Sonnseitig. Schattseitig.. Anna Aldrian

Sonnseitig. Schattseitig. - Anna Aldrian


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      Anna

       Aldrian

      Sonnseitig.

       Schattseitig.

      Erzählungen

       aus dem Steirischen

       Himmelreich

      Inhalt

       Cover

       Titel

       ... folgt mir nun des Himmels Lust“

       Landaufenthalt

       Elias

       Fragen lass ich mich nicht noch einmal

       Sternentanz und Oboenklage

       Pinot noir

       Orgelton. Herz und Fuß.

       Herrand und Perchta

       Impressum

       Moments Musicaux, Franz Schubert D. 780 (op. 94), Moderato, Andantino, Allegro moderato, Moderato, Allegro vivace, Allegretto

      I

      Salziges

      Wiener Konzerthaus. Gold, Weiß und Rot und ein schwarz glänzender Bösendorfer Flügel. Ich habe einen wunderbaren Platz auf der Orgelempore ergattert, mit direktem Blick auf den Pianisten. János Kahn. Weiß schimmernd umrahmen seine Locken wie ein verhuschter Heiligenschein das weich gewordene Gesicht. In seinen Zügen ist die Musik versammelt, die seine Hände als erstes der sechs „Moments Musicaux“ in sanftem Schönklang entlassen, als spielte das Leben in leichtfüßigem C-Dur. Die fröhliche Tonart täuscht mich nicht. Mir rinnt Salziges über die Wangen. Ich sehe nichts mehr, nicht den Flügel, nicht den Pianisten, nicht die Konzertgäste. Ach Gott, es gibt genug Musik, bei der es geradezu zum guten Ton gehört, ergriffen zu sein. Nicht nur die Oper, auch die Kammermusik hat dazu einiges anzubieten. „Der Tod und das Mädchen“ rührt jeden. Aber kein Mensch vergießt über Schuberts „Moments Musicaux“ Tränen. Ein Taschentuch wäre jetzt nützlich. Ich wische mir mit dem Handrücken über die Augen. Jetzt kann ich den Pianisten wieder sehen. Hinter seinen geschlossenen Augen ist die Tür zu einer anderen Welt aufgegangen. Neue Tränen. Zu verloren, zu verzweifelt, zu todesschwanger ist das As-Dur des Andantino. Wenn János es spielt.

      „Moments Musicaux“. Momente der Seligkeit. Momente der Todesnähe.

      II

      Sonntagsstaat

      Lang ist es her. János Kahn war eine Zukunftshoffnung, brillant, genial und charmant. Alle Musikstudentinnen – ich unter ihnen – beteten ihn an. Er spielte hinreißend und war hinreißend anzuschauen, der schwarzlockige Ungar.

      Ich liebte ihn, wie man damals noch lieben konnte: aussichtslos und hingebungsvoll.

      Und weil mir das Herz von dieser Liebe überging, weil ich auch daheim, am Bauernhof, von János Kahn reden musste, sprudelte es eines Sonntags am Mittagstisch aus mir heraus: „Der weltbeste Klavierspieler, der János Kahn, gibt in Graz ein Konzert, im Stephaniensaal.“ Mitgerissen von meiner Begeisterung wollte ich dieses Glück mit jemandem aus meiner Familie teilen: „Wer von euch geht mit, am Samstagabend, zum Klavierkonzert vom János?“

      Gutmütiges Gelächter. Wer hätte schon Zeit und Lust für sowas. Ich wäre am liebsten aufgesprungen und weggerannt. Da fiel mein Blick auf die schweigend dasitzende Tante Pepi. Sie hatte nicht gelacht! Mir kam eine wahnwitzige Idee: „Dann geht eben Tante Pepi mit mir ins Konzert!“

      Erschrocken schaute sie mich an: „Das – das ist nur was für die Herrenleut.“

      Dass sie noch immer im Klassendenken verhaftet war und sich selbst in die unterste Schicht verwies, wirkte auf mich wie ein rotes Tuch.

      Jetzt erst recht!, dachte ich, und wusste schon, wie ich sie überreden würde:

      „Das ist wie in der Kirche, Tante Pepi. So ähnlich halt. Musik ohne Pfarrer.“

      So absurd es sich anhörte, so einfach war es. Tante Pepi hatte ihren Sonntagsstaat angezogen und präsentierte sich mir mit Vorfreude in den runden grauen Augen. Ein kleiner Garderobefehler: „Tante Pepi, das Kopftuch brauchst du nicht!“

      „Du hast gesagt, es ist wie in der Kirche, ich geh immer mit dem Kopftuch in die Kirche.“

      Es dauerte, sie zu überzeugen, dass sie mit ihrem damals schon grauen, im Nacken aufgesteckten Zopf passend „hergerichtet“ war.

      Dann hatte ich sie in meinen roten 2 CV gesetzt und war mit ihr nach Graz gefahren.

      III

      Tante Pepi

      Tante Pepi. Sie war die unverheiratete Schwester meiner Großmutter, also meine Großtante. Sie kam auf unseren Bauernhof, als ein Mann gebraucht wurde. Mein Großvater war im Krieg gefallen, die Großmutter mit fünf Kindern allein. „Die Pepi“, vierschrötig und zäh, arbeitete im Stall und am Feld für zwei. Der Hof blieb männerlos. Meine Brüder verdienten Geld auswärts beim Tunnelbau. Mein Vater war noch jung mit dem Motorrad verunglückt. In all den Jahren hatte sich Tante Pepi nie verändert, so kam es mir vor. Sie war für uns Kinder schon immer „alt“, eine Frau mit Männerhänden. Nie sahen wir sie ohne Kopftuch, merkten nicht, wann ihre blonden Haare grau geworden waren, merkten auch nicht, dass ihre unbezahlte Plackerei die Voraussetzung war, dass Großmutter die Landwirtschaft weiterführen konnte.

      Es wurde wenig geredet mit ihr. Tu dies! Mach das! Einsilbig sagte sie ihr Ja und Nein dazu, höchstens noch, dass die Kuh zum Stier müsse und dass morgen der soundso-vielte Sterbetag der Urgroßmutter sei. Sie hatte ein phänomenales Datengedächtnis. Die Nachbarn holten sie, wenn ein Schwein krank wurde oder eine Kuh nicht kälbern konnte. Im Stall trug sie Gummistiefel, sonst steiflederne hohe Schnürschuhe über strapazierfähigen Strümpfen, sommers und winters. Nur ein einziges Mal – ich war ein Schulkind – hatte ich ihr nacktes Bein gesehen: Sie war beim Mähen auf der steilen, taunassen Wiese ausgerutscht und auf die Sense gefallen. Die Wade, unglaublich weiß und von knotigen blauen Adern durchzogen, hatte heftig geblutet.

      Jeden Sonntag ging Tante Pepi zur Messe. Die Stunde in der Kirche war für sie ein feierliches Ausrasten. Ich saß gern neben ihr, sie konnte „zuwi-singen“, eine terzenschwangere zweite Stimme zu jedem Lied. Mit Inbrunst sang sie die deutsche Schubertmesse und das „Großer Gott, wir loben dich“ und all die innigen, alten Marienlieder.

      Manchmal hörte ich sie im Stall singen. „Am Brunnen vor dem Tore“ oder das Lied vom verliebten Bauernknecht, der sich am Berg zu Tode stürzt, „… das Edelweiß – so bluatigrot – halt fest er in der Hand“. Die Augen schwammen ihr dabei im Wasser, so wie jedes Mal, wenn eine Kuh zum Schlachter gebracht wurde.

      IV


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