Die Schuhleiche. Michael Schlinck
Mal wiedergewählt wurde.“
„Gegner?“ Hier muss ich nachhaken. „Wie kann ich mir das vorstellen?“
Kalle nimmt einen großen Schluck aus seiner Tasse. Der Kaffee hat inzwischen eine angenehm trinkbare Temperatur erreicht, allerdings ist mir immer noch der Appetit vergangen.
„Wie es eben überall in der Kommunalpolitik üblich ist“, fährt er fort. „Wie du dich vielleicht erinnerst, war ich bei uns in Spirkelbach ja auch mal im Gemeinderat. Sicher weißt du auch noch, warum ich damals zurückgetreten bin.“
„Ach, du meinst die Sache mit deinem Schwager damals. Hat sich das wieder eingerenkt mit euch?“, kann ich mich entsinnen.
„Nein, er hat seitdem kein Wort mehr mit mir und seiner Schwester geredet. Selbst seinen Kindern hat er Prügel angedroht, falls sie sich mit uns abgeben“, sagt Kalle verärgert.
Die Sache verhielt sich damals folgendermaßen: Der Schwager erstand von einer verwitweten Bäuerin ein Sumpfgebiet für einen Apfel und ein Ei. Dann wollte er die Fläche als Industriegebiet verkaufen. Da das Sumpfgebiet allerdings Wasser- und Naturschutzgebiet war und sicher auch noch ist, musste er seine Pläne begraben. Die Schuld schob er natürlich Karlheinz in die Schuhe. Wozu hat man denn einen Schwager im Gemeinderat, wenn er einem noch nicht einmal ein Industriegebiet auf dem kurzen Dienstweg durchdrückt.
Nachdem Karlheinz sich noch einen Kaffee eingeschenkt hat, redet er weiter: „In Gräfenhausen gibt es auch zwei Lager. Zum einen das von Peter Wagner, das auf Tourismus setzt und auf einem großen Gemeindegrundstück am Waldrand gerne ein Wellnesshotel errichten würde, und dann die Opposition, die das Gemeindeheil in Ökostrom sieht und auf dem Gelände einen Solarpark plant. Brisant ist die Sache auch dadurch, dass Peters Bruder, der auch im Ortsrat sitzt, Inhaber eines Reiseunternehmens ist und reichlich von einem Hotel profitieren würde. Der Erste Beigeordnete und Oppositionsführer Gerhart Jung ist allerdings Produzent von Solarpaneelen. Der könnte sich an einem Solarpark eine goldene Nase verdienen.“
Das sind schon reichliche Informationen, die ich hier zu hören bekomme. Fast hab ich meine schlechte Laune schon vergessen. Aber verzeihen kann ich mir den Fehler mit dem Handy noch nicht.
„Kalle, eins würde mich schon noch interessieren. Du sagtest, dass es Wagner wohl mit der Treue nicht sehr genau nahm. Käme die Frau als Täter infrage?“
„Ausgeschlossen!“, sagt der Mann in Uniform energisch. „Mathilde, äh, ich meine Frau Wagner ist ein sehr zartes Wesen und ganz sicher nicht zu so einer Tat fähig.“
„Was macht dich so sicher? Kennst du Frau Wagner näher?“ Das will ich jetzt aber genauer wissen.
„Nein, natürlich nicht!“ Ist da mein Ex-Kollege etwas nervös? „Peter war schon in der Kommunalpolitik, als ich auch noch aktiv war, und da habe ich das Paar kennengelernt. Und heute Morgen hab ich noch die Vermisstenanzeige aufgenommen.“
Da ich nun genug Informationen und Eindrücke gesammelt habe, verabschiede ich mich von Karlheinz Müller. Lara tut das ebenfalls und erst jetzt fällt mir auf, dass sie während unseres gesamten Aufenthalts nur „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ gesagt hat.
Noch auffälliger ist, dass Kalle kein Auge auf Lara hatte. Auch wenn er schon etwas älter ist, ich hab nur selten einen Mann erlebt, der Lara dermaßen ignoriert.
Jetzt, wo wir wieder im Auto sitzen, findet sie auch ihre Sprache wieder: „Der Timo hat mir ne SMS geschickt, dass er deine E-Mail-Adresse auf den Rechner unseres provisorischen Büros umgeleitet hat. Und er hat geschrieben, dass du eine Mail bekommen hast, dass unsere Leiche voraussichtlich identifiziert ist. Du, Dieter, das mit dem Handy tut mir leid. Die Spur hätten Timo und ich als Erstes prüfen sollen. Ich hoffe, dass du deshalb keinen Ärger bekommst.“
„Papperlapapp. Ich bin euer Chef und hab somit die Verantwortung. Ich hab das verbockt und werde notfalls auch die Konsequenzen tragen. Aber bis dahin wollen wir mit guter Arbeit glänzen!“
Lara legt den Arm um mich und drückt mich. Eine Geste, die mich sehr freut, obwohl das Halfter ihrer Dienstwaffe mir dabei heftig in die Rippen kneift.
„Was hältst du von den ganzen Infos?“, will ich von ihr wissen.
„Gut, den Solarpaneelen-Jung sollten wir mal durchleuchten. Der scheint ja ein Motiv zu haben“, ist ihr erster Tipp.
„Das ist richtig. Aber auch etwas dünn. Anschauen werden wir ihn auf jeden Fall“, ist meine Meinung. „Und weiter?“
„Das Liebesleben des Opfers könnte uns auf eine Spur bringen.“ Ihr Tipp Nummer zwei.
„Sehr gut! Eine eifersüchtige Geliebte oder sogar ein gehörnter Ehemann hätten auch ein gutes Motiv. Nur scheint keine seiner Konkubinen bekannt zu sein, sonst hätte es Karlheinz sicher erwähnt“, gebe ich zu Protokoll und schaue meine Kollegin fragend an.
Sie zuckt mit den Schultern. „Sonst fällt mir nichts ein.“
Mir fällt da schon noch was ein, das ich überprüfen will, aber ich spreche es nicht aus. Ich will ja nicht einen ehemaligen Kollegen in die Pfanne hauen.
Inzwischen sind wir längst wieder auf der B10, dieses Mal in Richtung Landau, und nehmen dann die Abfahrt Godramstein. Übrigens dieselbe Abfahrt, die ich auch nehmen würde, um in die Wache zu kommen.
Die Spedition Bock liegt sehr verkehrsgünstig zwischen der B10 und Godramstein und ist somit auch nur einen Steinwurf von der A65 entfernt.
Auf der straßenzugewandten Seite gibt es eine Laderampe, die sich am ganzen Gebäude entlangzieht. Auf der Rampe sind Tore, die von 1 bis 24 durchnummeriert sind. Bei der Anzahl der Tore werde ich unweigerlich an die Adventszeit erinnert. Hinter jedem Tor könnte man eine schöne Überraschung verstecken.
Ich entscheide mich, rechts an der Halle vorbeizufahren. Für mich als Autofan eine gute Entscheidung. Etwas versteckt in einer Nische des Gebäudes steht ein McLaren F1. Eine ultraflache Flunder mit einem Zwölfzylindermotor von BMW, der 627 Pferdestärken auf die Kurbelwelle stemmt. Aber das Schönste an dem Auto ist die Sitzposition. Der McLaren ist als Dreisitzer ausgelegt, wobei der Fahrer in der Mitte des Fahrzeuges sitzt und die beiden Mitfahrer rechts und links etwas nach hinten versetzt Platz nehmen können.
„Ich dachte, dass die Speditionen alle am Rande des Ruins sind. Und dann stehen bei denen trotz hoher Spritpreise und Mautgebühren solche Autos herum.“
Ist Lara etwa neidisch? Mir ist das eigentlich egal. Ich parke meinen Mini direkt neben dem F1 und zücke gleich nach dem Aussteigen mein Handy und mache ein paar Bilder. Das schönste davon schicke ich gleich an Gusti mit dem Text: „Endlich ist mein Neuer da. Mini geht in Zahlung.“
ICH MAG DEN NICHT!
„Sie wünschen bitte?“, lautet die knappe Begrüßung der Dame, die an einem Schalter im Eingangsbereich sitzt.
Wir stellen uns kurz vor und teilen ihr mit, dass wir telefonisch bei der Geschäftsleitung angemeldet seien. Nachdem sie kurz telefoniert hat, bittet sie uns herein und äußert den Wunsch, ihr zu folgen. Nur zwei Türen sind jeweils rechts und links zu sehen. Geradeaus ist dann wieder eine große Stahltür, wie ich sie schon vom Lager der Firma Schuhqualität kenne.
Wir nehmen keine der Türen, sondern beginnen Treppen zu steigen. Zwei Etagen höher sagt die Dame, dass Herr Bock uns in seinem Büro erwarte, und weist uns zur rechten Tür.
In einem großzügigen Raum, der edel und stilvoll eingerichtet ist, sitzt hinter einem Schreibtisch ein älterer Herr in Arbeitskleidung. „Nehmen Sie doch Platz. Mein Sohn wird auch gleich da sein“, sagt er freundlich. „Ich bin übrigens Joseph Bock. Ich habe die Firma vor inzwischen 38 Jahren gegründet, aber habe sie schon vor Jahren an meinen Sohn übertragen. Was soll ich sagen, wir waren damals eben ein anderer Schlag Menschen. Ich hab mich immer hinter dem Lenkrad am wohlsten gefühlt und so ist es auch heute noch. Mein Sohn, der hat Wirtschaft und Logistik studiert. Der hat das Zeug, um die großen Fische an Land zu ziehen.“