Erster-Weltkriegs-Tagebuch aus der böhmischen Provinz. Josef Brauner
Feldübergängen Fuhrwerke jeder Art anzuhalten und eingehend zu durchsuchen sein. Es ist ersucht worden, außer Bahnbediensteten auch Orts- und Polizeibehörden, Feuerwehr und Dienststellen des verschärften Bahnschutzes sofort zu benachrichtigen und für Weiterverbreitung an die Ortsbehörden zu sorgen.’
Olmütz Nordböhmen, 7. August 11.45 Uhr. ‚Ein feindlicher Aeroplan Richtung Prerau-Olmütz.’
Deutschland weist sämtliche junge Österreicher aus, damit sie hier ihre militärischen Pflichten erfüllen.
Wie mir gestern ebenfalls ein gewisser Grulicher aus Preussen erzählte, ist die Erbitterung in Deutschland über den ruchlosen und schändlichen Überfall durch Russland und Frankreich ungeheuer. Eine Million Männer haben sich schon freiwillig zum Kriegsdienste gemeldet. Selbst Mütter bringen mit Entschlossenheit 16jährige Söhne dem teuren Vaterlande dar!
Eine Zeit wie jetzt wird kaum mehr ein Geschlecht erleben; ein Meer von Blut und Tränen bereitet sich vor.
Bei Lichtenau soll heute ein Aeroplan niedergegangen sein. Gendarmerie und Polizei begaben sich sofort dahin; aber diese Nachricht erwies sich als Lüge. Nach dem Urheber wurde zwar gefahndet, er konnte aber nicht ermittelt werden.
8. August 1914: Telegramm Olmütz. Direktion, 8. August 12.00 Uhr. ‚Nach Mitteilung des hiesigen Bahnkommandos sollen heute ab 5 Uhr früh deutsche Flieger unterwegs sein. Die beteiligten Organe sind zu verständigen, dass beim Nahen der Flieger nicht geschossen wird.’
Auch diese Flieger wurden hier nicht gesehen.
Goldgeld gibt es überhaupt nicht mehr. Auch das Silber- und teilweise sogar Nickelgeld verschwindet aus dem öffentlichen Verkehr, weil viele Leute es unvernünftiger Weise zurückbehalten und auf Banknoten kein Kleingeld herausgeben. In einzelnen Geschäften müssen die Leute entweder genau abgezähltes Geld hinlegen, oder es wird vertrauenswürdigen Kunden so lange geborgt, bis eine runde Summe, die einer Banknote entspricht, aufgelaufen ist.
Das führt zu empfindlichen Verlegenheiten.
Die Lebensmittel steigen im Preis. Weizenmehr früher 1 Kilo zu 44 Heller kostet jetzt 60 Heller.
Die Sammlung für die armen Angehörigen der Eingerückten hat den Betrag von 1.309,80 Kronen ergeben. Es wurde aber nicht bei allen Bewohnern, sondern nur bei den wohlhabenden gesammelt.
14. August 1914: Nach einer Prager Zeitung entsprechen die Drahtnachrichten über die Autos mit der Millionenfracht, die radfahrenden Maurer usw. nicht der Wahrheit. Seither sind schon mehrere Telegramme über Autos und Aeroplane hier eingetroffen, die ich aber nicht mehr anführe.
17. August 1914: Telegramm: ‚Entscheidender Sieg der Österreicher bei Waljewo. Viel Kriegsmaterial erbeutet. Serben werden verfolgt. Unser 16. Inft. Regnt besonders tapfer gewesen.’
Schon vor einigen Tagen hatte das Redemptoristenkollegium3 in Niederheidisch einen großen Reisighaufen links der großen Steige aufschichten lassen, welcher mit brennbaren Stoffen getränkt war und dazu dienen sollte, beim ersten Siege der Österreicher angezündet zu werden, was dann heute Abend geschah. In der Stadt standen und zogen die Leute zahlreich umher. Wenn sie auch einen Sieg zu feiern hatten, so hätte dies in Hinblick auf die blutigen Opfer, die ein solcher kostet, auch in gesetzterer Weise geschehen können. Aber hier war es wie bei einer Faschingsunterhaltung, was bei den jetzigen tiefernsten Zeiten jeden denkenden und fühlenden Menschen abstoßen muss.
In der Stadtkanzlei ist stets sehr viel zu tun. Kaum sind die Anmeldungen auf Unterhaltsanspruch der Angehörigen der Eingerückten an die Bezirkshauptmannschaft eingesandt, so erkundigen sich schon die Weiber, wie weit die Unterstützung gediehen ist. Heute war eine Menge Fabrikweiber gleichzeitig in die Kanzlei gekommen, um die staatliche Unterstützung zu betreiben. Ich machte sie aufmerksam, dass jetzt alle Ämter viel Arbeit haben und daher einige Geduld nötig sei. Einzelnen sehr Bedürftigen mussten Vorschüsse von 10 bis 20 Kronen gegeben werden. Es ist übrigens Tatsache, dass mehrere Weiber aus der Kolonie sich nicht schämten, schon einen Tag nach der Einrückung ihres Mannes Vorschüsse auf den Unterhaltsbeitrag zu begehren. Das berechtigt mich zu der Kritik: Viele Fabrikarbeiter, die bis jetzt immer guten Verdienst hatten, haben eben alles flott verlebt und keine Ersparnisse gemacht. Jetzt sind die meisten am Trockenen. Aber einige meinen: ‚Wenn kein Verdienst mehr sein wird, gehen wir auf die Felder und raufen die Erdäpfel aus.’
Einige Weiber der Eingerückten sind stinkfaul. Statt in der Fabrik drei Tage wöchentlich zu arbeiten, was sie ganz gut könnten, da sie kinderlos sind, gehen sie schön angekleidet spazieren und warten auf die staatliche Unterstützung. Mit welchen Eigenschaften soll man solche Leute bezeichnen?
22. August 1914: Heute langte die Einberufungskundmachung ein, laut welcher die Reservemänner und Ersatzreservisten der k. k. Landwehr, dann die Rekruten und Landsturmpflichtigen älteren Jahrgänge und beurlaubte Landsturmpflichtige einrücken müssen.
Seit dem Kriegszustand werden in allen Orten, besonders aber an der Reichgrenze, die Durchreisenden überwacht und kontrolliert. Sie müssen daher mit gemeindeamtlichen Legitimationen versehen sein. Da hat nun die Stadtkanzlei massenhaft Arbeit. Selbst an Sonntagnachmittagen geben die Leute keine Ruhe. Wir haben solche Scheine an 300 Personen ausgestellt. Und sonderbar, je unruhiger die Zeit, desto größer die Reisewut. Abgesehen davon, dass viele Eheweiber der Eingerückten nach Hohenmauth oder Mährisch Schönberg reisen, um nochmals mit den Ehegatten zu sprechen, begeben sich andere Leute gruppenweise nach Mittelwalde und andere preußische Städte, um die neuesten Nachrichten vom Kriegsschauplatze zu vernehmen. Familien und sonstige Bekannte machen öfters Besuche als in ruhigen Zeiten. Es ist sogar lächerlicher Weise vorgekommen, dass junge Leute Legitimationen verlangten, um im Walde Schwämme zu suchen. Diesen wurde kurzweg die Tür gewiesen.
Mehrere Damen von Grulich haben schon seit einigen Wochen den Krankenpflegekurs in Mährisch Rothwasser besucht. Es sind dies die Frauen
Marie Landhaus | Frida Mück |
Emilie Langer | Bertl Liebich |
Berta Katzer | Fritzi Walla |
Fräulein Klara Schmidt | Risa Walla |
Eugenie Fiebinger | Anna Ficker |
Anna Katzer | Josefine Laschek |
Anna Geppert | Marie Schrutek |
Anna Eisert | Marie Raabe |
Marie Lindenthal | Mariechen Rotter |
Wilhelmine Klar | Mizzi Wagner |
Marie Walter | Emilie Plischke |
Anna Link | Trude Gottlieb |
Berta Dittrich | Emilie Pohl |
Liesel Wenzel |
24. August 1914: Junge Damen haben weiters in Grulich eine Sammlung zu Gunsten des Roten Kreuzes eingeleitet. Der Ertrag von 427,20 Kronen wurde dem Kriegshilfebüro der k. k. Bezirkshauptmannschaft in Senftenberg eingesendet.
Heute traf der erste Leichtverwundete von der russischen Grenze hier ein. Es war der k. k. Finanzwach-Oberaufseher Schätz, welcher auf einem Wagen nach Lichtenau fuhr, um sich zu Verwandten zu begeben. Er hatte eine Verwundung am Fuß. Als Trophäe vom Gefechtsfelde hatte er die Trümmer seines Gewehrs mitgebracht, dessen er sich beim Handgemenge bei der Erstürmung einer feindlichen Stellung bedient hatte.
25. August 1914: Auch hier wächst die Kriegslust unter den jungen Leuten. Bis jetzt haben sich etwa 15 freiwillig gemeldet.
Heute rücken die Rekruten aus Grulich und Umgebung ein. Es ging dabei lustig zu. Harmonikaklänge und Gesang.
27. August 1914: Heute Abend wurden auf Veranlassung der Klosterpater auf dem Marienberge zahlreiche