Das Licht hinter den Sternen. Fuchstraum
dem Riesen und ging weiter. In einer Gasse hielt er an, um nach Schatten und Gebein zu suchen und damit die Leere zu füllen, doch der Schatten entglitt seinen tauben Fingern, und alles, was er finden konnte, war ein abgenagtes Hühnerbein. Traurig setzte er seinen Weg nach Hause fort.
Als er eine Weile gegangen war, kam er an eine Brücke. Da stand eine Frau und schaute nach unten ins Wasser. Sie war wunderschön und sah so glücklich aus, dass der Mann beschloss, auch sie nach ihrem Herzvogel zu fragen. Doch die Frau war so vertieft in ihr Spiegelbild im Mondscheinwasser, dass sie ihn erst bemerkte, als er sie an der Schulter berührte. Sie sah ihn nur kurz an, dann schaute sie wieder auf ihr Spiegelbild.
»Was begehrst du?«, fragte sie abwesend flüsternd.
»Sag mir, wohnt auch in dir ein Herzvogel?«
Die Frau nickte leicht. »Bitte sag mir, wie du ihn in dir hältst!«
Die Frau brauchte eine Weile, um sich erneut von ihrem Spiegelbild zu lösen. »In mir wohnt ein Paradiesvogel. Ich habe mein Inneres mit Spiegeln geschmückt und mit glänzenden Steinen.«
Und sie löste die Bänder ihres Kleides und entblößte Elfenbeinhaut und eine wohlgeformte Brust. Dann zeigte sie ihm ihr Inneres und er sah einen schillernden Vogel, der auf einem Haufen von Edelsteinen saß und sich in Spiegelscherben betrachtete. Und als der Paradiesvogel seinen Kopf abwesend hin und her drehte und sich in seiner eigenen Schönheit verlor, da sah der leere Mann, dass die beiden eins waren.
Er dankte ihr und ging weiter seines Weges. Seine Augen suchten die Schatten und Gassen ab, aber er konnte keine Spiegelscherben finden, ja nicht einmal Glasmurmeln, die spielende Kinder verloren hatten.
Er wanderte weiter und weiter und die Leere in seinem Inneren zog ihn zu Boden, doch da sah er sein Haus in der Ferne. Als er es fast erreicht hatte, erblickte er in einem anderen Hauseingang einen alten fahlen Mann sitzen, der schlief.
Die Kleider des Mannes waren zerrissen und waren starr von Schmutz. In seiner Hand war eine Flasche, in der ein langsamer Tod lauerte. Doch auf seinen faltig schmutzigen Zügen las der leere Mann Ruhe und Frieden.
Zögerlich, aber unfähig davon abzulassen, fasste er den Alten bei den Schultern und schüttelte ihn sacht. Der Fremde schlug die Augen auf und blickte ihn aus vergilbtem Weiß an.
»Was störst du meinen Schlaf?«, fragte er.
»Sag«, flüsterte der leere Mann, »hast du einen Herzvogel?«
Der Alte lächelte zahnlos und zwinkerte gelb. »Natürlich. Jeder Mensch hat einen Herzvogel, wenn auch nur wenige verstehen, ihn zu halten. Aber sie täten gut daran, denn nur wer einen Herzvogel hat, kann wahrhaft lieben. In mir wohnt ein Geier, der wälzt sich in Aas und Gestank, aber das ist nun einmal seine Natur.«
Und er öffnete seinen alten Mantel und zeigte dem leeren Mann sein Inneres. Da saß ein fahler Geier mit einem einzigen Auge und funkelte den Zuschauer an. Ihn umfing der Geruch von Kadavern und von seinem Schnabel troff zähes Gift, doch er war glücklich, so wie auch der alte Mann glücklich war, denn sie waren eins.
»Wenn jeder Mensch einen Herzvogel hat, warum habe ich dann keinen?«, fragte der leere Mann kläglich.
Der Alte lächelte wieder. »Du musst ihm ein Nest in dir bauen.«
»Aber ich habe nichts«, sagte der leere Mann. »Ich habe kein Silber und keinen Schatten, keine Spiegel und keine Edelsteine, keinen Tod und kein Gift.«
Voller Güte blickte der Alte ihn an. »Fülle dich mit dem, was deine Seele nährt. Nicht mit der Nahrung anderer Seelen.«
Da wollte der leere Mann verzweifeln und er stürzte wie in wilder Flucht in sein Haus, warf die Tür hinter sich zu, setzte sich an den Tisch und starrte in die Nacht.
Wie sollte er sich selbst füllen, wenn es in ihm nur Scherben und Leere gab? Schließlich wurde sein Kopf vor Kummer so schwer, dass er auf den Tisch sank. Und plötzlich war da etwas, wie eine sanfte beruhigende Berührung an seiner Stirn. Er stemmte sich in die Höhe und sah ein aufgeschlagenes Buch auf dem Tisch liegen. Behutsam, fast ehrfürchtig strich er über die Seiten und es war, als berührten sie auch ihn.
Da griff er zu, riss eine Seite aus dem Buch und stopfte sie in sein Inneres, und auf einmal war er nicht mehr vollkommen leer.
Da keimte in ihm ein neues Wissen auf und er riss Seite um Seite aus dem Buch. Dann nahm er ein anderes zur Hand und zerriss auch dieses und dann ein neues, bis er all seine Geschichten Seite um Seite in sich trug.
Dann ging er zum Fenster, griff in die Nacht und füllte sich mit Mondschein und zuletzt nahm er kleine grüne Zweige, die der Wind auf sein Fensterbrett geweht hatte, und bettete auch sie in sein Inneres.
Die Scherben in ihm waren nun bedeckt von Geschichten, Mondlicht und Waldgrün und es war ein wunderschönes Nest geworden – sein eigenes Seelennest.
Auf einmal hörte der leere Mann ein Flattern. Er sah einen kleinen grauen Schatten, und dann war er nicht mehr leer. Der Abgrund konnte ihn nicht mehr schrecken. Und weil er jetzt wieder weinen konnte, weinte er, aber er weinte vor Freude.
Nachdem er sich ausgeweint hatte, stand er auf, um die Liebe zu suchen, denn er wusste, dass er niemals wieder fallen würde. Denn auch in ihm wohnte nun wieder ein Herzvogel und sie waren endlich eins.
Das Weltenkleid
Es waren einmal eine Luchsin und ein Fuchs, die saßen auf einer Wiese und sprachen miteinander im Schatten einer alten Eiche. Je mehr sie redeten, desto mehr lösten sie die Fäden, die die Welt zusammenhalten. Behutsam, Faden um Faden öffneten sie einen Türspalt, durch den sie die Ewigkeit anwehte. Pfote in Pfote schnupperten sie neugierig in das Dahintersternenlicht, das alle Dinge erfüllt und selbst in einem Staubkorn Universen erschafft.
Sie blickten voller Staunen auf den Tanz der Sterne und wussten, dass alles um sie herum im tiefsten Grunde gut und richtig war. Und als sie genug vom Duft der Ewigkeit geatmet hatten, legten sie sich nieder – Seit an Seit. Die Luchsin bettete ihren Kopf an die Schulter des Fuchses und der Fuchs legte seine kleine schwarze Nase hinter ihr Ohr, dort, wo sie ganz sie selbst war.
»Ich will dir eine Geschichte vom Sternenlicht erzählen«, sagte er. »Möchtest du sie hören?«
Die Luchsin blickte ihn aus durchdringenden blauen Augen an und seine Seele verstand. Also begann er zu erzählen.
Es war einmal in einer der vielen anderen Welten ein armer Schreiber, der musste bei Gericht den ganzen Tag die Sünden der Menschen in ein großes ledernes Buch schreiben. Das Buch war schwer und dick, schwarz und endlos wie das All und die Sünden waren so viele. Eine war schlimmer als die andere, doch auch die Strafen für sie waren grausam, so grausam, dass sie die Richter selbst zu Sündern machten.
Als die Jahre vergingen, wurde der Schreiber darüber ganz bitter und schließlich sagte er zu sich selbst: »Was ist die Welt doch für ein toter, kalter Ort. Ich gehe mir eigene Welten finden.«
Von diesem Tage an zog er sich tief in sich selbst zurück und mied die Menschen, wo er es nur konnte. Er verkaufte sein Haus und zog in einen alten Turm weit vor der Stadt. Dort setzte er sich in die oberste Kammer, zog die Hänge fest vor das Fenster, entzündete eine einzelne Kerze und begann, in ein neues Buch zu schreiben.
Dieses Buch war klein und leicht und er füllte es Seite um Seite mit besseren Welten. Stolze Götter lebten dort und tapfere Helden, weise Herrscher und unschuldige Kinder, sprechende Tiere und auch die Liebe leuchtete in seinem Reich der Zeilen.
So lebte er tagein, tagaus. Sekunden fraßen sich zu dicken faulen Minuten heran, verpuppten sich zu Stunden, schlüpften als Tage und flogen als Jahre davon in die weite Ferne, wo die vergangene Zeit zu Hause ist.
Der Schreiber schlief und schrieb und