Die Rose lebt weiter. Katja Stock
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Katja Stock
DIE ROSE LEBT WEITER
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
Inhalt
Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Die Namen wurden allerdings geändert, Ähnlichkeiten mit bekannten Personen und Orten sind zufällig.
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
Kapitel I
Es ist März, in ein paar Tagen werde ich 44 Jahre alt. Ich, Martina, habe wie immer viel zu tun auf der Arbeit und überlege, wie ich trotz alledem meinem Kollegen Jens einen Krankenbesuch abstatten könnte. Als ich nämlich vor reichlich einem Jahr nach einer Operation sieben Wochen krank war, stand er auch eines Tages mit einem Blumenstrauß vor meiner Tür. Wir kennen uns schon jahrelang und unterhalten uns auch schon mal über Privates. Er ist ein ruhiger Typ, ganz anders als ich, aber einer der wenigen, mit denen man sich sowohl dienstlich als auch privat einigermaßen vernünftig unterhalten kann. Die ständigen Strukturänderungen in den Verwaltungen zerren an den Nerven und stiften seit Längerem Unfrieden, sodass das Arbeitsklima sich von Jahr zu Jahr verschlechtert. Egoismus und Neid sind an die Stelle von Kollegialität und Fairness getreten.
Obwohl Jens auf mich sehr zurückhaltend wirkt, wird ihm ein Verhältnis mit einer Kollegin nachgesagt. Auf solchen Klatsch höre ich jedoch nicht, zumal ihm auch noch angedichtet wird, dass er mir hinterhersteigt, nur weil wir uns gut verstehen. Darüber kann ich nur verständnislos den Kopf schütteln.
Jens war bisher noch nie krank gewesen, doch diesmal beutelte ihn eine verschleppte Bronchitis. Mit meinem Gegenbesuch wollte ich ihm eine Freude bereiten. Ich rief ihn an, sagte, dass ich nach einem dienstlichen Ortstermin um die Mittagszeit mal vorbeikommen könnte, worauf er mir freudig den Weg zu seinem Eigenheim beschrieb. Weil ich denke, dass Männer sich über Blumen nicht so sehr freuen, nahm ich ein paar Pralinen mit. Als er die Tür öffnete, war ich etwas irritiert, er empfing mich im Jogging-Anzug, nicht zu fassen, zumal ich mich angekündigt hatte! Aber gut, letztlich ging mich das nichts an.
Wir saßen uns im Wohnzimmer gegenüber, ich berichtete ihm das Neuste aus der Dienststelle und er erzählte mir von seiner Tochter, die an diesem Tag 18 Jahre alt geworden war. Außerdem klagte er, dass es so furchtbar langweilig sei, den ganzen Tag zu Hause zu sein. Dann sprachen wir über den Lehrgang, für den wir uns beide angemeldet hatten. Es wäre das erste Mal, dass ich mit ihm zum Lehrgang fahren würde, und zwar für zwei Tage, also mit Übernachtung. Erst hatte ich ablehnen wollen, es mir aber dann anders überlegt. Warum sollte ich mir nicht auch mal einen zweitägigen Lehrgang gönnen? Und mit Jens würde es doch bestimmt Spaß machen. Vielleicht könnte man abends sogar mal ein Gläschen Wein trinken gehen?
Nun war aber der Kurs vorverlegt worden und sollte jetzt während seiner Krankheit stattfinden, anstatt im Sommer. Ich hatte bereits abgesagt und mich für den nächsten Termin neu angemeldet, da mir wegen meines Geburtstages dieses kurzfristige Datum auch nicht passte. All das erzählte ich ihm jetzt.
Er setzte sich währenddessen neben mich auf die Couch und rückte unmerklich näher und näher. Zunächst bemerkte ich es gar nicht, dann konnte ich das Verhalten nicht einordnen und begriff nicht, was das bedeutete. Auf einmal legte er zärtlich seinen Arm um meine Schulter und versuchte, mich zu küssen. Ich ließ es geschehen, war vor lauter Scham wie erstarrt. Mir war, als würde mein Herz zerspringen und ich bekam keine Luft. Was war denn DAS?!
Ich war so erschrocken, hätte niemals damit gerechnet, dass mir so etwas geschehen könnte. Noch dazu bei ihm, dem Schüchternen. Ich schnappte nach Luft und polterte los: „He, was soll das? Ich bin verheiratet! Ich habe dieses Jahr Silberhochzeit!“
Er wurde verlegen und meinte, dass er die von mir gezeigte Sympathie als Interesse an ihm verstanden habe. Wir waren schließlich beide verwirrt und fühlten uns mit der Situation überfordert. Ich wollte nur noch weg und dachte: „Ab jetzt ist alles anders, wie soll ich mich denn nun im Büro ihm gegenüber verhalten? Soll ich etwa so tun, als ob nichts gewesen wäre? Oder soll ich gekränkt sein?“ Ich war so durcheinander und so enttäuscht von ihm, ich hatte doch nur freundlich sein wollen! Mir fielen wieder die Gerüchte über ihn ein: „Was ist eigentlich zwischen Sonja und dir? Stimmt es also doch, dass du mit ihr eine Affäre hast?“ Er antwortete ganz ruhig: „Jetzt geht es um uns und Sonja ist Nebensache.“
Ich verstand das alles nicht und beendete rasch den Krankenbesuch. Ich setzte mich in mein Auto und fuhr zurück in meine Dienststelle. Ich konnte nicht denken, alles schien so unwirklich. Meine Bezinanzeige ging auf Null, ich fuhr an die Tankstelle, stand vor der Tanksäule und wusste nicht, welchen Sprit ich einfüllen musste. Während der Fahrt grübelte ich unablässig darüber nach, ob ich tatsächlich zweideutig auf Männer wirke. „Ich wollte doch wirklich nur einen Krankenbesuch machen, eine freundschaftliche Geste, nicht mehr. Schickt es sich etwa nicht, einen Mann zu besuchen?“ Ich arbeite mit so vielen Männern zusammen, verstehe mich mit allen gut, sehe unser Verhältnis als kollegial an oder freundschaftlich, mit manchen ist es etwas vertrauter, mit anderen weniger. Ich bin offen, jedenfalls nicht besonders zurückhaltend, bin damit aber immer gut gefahren. Natürlich werden auch mal Komplimente ausgesprochen oder „flirtende“ Bemerkungen gemacht. Da ich oft Außendienste habe und mit vielen Menschen zusammenkomme, ist auch mal ein gemeinsames Essen dabei gewesen. Doch bin ich nie auf die Idee gekommen, dass dies von den Männern anders gesehen werden könnte als kameradschaftlich.
Als ich wieder an meinem Schreibtisch saß, hatte ich nur noch die Bilder in diesem Wohnzimmer vor mir. Plötzlich fiel mir meine Silberhochzeit ein, die ich in fünf Monaten feiern wollte und für die ich schon jetzt eine ganz tolle Überraschung, als Geschenk für meinen Mann Holger, geplant hatte. Im Februar waren wir in Ägypten gewesen, das war unsere vorgezogene Silberhochzeitsreise. Das erste Mal hatten wir ohne unsere Freunde Urlaub gemacht, nur unser 16-jähriger Sohn war mit. Es war eine völlig neue Erfahrung gewesen, mal alleine zu verreisen, da sich sonst immer Freunde fanden, die mitkamen. Leider hatte mein Mann dort einen Durchfall erlitten, der zur lebensbedrohlichen Gefahr geworden war, weil er aus Angst tagelang kaum getrunken und gegessen hatte. Einen Tag vor der Abreise starb dann auch noch seine Mutter. Sie war krebskrank gewesen, wir hatten schon lange mit ihrem Tod gerechnet. Als wir wieder zu Hause waren, musste Holger eine Woche ins Krankenhaus: akuter Flüssigkeitsmangel. Ich hatte die Gunst der Stunde genutzt und