Die Rose lebt weiter. Katja Stock

Die Rose lebt weiter - Katja Stock


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im Keller wurde zu ihrer Behausung, Tommis Kinderzimmer diente als Abstell- und Kleiderkammer.

      Nun war ich an den Wochenenden noch mehr gefordert, ein Partner des Kindes bleibt trotzdem die erste Zeit wie Besuch. Man kann sich nicht mehr so frei bewegen, gibt sich mehr Mühe bei den Mahlzeiten und so weiter. Aber ich improvisierte und keiner konnte meine Gedanken lesen, ich gab mir Mühe mit meiner Hausfrauenaufgabe.

      Jens’ Abwesenheit ertrug ich nur schwer, obwohl wir uns ab und zu SMS schickten und er sogar anrufen konnte. Aber seine Zeilen waren nichtssagend, ich konnte nicht deuten, wie er fühlte. Dann begann die Woche, in der Jens Donnerstag wieder da sein sollte. An dem Tag würde ich aber Überstunden abfeiern und zu Hause sein, ich hoffte deshalb auf ein Telefonat mit ihm.

      Als ich Montagmorgen kaum im Büro saß, rief mich meine Kollegin von zu Hause an und meldete sich krank. Sie würde sich schon seit Längerem nicht wohl fühlen. Ich empfahl ihr, sich Zeit zu nehmen und sich auszukurieren, auch wenn ich dadurch die nächsten Tage mehr zu tun hätte.

      Donnerstag klingelte bei mir zu Hause das Telefon, mein Chef war dran: „Es ist was ganz Schreckliches passiert! Unsere Kollegin, Frau Brummer, hat sich das Leben genommen. Sie wurde in der Nähe unserer Dienststelle in einer Gartenanlage gefunden. Die Kripo war grad hier.“

      Ich konnte das gar nicht glauben, wir hatten doch alles ganz ruhig besprochen. Mein Chef weinte, war völlig fassungslos. Die Polizei hatte ihm gesagt, dass sie bereits am Montagabend mit dem Zug in Richtung Arbeit gefahren wäre. Dann hätte sie sich mit über 100 Tabletten vergiftet, die sie vermutlich über lange Zeit gesammelt hatte. – Nach diesem Gespräch stürzte ich mich wie wild in die Arbeit. Ich wollte nicht darüber nachgrübeln und doch stürzten die Gedanken auf mich ein. „Gerade hat sie sich so gut eingearbeitet. Warum hat sie sich, verdammt noch mal, nicht helfen lassen? Wir haben doch so oft über ihre Depressionen gesprochen?“ – Da klingelte wieder das Telefon. Jens wollte mich trösten. Es riefen an diesem Tag noch mehrere an und ich schaffte nicht, was ich mir vorgenommen hatte und es blieb vieles liegen.

      Am nächsten Tag hatte sich mein Chef wieder gefangen und tröstete mich damit, dass er mir eine Nachbesetzung vorschlug: Sonja war die Auserwählte. Schlimmer konnte es nicht kommen! Später erklärte mir die Personalchefin, dass diese Variante allen helfen würde, denn da, wo Sonja jetzt sei, gäbe es nur Knatsch. Bei mir könne sie beweisen, was sie wirklich drauf habe.

      Roberto und Karin wollten am Wochenende mit uns Essen gehen. Die Freundschaft zu beiden bestand noch nicht lange. Roberto hatte sowohl mit Holger als auch mit mir schon viele Jahre geschäftlich zu tun, seine Frau kannten wir erst eineinhalb Jahre. Da sie nicht sehr kontaktfreudig war, wurden Holger und ich regelmäßig angewiesen, sie anzurufen und ihr weiszumachen, der jeweilige Besuch wäre unsere Idee gewesen und auf alle Fälle nicht die von Roberto. Nur so konnte man sie „rumkriegen“, Einladungen anzunehmen. Wir spielten ihm zuliebe mit, aber dieser Affentanz ging uns auch gegen den Strich. Doch wir waren zu feige, ihm dies ins Gesicht zu sagen.

      In der Gaststätte war viel Betrieb und alles dauerte ewig. Ich hatte wieder meinen Kloß im Hals und obwohl ich nur Gemüse bestellte, war es mir zu viel. Nach dem Essen machten wir mit Robertos neuem Auto eine Rundreise. Doch meine Gedanken waren schon beim nächsten Tag. Die Tasche musste ich noch packen. Oh je, Holgers Silberhochzeitsgeschenk, die teure Lederreisetasche, sollte eingeweiht werden. Da legte er großen Wert drauf. „Ich fahre mit dem Geschenk meines Mannes zum Liebhaber“, dachte ich und es war mir so gruselig und ekelhaft. Bloß gut, dass keiner Gedanken lesen kann! In der Nacht war ich aufgeregt wie ein kleines Kind. Holger fing um fünf an zu arbeiten, Benni fuhr kurz nach sechs in die Schule, kurz danach wollte Jens da sein. Theoretisch dürften sie sich nicht begegnen. Jens wollte ich noch einen Cappuccino machen, ein paar Minuten Zeit würden wir ja haben.

      Als mein Kleiner sein Fahrrad aus der Garage holte, fuhr Jens gerade auf den Hof. Es war dunkel, ich sah es nicht, hörte nur, wie sie sich begrüßten, dann klingelte Jens. Wir standen uns wie Fremde gegenüber. Ich bat ihn ins Wohnzimmer und brachte ihm Cappuccino und etwas Kuchen. Da sah er mich ganz traurig an und sagte: „Martina, ich weiß nicht, ob du mit mir zum Lehrgang fahren willst, wenn du jetzt hörst, was ich dir zu sagen habe. Fahren müssen wir sicherlich, sonst bekommen wir Ärger mit unseren Vorgesetzten. Aber du musst dort mit mir nicht schlafen, ich bringe dich auch heute Abend nach Hause und hole dich morgen früh wieder ab.“ Entsetzt antwortete ich: „Was soll der Quatsch? Was ist los mit dir? Ich verstehe nur Bahnhof.“

      Dann erzählte er mir schluchzend, dass er eine schlimme Auseinandersetzung mit Sonja zum Feierabend hatte. Sie habe ihn zur Rede gestellt wegen des Lehrgangs, sei dann hysterisch geworden, habe ihn fürchterlich angeschrien, was auch andere gehört hätten. Schließlich sei sie wie ohnmächtig zusammengebrochen. Daraufhin hatte er ihr versprochen, sich für sie zu entscheiden. Nun liege es an mir, ob dieser Lehrgang unser „Abschied“ würde oder ob ich gleich sagte, er solle verschwinden.

      Erst dachte ich, er mache einen Witz. Aber dafür war unsere Situation viel zu ernst. Ich war hilflos. Wie sollten nun die beiden Tag ablaufen? Gedanklich spielte ich durch, was ich Holger sagen würde, wenn ich abends wieder vor der Tür stand: „Hallo, ich hab es mir anders überlegt, will doch lieber zu Hause sein über Nacht?“, oder: „Ich wollte dich betrügen zum Lehrgang, aber der andere Mann will mich nicht mehr?“ Ich konnte auf gar keinen Fall nach Hause. Ich würde mich abends in meinem Zimmer verkriechen und mir die Augen ausheulen … Ich konnte nicht zu Ende denken. Ich musste mich aber schnell entscheiden. Jens hatte Angst vor meiner Reaktion. Ich schaffte es jedoch nicht, ihn zu verstoßen oder abzuschütteln. Ich sah in diesem Moment nur, dass wir uns so sehr auf diese Tage gefreut hatten und nun alles umsonst gewesen war. Würden wir jemals wieder die Gelegenheit haben, uns so nah sein zu dürfen? Mir ging der Film „Die Dornenvögel“ durch den Kopf. Auch eine aussichtslose und verbotene Liebe. Sie wussten, dass ihre Liebe keine Zukunft haben durfte und hielten sich daran. Nur ganz begrenzt ließen sie ihren Gefühlen ihren Lauf. An diesem Vergleich hielt ich mich jetzt fest und sagte: „Jens, lass es unser Abschied sein, auch wenn wir das ‚Danach‘ noch schmerzlicher empfinden werden.“

      Nach diesen Worten war alles auf einmal wieder so vertraut und harmonisch, als ob es nie Streit gegeben hätte und wir mussten los, damit wir nicht zu spät kamen.

      Vor Lehrgangsbeginn wurden uns die Zimmer zugewiesen. Beide waren wir auf einer Etage, aber jeder an einer anderen Ecke. In der Mittagspause wurden wir gefragt, ob wir Lust hätten, abends gemeinsam etwas zu unternehmen. Ich antwortete gar nicht und überließ es Jens. Er lehnte dankend ab. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich wollte Jens für mich alleine haben, ganz alleine, ohne Angst, dass jemand kommt oder uns die Zeit wegläuft. Wir standen auf dem Hof und schauten uns an. Ich sagte: „Dann werde ich mal meine Tasche in mein Zimmer bringen, und mit Holger muss ich auch noch telefonieren.“

      Aber wir kamen nur bis in Jens’ Zimmer. Dies war der Moment des unkontrollierten Alleinseins, auf den wir so sehnsüchtig gewartet hatten. Wir mussten uns nicht verstecken oder auf die Uhr schauen. Aber es war alles so neu und anders. Dennoch war es vertraut, als ob jeder den anderen schon jahrelang vom Kopf bis in die Zehenspitze kannte. Wir überlegten, ob wir essen fahren oder es ausfallen ließen und entschieden uns, auch dieses gemeinsame Erlebnis genießen zu wollen. Es würde das erste und letzte Mal sein. Doch ich bekam wieder keinen Bissen runter. Mir ging die Zukunft durch den Kopf, dieser Abschied kam mir vor wie zu sterben. Uns liefen die Tränen, vor den anderen Gästen, mitten in diesem Raum.

      Dann gingen wir in mein Zimmer. Kaum fiel die Tür hinter uns ins Schloss, klebten wir aneinander. So verbrachten wir die nächsten Stunden. Wir waren so vertraut, keiner wollte den anderen loslassen. Die ganze Aufregung und Erschöpfung der letzten Tage machte sich nun bemerkbar und wir schliefen schnell ein. – Gegen Mitternacht sah ich, dass mein Handy leuchtete. Ich hatte es lautlos gestellt und vergessen zu aktivieren. Mit Holger hatte ich gesprochen und mich bis zum nächsten Tag verabschiedet, also hätte er nicht anrufen müssen. Aber er war es. Mein Herz schlug bis in den Hals, ich wollte nicht rangehen. Er versuchte es immer wieder und ich wurde immer aufgeregter. „Er steht bestimmt vor der Tür, er weiß alles, er sucht mich“, jammerte ich. Jens forderte mich auf: „Geh ran, er ist zu Hause, wo soll er dich denn suchen?“

      Da


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