Die Rose lebt weiter. Katja Stock

Die Rose lebt weiter - Katja Stock


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Ich kam mir zwar schäbig vor, konnte es aber noch nicht lassen.

      Auf der Arbeit wurde eine erneute Bewerbungsrunde ausgelöst, die erste war wohl nicht rechtmäßig gewesen. Damals hatten wir uns ja beide für den Wechsel des Arbeitsortes entschieden. Jetzt sah es anders aus. Einerseits stand nun fest, dass mein Arbeitsgebiet an der alten Stelle bleiben würde, anderseits waren Jens und ich nun ein Paar und wir überlegten, ob wir auf der neuen Arbeit weiterhin eng zusammenarbeiten wollten und ob dies dann gut gehen würde. Die Entscheidung erleichterte uns wieder unser ehemaliger Chef, der das Konzept der Strukturänderung erarbeitet hatte. Er riet mir, nicht zu wechseln und lieber den langen Arbeitsweg in Kauf zu nehmen, denn hier hätte ich Perspektive. Jens dagegen sollte wechseln, seine Stelle würde hier gestrichen. Zu Hause musste ich nur die Begründung meines Chefs wiedergeben, auch wenn es Holger nicht passte, dass ich weiter so lange fahren sollte. Jens würde nun an einem anderen Arbeitsort sein. Das war aus derzeitiger Sicht die beste Lösung. Wenn wir getrennt arbeiteten, nahm vielleicht das Getratsche ein Ende.

      Im Garten begann die Saison. Beim Saubermachen der Rabatten und Beete überkam mich Wehmut, weil es das letzte Mal sein könnte, das eigene Grün zu genießen. Aber ich hatte mir vorgenommen, Holger bestens zu unterstützen, und sicher würde mein Kleiner nicht mit mir wegziehen, denn hier hatte er sein vertrautes Umfeld. Ich wollte allen am Wochenende den Haushalt und die Wäsche machen, es sollte ihnen weiterhin gut gehen. Der Große brachte ja auch noch seine Wäsche. Ob Holger diese Hilfe annahm? Hoffentlich, sonst würden mich Schuldgefühle quälen. Es war so grotesk, ich organisierte in meinem Kopf die Abläufe für die ganze Familie, so wie es immer war in meinem Leben, und bildete mir ein, dass alle meine Vorschläge akzeptieren würden. Ob das so gut gehen und ob Jens es überhaupt mitmachen würde?

      Den finanziellen Überblick hatte ich mir nun auch verschafft und für Holger alles aufbereitet. Das Ergebnis beruhigte mich etwas, es sah nicht so aus, als ob ich Holger in den Ruin stürzen würde, dann hätte ich auch bestimmt nicht den Mut und die Kraft für eine Trennung gefunden.

      Jens hatte mich mit der Wohnungssuche beauftragt und ich war vorangekommen. Es gab bezahlbare Häuser zur Miete, aber auch schöne kleine Wohnungen. Ich suchte einiges aus und wollte die nächsten Schritte Jens überlassen. Er sollte entscheiden, wo er einen Termin vereinbaren wollte.

      Ich hatte sogar einen Abschiedsbrief für Holger vorbereitet. Ich fürchtete den Tag der Wahrheit und auch, dass er mir keine Gelegenheit geben würde, ihm zu sagen, warum ich mich trennte und dass es nicht seine Schuld sei, dass ich ihn verließ. Weil ich befürchtete, etwas zu vergessen, schrieb ich alles auf, perfekt durchdacht, das war eigentlich ziemlich schlimm, aber ich hatte keine bessere Idee. Ich schrieb:

       „Lieber Holger, es tut mir leid, was ich dir antue und was du ertragen musst, dich trifft keine Schuld. Unsere gemeinsamen Jahre bereue ich nicht und hätte auch nie geglaubt, dass mir so etwas passieren kann. Ich habe mich lange gegen die Gefühle gewehrt, der Andere ist nicht besser als du. Du hast nichts falsch gemacht. Aber die Gefühle und die Liebe zu dem anderen Mann sind so stark, dass ich bereit bin, alles aufzugeben, auch auf die Gefahr hin, verachtet oder verstoßen zu werden. Mir ist bewusst, dass ich mit diesem Schritt allen großes Leid zufüge. Deshalb habe ich so lange gezögert, dir die Wahrheit zu sagen. Lieber Holger, ich wünsche mir, dass du mir irgendwann einmal verzeihen kannst und eine Frau findest, mit der du glücklicher wirst als mit mir. Damit es für dich etwas erträglicher ist, sollst du das Haus behalten. Ich möchte dich so gut es geht unterstützen bei Haushalt, Garten und Wäsche, solange du es wünscht. Lieber Holger, ich bin bereit, nochmals bei Null anzufangen und gebe alles auf, was mir ans Herz gewachsen ist. Lass uns bitte vernünftig miteinander umgehen, schon wegen der Kinder. Es tut mir leid, entschuldige bitte. Martina.“

      Für diesen Brief hatte ich mehrmals Anlauf genommen, hatte umformuliert und weggestrichen. Während des Schreibens liefen mir die Tränen. Es war mir, als hätte ich ein Kapitel meines Lebens beendet, als ich den Brief fertig hatte. Ich versteckte ihn. Wann er „zum Einsatz“ gelangen würde, war noch völlig unklar, aber er war erst einmal fertig und ich somit einen Schritt weiter an das Ende meiner Ehe herangerückt.

      Der Urlaub nach Mallorca rückte immer näher. Ich bereitete Holger darauf vor, dass ich einen ganztägigen Außentermin hätte und gar nicht erst ins Büro ginge. Dies kam schon mal vor, deshalb erschien es glaubwürdig. Tatsächlich bummelte ich Stunden ab. Ich war froh, dass er nicht viel fragte und nur den Ort wissen wollte. Bei der Lügerei wurde mir bald übel, ich tröstete mich damit, dass alles ja bald ein Ende hätte. Jens hatte sich inzwischen die Wohnungen im Internet angesehen und Termine mit den Vermietern vereinbart. Vormittags wollten wir uns die Wohnungen anschauen und nachmittags unsere vorerst letzten Stunden genießen. Ich war so aufgeregt, es wurde immer ernster mit uns beiden: Wenn wir uns für eine Wohnung entschieden, was würde dann geschehen? Wie lange hätten wir Zeit, zu Hause alles zu regeln? Was würde mit Benni, ob er mit mir mit wollte? Wenn nicht, wie würde ich das verkraften? Ließ mich Holger gehen oder schlug er alles zusammen? Ließ er sich helfen?

      Dann saßen wir bei dem ersten Vermieter. Als er unsere Daten abfragte, erklärte ihm Jens, dass alles über seinen Namen laufen würde. Er riskierte immer mehr. Die Wohnung befand sich im Obergeschoss eines Einfamilienhauses. Von einem großen Balkon aus konnte man über den Stadtrand ins Grüne schauen. Der Gedanke, mich als Mieter in einem Privathaus unterordnen zu müssen, war mir neu und musste erst einmal reifen. Die nächste Wohnung war eine Altbauwohnung an einer stark befahrenen Straße, auch nichts für mich. Die letzte Wohnung für diesen Tag befand sich am anderen Ende der Stadt in einem zehn Jahre alten Neubaublock. Sie schien modern, aber das Umfeld war nicht schön. Es gab zwar einen Innenhof, aber keinen Balkon. Wir sagten zwar niemanden sofort ab, blieben aber skeptisch. Nach meinem Urlaub wollten wir noch eine Einliegerwohnung in einem Eigenheim auf einem Dorf anschauen.

      Damit war unser Stadtbesuch beendet. Jens wollte, dass ich mein Auto auf einem Parkplatz abstelle und wir mit seinem Auto fahren. Auf dem Weg zum Parkplatz passierte dann, was dem Spruch „Lügen haben kurze Beine“ gerecht wird. Ich wurde geblitzt. Mich durchzuckte es. So, jetzt kommt ein Brief nach Hause, aus einer Stadt, in der ich zu dieser Uhrzeit auf alle Fälle nicht sein durfte. Holger oder mein Sohn leerten im Regelfall den Briefkasten. Einen Brief vom Landratsamt konnte ich nicht unbemerkt öffnen. Wie sollte ich mich aus der Affäre ziehen? Ich wurde vor acht Jahren das letzte Mal geblitzt, in einer 30-iger Zone. Holger dagegen bekam regelmäßig solche Post, er hatte sogar schon mal ein Fahrverbot erhalten.

      Zu Hause erklärte ich Holger, dass ich geblitzt worden sei. Weil ich einen zusätzlichen Termin bekommen hätte, sei ich noch an einem anderen Ort gewesen. Ich hatte das Gefühl, dass Holger mir nicht mehr vertraute und ihm etwas schwante. Er sagte, er glaube langsam, dass ich ihn verarsche. Ich ließ mich auf keine Diskussion ein und vergrub mich in meiner Hausarbeit.

      Am nächsten Tag packte ich die Koffer für den Urlaub mit unseren Freunden und da ich im Garten und Haus zu tun hatte, verging die Zeit sehr rasch. Auf dem Weg zum Flughafen sah ich von der Straße aus das Haus mit der Wohnung, die wir zwei Tage zuvor besichtigt hatten. Mir kamen die Tränen und ich musste mich sehr zusammenreißen, damit Holger nichts merkte. Seit dem Geständnis mit dem Blitzer hatten wir wenig miteinander gesprochen, ich mied seine Nähe und er ließ mich in Ruhe. Es war so unheimlich, wie kurz vor einer Explosion. Auf dem Flughafen gab sich Holger besonders locker und lustig den anderen gegenüber und kasperte ausgelassen herum. Wahrscheinlich überspielte er so unsere Zerrissenheit, die er irgendwie spürte.

      Als wir spät abends im Hotel ankamen, ging ein anstrengender Tag zu Ende. Das Hotel war sehr schlicht, die Zimmer schon fast ungemütlich und dunkel, das Essen ohne Auswahl. Holger sagte wie immer nichts zu und er aß kaum. Er beschwerte sich aber nicht, denn wir wollten es ja preiswert haben.

      Am nächsten Tag fuhren wir an der Steilküste entlang und klapperten die Sehenswürdigkeiten ab. Ich aber war nicht bei der Sache, wollte nur, dass alles schnell verging. Es war warm und das viele Laufen anstrengend. Nachmittags streikte Holger und kam mit uns nicht mehr mit. Entweder tat seine Hüfte weh oder er musste aufs Klo. Es war wie immer. Und er war so stur. Wegen der Hüfte wollte er nicht zum Arzt gehen, angeblich aus Angst, deswegen arbeitslos zu werden. Sein Durchfall war schon obligat geworden, sobald kein Klo in der Nähe


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