Steirische Lausbubengeschichten. Martin Eichtinger

Steirische Lausbubengeschichten - Martin Eichtinger


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den Erfahrungswerten eingereiht.

      Glücklich, wer einen Ort hat, aus dem er entwachsen ist und mit dem er einen ewigen Faden der Zugehörigkeit gesponnen hat. Es ist Kraft, pures Lebenselixier, das ein solcher Ort ungefragt anbietet – injiziert.

      Das Dort-Sein ist der Wert an sich, das Dort-Leben wird zum Ereignis.

      Erst später lernte ich, dass dieses Land an der Mur auch eine sehr bewegte Geschichte hatte. Römer, Awaren, Slawen, Bayern, Ungarn, Türken kamen, siedelten und verließen das Land, nicht ohne Spuren zu hinterlassen. In Weitersfeld gab es ein Wasserschloss, das der Sage nach von einem grausamen Raubritter bewohnt wurde. Bis 1919 war die Auenlandschaft an der Mur kein Grenzgebiet. Die Katastrophen der beiden Weltkriege forderten von der Bevölkerung an der Mur große Opfer. Viele kehrten aus den Kriegen nicht mehr zurück. Noch heute gibt es keinen Ort entlang der Mur, der nicht auf einem Kriegerdenkmal die Namen der Gefallenen verzeichnen würde.

      Eine besondere Gruppe unter den Einheimischen in Weitersfeld bildeten die in der ehemaligen Untersteiermark beheimateten deutschsprachigen Steirer, die nach dem Ersten oder nach dem Zweiten Weltkrieg das heutige Slowenien verlassen mussten und sich – möglichst nahe ihrer ursprünglichen Heimat – ansiedelten. Oftmals hörte ich als kleiner Bub die Geschichten von den blühenden Landwirtschaften, die sie jenseits der heutigen Grenze besessen hatten.

      Durch große Regulierungsarbeiten an der Mur existieren viele der in diesem Buch beschriebenen Orte heute nicht mehr, Schlägerungen zur Vergrößerung der Ackerflächen haben das Gebiet weiter verändert. Viele der im Buch vorkommenden Personen leben heute nicht mehr. Noch immer gibt es, vor allem zwischen Lichendorf und Spielfeld, aber auch zwischen Gosdorf und Radkersburg dichte Auenlandschaften mit ihren natürlichen Schönheiten.

      Auch das Jugendparadies der Viererbande gibt es nicht mehr. Es lebt aber im Herzen derer weiter, die diese Zeit erlebt haben. Das vorliegende Buch stellt den Versuch dar, die Erinnerungen an Kinder und Jugendliche weiterzugeben und ihre Abenteuerlust zu wecken.

       (fur jüngere Leser)

      Stell’ dir vor, du darfst alles, was du in deinen Kinderbüchern liest, auch wirklich selbst erleben. Das wäre sehr anstrengend, aber auch wunderschön. Manches, was in Kinderbüchern steht, gibt es gar nicht: wenn es um Besucher von anderen Planeten geht, oder wenn Menschen hexen oder zaubern können wie Harry Potter.

      Anders ist es mit diesem Buch. Viele der Geschichten der Lausbuben kannst auch du erleben, wenn du neugierig bist und die Welt um dich herum entdecken magst. Das geht viel leichter, wenn du irgendwo am Land lebst. Dort kannst du Dinge tun, die in der Stadt einfach nicht möglich sind. Aber das Land ist nie weit von der Stadt entfernt, und wenn du lange genug bettelst, kannst du sicher mit den Eltern oder den Großeltern aufs Land fahren.

      Schön ist es, wenn man irgendwo eine längere Zeit auf dem Land wohnen kann. Denn die lustigsten Ideen bekommt man, wenn man seine Umgebung wirklich gut kennt. Dann kann man die Menschen beobachten und lernt auch die Blumen und Tiere kennen, die dort leben.

      Oft muss man sich auch sehr anstrengen, dass man die Menschen am Land versteht, wenn sie miteinander reden. Viele von ihnen sprechen einen Dialekt, das heißt sie verwenden Worte, die wir in der Stadt nicht kennen.

      Das Leben am Land ist langsamer als in der Stadt. Die Jahreszeiten sind sehr wichtig. Zu jeder Jahreszeit, Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter, gibt es bestimmte Arbeiten, die erledigt werden müssen. Und auch die Natur verändert sich rund um das Jahr. Wenn man am Land wohnt, dann lebt man mit der Natur.

      Lausbub sein ist nicht leicht. Ein echter Lausbub spielt Streiche, die lustig sind, aber niemandem wehtun. Wenn man nachdenkt, kommen einem immer Ideen, was man erforschen könnte. Für manche Streiche muss man mutig sein und darf keine Angst haben. In jedem Fall ist es viel lustiger, wenn man Lausbubenstreiche in einer Gruppe plant und zusammen mit anderen Kindern macht. Auch du kannst ein Lausbub sein!

      Dieses Buch soll dir Ideen geben, was man alles so anstellen kann. Manche Streiche, die wir gemacht haben, sind nicht so toll gewesen und wir haben gelernt, dass man gut überlegen muss, bevor man etwas tut, was schlecht ausgehen könnte.

      Jetzt wollen wir dich aber nicht mehr länger auf die Folter spannen. Ein bisschen musst du noch über uns und unsere Welt in Weitersfeld lesen, damit du dir vorstellen kannst, wie es dort aussieht. Aber dann geht es gleich los!

      Weitersfeld an der Mur. Wie waren wir hierher gekommen? Vater begleitete unseren Opa in den Nachkriegsjahren auf Fischausflüge in die Südsteiermark, und der war wieder durch irgendeinen Zufall hierher gekommen.

      Vater erzählte immer von den Zugfahrten von Graz und den Übernachtungen am Heuboden bei Bauern im Dorf. Noch vor dem Morgengrauen weckte sie meist die Kälte, sie standen auf und gingen an die Mur oder den Mühlgang fischen. Abends fuhren sie dann wieder mit der Bahn nach Graz.

      Solange ich denken kann, gibt es unser kleines Häuschen. Es steht in einem kleinen Garten mit einer großen Forsythienhecke darum herum. Es hat zwei Stockwerke und keinen Keller. Im Erdgeschoss haben wir eine kleine Küche mit einer Sitzecke, ein Wohnzimmer und eine Toilette. Im Wohnzimmer gibt es einen Dauerbrandofen, der das ganze Haus heizen soll, es aber im Winter niemals ganz schafft.

      Am Dachboden, auf den man über eine steile Holzstiege klettern muss, gibt es zwei Schlafzimmer mit je zwei Betten. Das Kinderzimmer im Süden und das Elternzimmer im Norden. Jedes hat ein Doppelfenster. Wenn wir aus dem Fenster schauen, sehen wir die Lichter der Papierfabrik im Ort Sladki Vrh in Jugoslawien.

      Hinter unserem Haus beginnt gleich ein dichter Wald. Im Norden gibt es eine kleine Lichtung, über die ein Weg in den Wald führt. Im Süden führt eine Wiese bis zum Mühlgang. Vor unserem Haus läuft die Straße vorbei. Sie kommt aus dem Dorf und führt zur Überfuhr. Aber dazu später.

      Die Straße aus dem Ort kommt kerzengerade auf unser Haus zu und überquert nur hundert Meter vor unserem Haus im Wald mit einer kleinen Holzbrücke den schmalen Schwarzabach. Sobald man an unserem Haus vorbeifährt, kommt man nach weiteren hundert Metern zum Mühlgang, der ein ganz ausgewachsener Bach ist. Über ihn führt eine Betonbrücke.

      Unser Haus liegt also in einem Dreieck zwischen der Straße und den beiden Bächen, die ein Stück hinter unserem Haus im Wald zusammenfließen und sich gemeinsam auf den Weg zur Mur machen.

      Vor unserem Haus liegen zwei Bauerngehöfte. Sie gehören zwei alten Bäuerinnen: Frau Sirf und Frau Počič. Beide sind seit langer Zeit verwitwet. Frau Sirf und Frau Počič haben Kühe und Schweine, Hühner, Katzen und besitzen viele Felder. Auf ihren Feldern wachsen Mais, Kürbisse und Kartoffel. Viele Felder sind aber auch ganz normale Wiesen voller Blumen und mit Gras, das als Futter für die Tiere verwendet wird.

      Beide Bauernhöfe haben ein Haupthaus und Nebenhäuser. In den Nebenhäusern befinden sich die Ställe und die Heuböden, die bald unser Lieblingsaufenthaltsort werden sollten. Davon aber später.

      Jeden Samstag nach der Schule fuhren wir nach Weitersfeld. Während der Volksschule und in den ersten Klassen meiner Mittelschulzeit fuhren wir mit dem Zug. Das war anstrengend, denn wir mussten alles, was wir in Weitersfeld haben wollten, tragen. In Spielfeld, an der Grenze zu Jugoslawien – heute Slowenien –, mussten wir in einen kleinen Bummelzug umsteigen, der von Spielfeld bis Bad Radkersburg fuhr. Weitersfeld lag etwa auf halbem Weg, kurz vor Mureck und nach Lichendorf. Eine kleine rote Diesellok zog drei oder vier ganz kleine Waggons.

      Diese Fahrtstrecke, die etwa eine Viertelstunde dauerte, war sehr aufregend. Vater nahm uns Buben nämlich auf die Plattform im Freien mit. Dort standen wir zwischen den Waggons in der frischen Luft, die im Sommer voll Mücken war und in der es sich im Winter so herrlich frieren ließ. Bei jeder Straßenkreuzung, bei jedem Feldweg, der das Bahngleis querte, stieß die Lok einen lauten Pfiff aus. Und es roch nach verbranntem Diesel. In den vorbeihuschenden Wäldern sahen wir oft Rehe. Auf den Feldern arbeiteten die


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