Die Rose lebt weiter. Katja Stock

Die Rose lebt weiter - Katja Stock


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früh auf den Tisch gelegt, sodass er Zeit hatte, ihn bis mittags zu lesen. Wir trafen uns an einem Teich, im Grunde idyllisch, doch ich fror, wohl aus Angst und Enttäuschung. Jens gab mir den Brief zurück und meinte, es täte ihm leid. Er könne sich nicht von Sonja trennen, sie sei fast zusammengebrochen, weil sie ihn liebe. Das hätte sie ihm noch nie so deutlich gesagt und gefordert, dass er mit mir Schluss mache. Meinen Brief wollte er mit mir gemeinsam zerreißen und wegwerfen, denn er konnte ihn nicht aufbewahren. Unter Tränen vollzogen wir diese Zeremonie und verabschiedeten uns. Dann gingen wir uns bis zu seinem Urlaub so gut es ging aus dem Weg und ich schwor mir, ihm nie mehr hinterherzulaufen.

      Zu Hause war ich gereizt, sodass Holger immer öfter zu den Kindern sagte: „Lasst eure Mutter in Ruhe, sie hat schon wieder schlechte Laune.“

      Ich suchte mir Arbeit im Haus, um so oft wie möglich für mich alleine zu sein. Holger war auch unzufrieden, mit seiner Arbeit und mit seinem Chef. Er wollte wieder mal alles hinschmeißen. Ich tröstete ihn, dass er den Job schon viele Jahre machen würde, noch nie arbeitslos gewesen war und immer pünktlich sein Geld bekäme. Die Abstände, dass er mit seiner Arbeit so unzufrieden war, wurden immer kürzer.

      Von Jens hörte ich den ganzen Urlaub nichts. Ich weinte häufig, konnte kein Radio mehr hören, sobald ein schönes Lied kam. Da bekam ich einen Termin in seinem Wohnort. Ich wusste, dass er seinen vorletzten Urlaubstag allein zu Hause verbringen wollte. Es kostete mich viel Überwindung, nicht einfach hinzufahren und zu klingeln. Mein Termin dauerte bis Mittag, mein Auto hatte ich auf einem Parkplatz beim Supermarkt abgestellt. Als ich zu meinem Auto zurückkam, stand auf einmal Jens vor mir. Er hatte in der Zeitung gelesen, dass es einen Termin gab, bei dem ich dabei sein würde und hat mich gesucht und auf mich gewartet. Das Gefühl, das mich durchströmte, als ich ihn so vor mir sah, kann ich kaum beschreiben: Glück, Wärme, Frieden, Ruhe …

      Er war braungebrannt und schaute mich traurig und zugleich glücklich an. Wir setzten uns in sein Auto, um nicht gesehen zu werden. Er hatte schon eine Stunde gewartet und nur noch wenig Zeit, weil er zum Arzt musste. Er sah, wie dünn ich geworden war, mittlerweile hatte ich fast elf Kilo in knapp sieben Wochen verloren. Er sagte, auch Sonja habe sieben Kilo abgenommen. Das gab mir sofort einen Stich ins Herz und brachte mich zur Realität zurück. „Sie ist ja noch im Urlaub, deshalb kann er sich also so frei bewegen? Warum zeigt er mir seine Gefühle und seine starke Sehnsucht, wenn ihm im gleichen Atemzug Sonja durch den Kopf geht? Spielt er mit mir?“ Trotzdem ließ ich alles geschehen und sagte nichts.

      Meine Freundin Martina hatte mich, als ich sie damals eingeweihte, darauf hingewiesen, was sie als Krebsschaden in meiner Ehe vermutete, wie sie es seit vielen Jahren sah: Immer nur Arbeit, kein Staubkorn im Haus, kein Unkraut im Garten, ständig Leute um uns herum, keine Zweisamkeit. Sie sagte damals: „Du musst ab und zu mal einen Höhepunkt schaffen in deiner Ehe, das schweißt zusammen.“

      Diese Weisheit wollte ich umsetzen. Am Wochenende hatte Holger Geburtstag. Ich schenkte ihm einen Gutschein für eine Kahnfahrt. Anstatt aber nur für uns beide, organisierte ich diese Fahrt mit „Begleitung“. Roberto und ein anderes Pärchen sollten ebenfalls mitkommen. Das ging natürlich daneben. Holger war keineswegs erfreut von dem Gutschein und weigerte sich mitzukommen. Ich war enttäuscht. Außerdem schenkte ich ihm eine CD von Andrea Berg. Das war seine Musik, ich fand sie nicht so besonders, wollte ihm aber diese Freude machen, auch wenn mich der Kauf Überwindung gekostet hatte. Doch auch dieses Geschenk begeisterte ihn nicht. Da dachte ich das erste Mal: „Du bist doch selbst schuld, wenn ich Gefühle für einen anderen Mann entwickle.“ Kurzzeitig verschwand sogar mein schlechtes Gewissen.

      Die Feier mit der Clique ging mit viel Alkohol und großer Lautstärke über die Bühne, es widerte mich alles an. Ich wollte diese Feierei einfach nicht mehr, die mir so endlos erschien bis mitten in die Nacht hinein. Jeder übertrumpfte sich von Mal zu Mal mit den Vorbereitungen, das Essen wurde immer mehr, damit auch die Reste. Vom Aufräumen am nächsten Tag ganz zu schweigen.

      Es war Jens’ erster Arbeitstag. Sonja war noch im Urlaub. Wie würde er sich verhalten? Ich hatte mir die letzten Tage etwas überlegt und wollte einen endgültigen Abschied hinbekommen. Darum bat ich ihn um ein Treffen mittags, wieder am Teich. Er sagte: „Ja, das geht, Sonja ist ja noch im Urlaub.“

      Das ärgerte mich so sehr, trotzdem schaffte ich es nicht, ihn in den Hintern zu treten. „Warum komme ich von diesem Mann nicht los, was ist bloß in mich gefahren? Wieso nehme ich seine Verletzungen einfach hin, ich renne ihm ja regelrecht hinterher?“

      Mittags regnete es wie aus Kannen und wir saßen dieses Mal in meinem Auto. Ich sagte ihm, dass ich meine Vorhaben immer mit einem Datum verbinde, zum Beispiel: Ab dem 1.1. fange ich an abzunehmen; oder bis zu meinem Geburtstag muss ich das und das fertig haben … So sei es auch jetzt, ich hätte mir vorgenommen, bis Monatsende von ihm loszukommen und mit ihm einen „Abschied“ zu erleben, um das Kapitel beenden zu können. Ich bat ihn, uns an diesem Tag etwas Zeit zu nehmen und über alles zu reden. Ich wollte sowieso Überstunden abfeiern, zu Hause würde ich sagen, dass ich ab Mittag frei hätte. Er willigte ein, auch wenn er diese Art Abschied nicht verstand und nicht wusste, wie das funktionieren sollte. Wo und wie wir uns treffen wollten, dazu traute sich keiner etwas zu äußern. Wir lagen uns schließlich weinend in den Armen, es war alles so traurig und aussichtslos.

      Mit diesem Gespräch begann mein eigentliches und abgebrühtes Fremdgehen, wenn es auch zunächst nur beim Küssen blieb. Ich hatte gezielt ein Treffen geplant, welches weit über eine Mittagspause hinausgehen würde. Einerseits war ich glücklich, dass ich das Ende mit Jens hinausschieben konnte, andererseits war ich über mich selbst erschrocken, wozu ich fähig war. Mir wurde erst viel später bewusst, dass ich damit meine Unfähigkeit „Entscheidungen zu treffen“ ins Leben gerufen habe. Ich war immer ein Mensch gewesen, der in schwierigen Situationen nur kurz überlegen musste und dann entscheiden konnte, wie es weitergeht. Wenn ich dann etwas beschlossen hatte, zog ich es durch bis zum Ende, motivierte auch andere, die unentschlossen waren. Ich hatte nie nach Ausreden gesucht, um etwas nicht zu Ende zu bringen. Und auch Unehrlichkeit war untypisch für mich.

      Nun begannen auch die Telefonate während der Autofahrten und obwohl es verboten war, war das Handy von meinem Ohr beim Fahren nicht mehr wegzudenken. Ich war traurig, wenn die Fahrt beendet war und rettete mich mit meiner Sehnsucht von einem Telefonat zum nächsten. Wir sprachen über Gott und die Welt, planten unsere paar Stunden, vermieden es aber, über die Zukunft zu reden. Wir wussten, dass unsere Zuneigung kein Ziel hatte, versuchten gegenseitig Vernunft zu zeigen und klammerten gleichzeitig am anderen, wünschten ihn in der Nähe und Verbindung zu ihm. Ich wollte meine Ehe retten, Jens wollte bei Sonja bleiben. Keiner schaffte es, dies konsequent umzusetzen. Sondern wir fieberten unseren kurzen geheimen Treffen entgegen, die von Tränen und Küssen erfüllt waren und den Versprechen, einander freizugeben und das Verhältnis endlich zu beenden.

      Eines Tages machte Jens den Vorschlag, nicht „nur durch den Wald zu latschen“, sondern uns näher zu kommen, also mehr als nur zu küssen. Damit wurde das Unausgesprochene zur Wirklichkeit, wir wussten beide, was passieren würde. Ich war glücklich über diesen Vorschlag, zumal es ihm offenbar nicht nur ums Bett ging, sondern viel mehr Leidenschaft dahinter steckte als bloßer Sex. Wir wollten es beide, seine Gefühle konnte keiner mehr verbergen, wir konnten uns noch so bemühen. Einerseits konnte ich es kaum erwarten, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, ihn endlich für mich zu haben, ihn zu berühren und ihm zu zeigen, wie sehr ich ihn mochte. Andererseits hoffte ich, dass es vielleicht für uns beide eine Enttäuschung werden würde und wir so feststellten, dass wir doch nicht zusammenpassten, sodass alles ein Ende finden konnte. Ich würde ihn vergessen und vielleicht zu Hause auch „beichten“ und dann wäre alles wieder gut … Doch zunächst gab es für mich nur noch den letzten Tag des Monats, es war ein Donnerstag. Weiter konnte und wollte ich nicht denken. Alles danach war in meinem Kopf ein schwarzes Loch.

      Dann war der heiß ersehnte Tag endlich da. Ich hatte Holger erzählt, dass ich einen Außentermin hätte und telefonisch nicht erreichbar sei. Das war nun die größte Lüge seit Beginn meiner Beziehung zu Jens, aber es sollte auch die letzte sein! – Mit Jens war ausgemacht, dass ich mein Auto auf einem Parkplatz stehen lasse und wir mit seinem weiterfahren würden, an eine Stelle, wo wir ungestört sein konnten. Als ich in meinem Auto saß, war die ganze


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