war und der NRA – der National Rifle Association – angehörte, hatte Sohn Chester sich von seinem zehnten Lebensjahr an unter sachverständiger Anleitung im Scharfschießen geübt. Nie hatte er einen Farbigen persönlich kennengelernt. Die Tatsache, dass seine Eltern und er von einer alten schwarzen Frau bedient wurden, rechnete er nicht dem Begriff »persönliche Beziehungen« zu. Gesetz und Ordnung, wie man sie in der middle class und der upper middle class im Staate Mississippi seit vielen Generationen verstand, hatten in Chester Carr von neuem Fleisch und Blut gewonnen.

      Aber eben dadurch waren sie auch verletzlich geworden wie alles Lebendige.

      Nach dem Abschluss des College erfuhr Chester, dass es schwierig sei, einen passenden Job für ihn zu finden. Er begegnete dieser unerwarteten Situation mit dem Erstaunen, das jeden Amerikaner hätte befallen müssen, wenn die Industrie seiner Normalfigur keinen passenden Konfektionsanzug hätte anbieten können. In einer Verlegenheitsstunde, deren psychische Verwirrung er auch später nie ganz enträtselte, nahm Chester den ersten sich bietenden Job an, vielleicht nur, um nicht aus der gewohnten Rolle des tätigen und gesicherten Staatsbürgers zu fallen. Er trat in den großen Apparat des Bureau of Indian Affairs ein, das eine Stelle anbot, wurde Glied dieses Teams von merkwürdigen Beamtenexistenzen, die Wilde erziehen sollten, und versuchte sich dem anzupassen. Es gelang ihm nur halb, das Rädchen passte nicht in diese Maschine, es lief mit Reibungsverlust. Doch lief es immerhin. Wenn Mr Carr selbstbewusst, pünktlich, korrekt seine Amtsgeschäfte erledigte, wenn er stets mit entschiedener Stimme sprach und seine Haltung keine Zweifel zuließ, so nahm kein Kollege, Vorgesetzter oder Untergebener, äußerlich etwas von dem Riss wahr, der dabei durch Chesters Nervenstruktur lief und sich unmerklich erweiterte. Es widerstrebte ihm nun einmal, sich mit Farbigen abzugeben. Der verborgene Riss verband sich mit anderen wachsenden Spannungen und schmerzte zuweilen.

      Mit Erschrecken hatte Chester im Alter von fünfundvierzig Jahren bemerkt, dass sein eigener Sohn gegen das väterliche Welt- und Lebensmodell rebellierte. Chester schämte sich, wurde erregt und sagte sich von seinem Sohn Clyde los. Er verwehrte ihm das Betreten seiner Dienstwohnung; er verbot ihm unter Androhung der Verhaftung, sich irgendwo und irgendwie auf der Reservation blicken zu lassen, auf der sein Vater amtierte. Sehr erleichtert nahm Chester Carr seine eigene Versetzung auf eine andere Reservation an, obgleich diese in einem Nordstaat lag. Wenn es schon Carrs schwer verständliches Dauerschicksal geworden war, sich mit Wilden zu befassen, so wollte er wenigstens alle seine Meinungen und Erfahrungen völlig ungestört und ohne die Vorbelastung eines sichtlichen Misserfolgs in der Familie einsetzen.

      Mit verbissener Energie machte sich Chester Carr in neuer Umgebung wieder an seinen Auftrag, die Eingeborenen zu regieren, die bedauerlicherweise nicht rechtzeitig ausgerottet worden waren. Chester Carr saß auf dem Amtsstuhl, von dem aus sich seine Vorgänger Hawley, Bighorn und Albee vergeblich bemüht hatten, die einem Superintendenten zugeteilten Aufgaben zu lösen. Carr zog sogleich Informationen ein. Hawley, noch zu sehr Seigneur der alten Schule, war vergrämt gestorben. Bighorn, scheinbar angepasster Indianer, hatte, von den Hexenkünsten seines Stammes verfolgt, Selbstmord begangen. Albee, bebrillt und von ethnologischen Zweifeln aufgeweicht, war mit allerhöchstem Missfallen abgegangen. Nun kam Chester Carr, weder Seigneur der alten Schule noch abergläubisch, noch zweifelnd, Typ des Masters aus dem Süden, fest verwurzelt in seiner Erziehung und standfest gegen Schwächegefühle.

      Er orientierte sich


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