Alle hören auf »Daffy«, nur Daffy nicht. Jennifer Mai
den Hund zu streicheln, ihn anzuflirten oder durch sonstige Bemerkungen und Bemühungen abzulenken, denn das könnte unter Umständen lebensgefährlich für den Führhundhalter sein. Der Hund ist im Dienst und muss den Job, seinen Halter möglichst sicher überall hinzuführen, ausüben. Doch er ist eben auch nur ein Tier, das sich gern mal ablenken lässt – zum Beispiel durch andere Hunde. Für Daffy gilt das ebenso. Bitte ich in einem solchen Fall andere Hundehalter, ihren Hund zurückzuhalten oder Daffy bitte nicht zu streicheln, da sie im Dienst ist, reagieren die meisten unfreundlich, aggressiv oder tun es erst recht. Ich muss mich dann sehr zusammenreißen, um freundlich zu bleiben. Am liebsten würde ich nämlich platzen.
Zwei Jahre ist es nun her, dass Daffy in mein Leben getreten ist. Seitdem hat sich für mich einiges geändert. Mein Denken, mein Handeln, einfach mein ganzes Leben wurde durch meine Bindung zu Daffy auf den Kopf gestellt, und auch davon möchte ich erzählen. Ich musste zum Beispiel nicht nur lernen, wie Außenstehende auf Daffy reagieren, sondern auch, wie es speziell in der Szene der Führhundschulen und Führhundhalter zugeht. Wie weit beispielsweise die Meinungen innerhalb der Szene auseinandergehen, sobald es um die Erziehung eines Führhundes geht.
Ich habe die Namen der Menschen geändert, von denen ich erzähle, nur die der Hunde sind geblieben.
Versuch macht klug
Daffy war nicht mein erster Versuch mit einem Führhund. Während meines ersten Studiums der Kindheitspädagogik in Hamburg wollte ich schon einmal einem Vierbeiner mein Leben anvertrauen. Zu der Zeit regte es mich fürchterlich auf, dass mir unachtsame Leute auf dem Hamburger Hauptbahnhof innerhalb eines halben Jahres drei Blindenstöcke verbogen hatten. Einfach weil sie nicht aufmerksam ihrer Umwelt gegenüber waren, sondern ihnen das Smartphone oder der Hintern einer vorbeigehenden Dame viel interessanter erschien. Dieser erste Versuch scheiterte grandios – nach gerade mal vier Tagen.
Es war Anfang 2011. Ich machte mir zum ersten Mal Gedanken über einen Führhund. Warum gerade ein Hund? Eigentlich mag ich Katzen viel lieber … Wieso können Katzen nicht führen? Würde ich unseren Herrn Kater bitten, sich doch in Zukunft als mein Führkater bereitzuhalten, würde dieser mich voller Verachtung anfauchen, mir seine Krallen präsentieren und mich gnadenlos im Stich lassen. Niemals würde er seine Bedürfnisse den meinen unterordnen und sich an irgendwelche Regeln halten. Wir würden Mäuse und Vögel im Geschirr jagen und ich bekäme nichts davon ab. Außerdem würde er sich nach jeder Pfütze, durch die er mich führt, erst einmal ausgiebig putzen und ich würde jeden Termin, jede Bahn und jeden Bus verpassen.
Nun ja, was nicht ist, ist einfach nicht. Ich hörte mich um und stellte mich bei drei Schulen vor. Die erste war in Hamburg. Super, das passte! Einen Ansprechpartner in der Stadt zu haben, in der ich wohnte, das gefiel mir.
Eines Nachmittags trudelte die Trainerin mit zwei Labradoren und einem Pudel bei mir in Bergedorf ein. Nachdem sie die Hunde von der Leine gelassen hatte, begannen diese, wie wild in meinem Zimmer herumzutoben. Sie hüpften über mein Sofa und hatten einen Höllenspaß.
„Oh, das ist mir aber unangenehm“, sagte die Trainerin und schubste das Pudelmädchen von meiner Couch. „Eigentlich war ich extra mit denen auf dem Feld, damit die etwas ausgepowert sind.“
„Alles klar“, erwiderte ich breit grinsend.
Wir unterhielten uns eine Weile über ihre Trainingsmethoden und die einzelnen Hunde. Die Trainerin belohnte alles, was der Hund anzeigte, mit Futter. „Sie arbeiten ja auch nicht ohne Bezahlung“, erklärte sie mir.
„Ja, schon“, sagte ich und überlegte. „Aber ich möchte gern entscheiden, wann und warum ich den Hund belohne.“
„So arbeite ich eben“, entgegnete die Trainerin knapp.
Ich erfuhr, dass sie eine wahnsinnig lange Warteliste hatte. Allerdings, so versicherte sie mir, könne sie mir guten Gewissens die Deutsche Stiftung für Blindenführhunde in Berlin empfehlen. Das gefiel mir nicht, denn alle redeten von dieser Stiftung, weshalb ich schon aus Prinzip nicht dorthin wollte. Alles das, was alle anderen toll finden, mag ich erst mal nicht.
Die zweite Schule befand sich in Berlin. Eine Freundin hatte mich dorthin mitgeschleppt, um sich selbst dort umzusehen und um mir noch einen Blick auf andere Schulen zu ermöglichen. Jede von uns lief mit drei unterschiedlichen Labradoren durch eine sehr ruhige Gegend Berlins. Ob dies überhaupt noch zu Berlin zählte, war mir nicht ganz klar. Doch mich störte, dass die Hunde nicht im Haus lebten, sondern separat untergebracht waren. Mit der Trainerin verstand ich mich super, zum Chef und Trainer war mein Bauchgefühl eher verhalten. Ich weiß sehr wohl, dass Sympathie nicht ausschlaggebend sein sollte, doch ich würde mit dem Trainer ein ganzes Hundeleben lang zusammenarbeiten müssen, und manchmal muss man auch sich selbst der Nächste sein.
Im Oktober entschied ich mich für die Schule einer netten, etwas aufgedrehten Frau irgendwo im Sauerland. Als wir uns kennenlernten, erläuterte sie mir die Vor- und Nachteile der zur Ausbildung in Frage kommenden Hunderassen. Mir gefiel, wie sie mit mir sprach und dass sie sich so viel Zeit für mich nahm.
Natürlich hätte ich gerne etwas Ausgefallenes gehabt, einen Königspudel zum Beispiel oder einen plüschigen, treuen weißen Schäferhund. Auf keinen Fall wollte ich einen undankbaren, verfressenen Labrador, dem es wie einer Katze völlig egal ist, von wem er das Fressen bekommt, Hauptsache, es ist verfügbar.
Ich lernte einige Hunde kennen, die in dem Rudel lebten, und sagte der Frau, was ich über die Tiere im Einzelnen dachte.
Zwei Tage später, nachdem ich ihr meine Entscheidung mitgeteilt hatte, es mit einem Führhund zu versuchen, erklärte sie mir, dass die Hündin „Gin Tonic“ gut zu mir passen würde, allein schon der Statur wegen. „Sie sind ja auch so eine Zarte.“
Also doch ein Labrador. Hm, ich war skeptisch. Reichte die Statur wirklich als Kriterium aus? Andererseits war es nicht der erste Hund, den die Frau vermittelte. Ich beschloss daher, ihr zu vertrauen.
An diesem Abend ging ich mit meiner Mitbewohnerin Greta in unser Lieblingsrestaurant. Dort wollte ich zur Feier des Tages Gin Tonic probieren. Greta warnte mich: „Gin Tonic? Ich hasse dieses Gesöff! Pass bloß auf, am Ende ist dieser Köter noch genauso ekelhaft wie das Zeug!“
Als das Glas vor mir stand, hob ich es an meine Lippen und nahm neugierig einen ersten Schluck. Was ich dann auf meiner Zunge schmeckte, war so ziemlich das Abartigste, was ich je zu mir genommen habe. Greta erstickte fast vor Lachen.
Der restliche Abend war eine Qual, denn ich bestellte mir Muscheln in Tomatensoße, auch diese zum ersten Mal, da sie nur in den Monaten mit „r“ angeboten werden. Ich konnte es kaum abwarten, sie zu probieren, doch ich wurde bitter enttäuscht. Ich hatte angenommen, die Muscheln wären bereits geschält. Stattdessen saß ich dort mit meinem Glas, das mir Schauer des Ekels durch den Körper jagte, und meinen blöden Muscheln, die ich aus der Schale pulen musste, und das in aller Öffentlichkeit. Ob all dies, wie Greta schon angedeutet hatte, ein Omen war?
Im Januar, so hieß es, sollte Gin gedeckt werden. Im März kämen dann die Welpen, anschließend sei die Kastration geplant. Im Juli könnten wir mit der Einarbeitung beginnen. Im Juli? Klasse!
Eigentlich hätte ich damals schon stutzig werden müssen. So ein hormoneller und emotionaler Stress für das arme Tier! Wenn man in dieser Branche das Wort „normalerweise“ benutzen darf, würde ein potenzieller Blindenführhund nicht vor der Einarbeitung noch gedeckt werden. Entweder wird das Tier zur Zucht eingesetzt oder als Führhund. Das ist zumindest meine Meinung.
Meine Entscheidung wurde noch bestärkt, als ich mit Luisa zusammentraf.
Luisa – da muss ich jetzt etwas ausholen:
Ich bin mit meinem früheren Grundschullehrer gut befreundet. Oft höre ich längere Zeit nichts von ihm, doch dann taucht er zu den unmöglichsten Zeiten völlig unerwartet auf. Zum Beispiel im Krankenhaus nach meiner Augen-OP, oder einmal beim Grillen an meinem Geburtstag. So war es auch dieses Mal. Er kam unangemeldet zu mir nach Hamburg, wir quatschten über dies und das, und dann erzählte er mir von einer Integrationsschülerin namens Luisa, die, wie