Andere Wesen. Theresia Heimerl
nicht als anderes Wesen, sondern fordernde und zu fördernde Gesprächspartnerin wahrnahmen und so die Begegnungen mit jenen Männern, die zur Wesensfraktion gehörten, mehr als kompensierten. Durch die kritische Distanz und die vielfältigen anderen Perspektiven, die mir meine ersten Studien an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät ermöglichten. Und ganz wesentlich durch die Chance, als Theologin an einer staatlichen Universität in einem von Rom nicht allzu reglementierten Fach und mit einem so gar nicht reglementierungssüchtigen, klerikalen Vorgesetzten arbeiten und mich habilitieren zu dürfen.
Ich gehöre zu den anderen Wesen, ohne mich als solches zu fühlen oder aus beruflichen Gründen als solches fühlen zu müssen. Diese Situation ermöglicht jenen Zugang, den die Ethnologie als „teilnehmende Beobachtung“ bezeichnet: Man oder eben frau ist durchaus bei seinem bzw. ihrem Forschungsobjekt, nimmt an verschiedenen Veranstaltungen der Erforschten teil, in der Ethnologie Stammesriten, in der katholischen Kirche Fronleichnamsprozessionen im Talar oder Treffen mit Bischöfen und ähnlichen Vertretern kirchlicher Amtsmacht, weiß aber, dass er oder sie immer wieder zurück kann in das sichere Büro an der Uni. Teilnehmend aber auch, weil mir als Theologin mit katholischer Sozialisation die Kirche nicht egal ist und ich als Katholikin an ihr nicht nur per Einzahlung des Kirchenbeitrags teilnehme, sondern Teil bin.
Der Ansatz der teilnehmenden Beobachtung ist in diesem Buch streng genommen jener der teilnehmenden Lektüre. Denn, um dies gleich vorweg klarzustellen: Es geht um Texte, nicht um pastorale Praktiken oder Statistiken. Gegenstand und Leitfaden durch die vergangenen 50 Jahre sind offizielle kirchliche Texte, die sich mit dem Thema Frau(en) befassen. Beginnend mit einem kurzen Absatz aus der Enzyklika Pacem in terris von 1963 sind es allesamt lehramtliche Texte unterschiedlicher Art, denen eine gewisse Verbindlichkeit zukommt, ohne dass sie deshalb Dogmen wären. Warum Texte, die nicht einmal alle braven Theologen, geschweige denn nicht ganz so brave Theologinnen gelesen haben? „Null Relevanz für die Praxis“, sagen Praktiker beiderlei Geschlechts off records. Kirche ist aber immer auch die Kunst, zwischen Text und Praxis zu vermitteln, und wo dies nicht gelingt, hat sie ein Problem – wie im Fall der Frauen. Es sind letztlich die Texte, an deren Anspruch Frauen in der Praxis oft genug scheitern und zerbrechen, weil sie ihm nicht gerecht werden können.
Die meisten Texte sind bereits historische Texte, die 1960er-Jahre für jemand meines Jahrgangs genauso Geschichte wie das Fin de Siècle oder die NS-Zeit. Und wie diese beiden Epochen wirken sie dennoch in unsere Zeit und vor allem in die Kirche hinein. Texte von Pacem in terris bis Über die Zusammenarbeit von Mann und Frau als historische Texte zu lesen, hat einen großen Vorteil: man sieht sie in einem zeitgeschichtlichen Kontext. Genau hier setzt dieses Buch methodisch an. Es hat den Anspruch, lehramtliche Texte über Frauen als Ergebnisse der Begegnung der Kirche mit der Welt des jeweiligen Heute von damals zu lesen. Freilich mit der nüchternen Prämisse, dass Begegnung, wenn es um das kirchliche Lehramt geht, niemals herrschaftsfreier Diskurs ist, sondern Konfrontation, Belehrung und Apologie. Dennoch ist es eine Begegnung, nicht selten auch ein Zusammenstoß mit der Welt „draußen“ und daher ist eine methodische Grundvoraussetzung dieses Buches, vor der Auseinandersetzung mit den Texten in kurzen Schlaglichtern die profanen Kontexte bewusst zu machen. Da es wirklich kurze Schlaglichter sein sollen, wurde hierfür ein zugegebenermaßen ungewöhnlicher Zugang gewählt. Anstatt wissenschaftlicher Zeitgeschichte oder gewichtiger politischer Positionen erlaube ich mir, mit Zitaten aus der Populärkultur einzusteigen, genauer gesagt aus Film, TV und Popmusik. Nicht, weil ich den Konzilsvätern oder ehrwürdigen Päpsten von Paul VI. bis Benedikt XVI. unterstellen wollte, derartige Trivialitäten gesehen oder gehört zu haben (wiewohl dies nicht ausgeschlossen werden soll, und bei Franziskus I. wage ich sogar eine sanfte Unterstellung), sondern weil gerade die sogenannte Pop- oder Massenkultur, jeglicher kirchlichen Einflussnahme unverdächtig, besonders schön den Zeitgeist widerspiegelt, wie ihn nicht nur einige wenige Konservative oder Feministinnen wahrgenommen, sondern viele Menschen erlebt haben. Vor diesem Hintergrund relativieren sich erstaunlich rasch manche harsche Kritiken am Frauenbild der jeweiligen Texte oder werfen ein überraschendes Licht auf deren Progressivität. Manchmal. Manchmal lässt sich auch einfach nur der tiefe und sich vertiefende Graben zwischen der profanen Welt und der Welt lehramtlicher Texte konstatieren. Aber lassen Sie sich überraschen.
Vielleicht überraschend und unorthodox, für strenge Kollegen aus der Wissenschaft womöglich sogar häretisch, ist auch sonst die Herangehensweise zum Thema Frauen in der Kirche. Keine Sekundärliteratur zum Konzil, keine systematischen Begriffsbestimmungen, keine saubere Beweisführung gegen den recht eigenen Umgang dieser Texte mit biblischen Zitaten.
Dieses Buch ist ebensowenig die x-te wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konzil oder späteren kirchlichen Texten wie es eine Abrechnung aus persönlicher Betroffenheit ist. Es möchte vielmehr ein interessierter, kritischer, manchmal zynischer und hoffentlich unterhaltsamer Diskurs sein. Herrschaftsfrei ist er in meinem Fall angesichts der klaren hierarchischen Verhältnisse in jedem Fall. Ein Diskurs mit den Texten, der ganz bewusst von der Position der Autorin ausgeht: Nach dem Konzil geboren, katholisch-intellektuell aufgewachsen, zu einem guten Teil mit Menschen befreundet, denen die katholische Kirche im Allgemeinen und ihre Lehren zum Thema Frau genauso fremd sind wie das platonische Reich der Ideen oder sogar noch fremder; außerordentliche Professorin an einer katholisch-theologischen Fakultät an einer staatlichen Universität für ein Fach, das genau den hier erörterten Zugang für sich in Anspruch nimmt: Die Religionswissenschaft ist im Diskurs mit der Religion, sie ist sich dessen bewusst, dass sie zumindest bei gegenwärtigen Religionen nie vollkommen von außen betrachten kann, aber sie steht auch nicht mittendrin. Sie versteht die Aussagen einer Religion in ihrem historischen und kulturellen Kontext.
Aus dieser Position und Perspektive ist das Buch entstanden und erfolgt der Diskurs mit den Texten. Und noch ein Bekenntnis und auch eine Vorwarnung für so manche geistliche und weltliche Leser und Leserinnen. Dieses Buch ist ein klares Bekenntnis zur Postmoderne. Nicht nur, dass der Begriff des Öfteren und ohne Anführungszeichen verwendet wird. Die gern beklagte postmoderne Unübersichtlichkeit und Fragmentiertheit ist erstens vielleicht nicht nur postmodern (vgl. 1Kor 13,9), sondern der normale Zustand der Welt nach dem Sündenfall, und zweitens meines Erachtens der ertragreichste Zugang zu derart divergierenden und manchmal konvergierenden Parallelwelten, wie sie die behandelten Texte in ihrer jeweiligen Umgebung darstellen, ohne andere verdienstvolle Zugänge und Ansätze damit ausschließen zu wollen. Zu jeder Überlegung dieses Buches lässt sich mindestens eine Gegenthese finden, zu jedem Gedankengang ein alternativer Weg, manchem wird manches fehlen, anderes in anderer Perspektive abgehen. Und, ja, manche Überlegungen sind wirklich schräg – nicht jede und jeder muss sich auf sie einlassen.
Selbst wenn Frauen noch andere Wesen sind – sie sind immer ein sehr pluraler Plural. Für manche von ihnen werden die Überlegungen dieses Buches eine Zumutung sein: zu respektlos, zu wenig feministisch, zu feministisch, zu wenig historisch, zu wenig pastoral, zu persönlich, zu unpersönlich, zu viel Sex, zu wenig Sex, zu … Das Buch ist vermutlich insofern geschlechtergerecht, als es nicht nur für manche Männer, sondern genauso Frauen eine Provokation sein kann und sein will.
Provokation heißt wörtlich „Hervor-/Herausrufung“. Und das will dieses Buch auch sein. Ein Herauslocken aus befestigten Stellungen, aus selbst auferlegten Denkverboten, aus Selbstzufriedenheit und Resignation. Denn zu Ende ist die Diskussion um Frauen in der Kirche noch lange nicht. Was mit einem Absatz in Pacem in terris und fünf Kapiteln in Gaudium et spes begonnen hat, wird nicht mit Instrumentum laboris und der bevorstehenden Familiensynode enden. Gerade das Vorbereitungsdokument für diese Synode ist das beste Beispiel dafür, wie bruchstückhaft die Rede über Frauen mittlerweile in der Kirche geworden ist. Wie unübersichtlich und wenig harmonisch Bausteine aus den zuvor verfassten und hier behandelten Texten aneinandergefügt und um neue ergänzt werden – und wie viel sich verändert hat und wie viel mehr sich noch verändern kann als die vorhergehenden Texte, ja, selbst die erste Fassung von Instrumentum laboris aus 2014 erhoffen ließen. Und das ist gut so. Die Tradition und die Gegenwart sind kein abgeschlossenes Ganzes, sondern eine widersprüchliche Vielfalt – allein das offenzulegen macht Instrumentum laboris in beiden Versionen zu einem lesenswerten und wegweisenden Text. Erst in der Zusammenschau mit den anderen Texten seit 1963 offenbart sich aber, was manche Frau angesichts ihrer konkreten Situation in der Kirche bezweifelt: