Digital Mensch bleiben. Volker Jung

Digital Mensch bleiben - Volker Jung


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zu beantworten und mir über das Netz Informationen zu beschaffen. Ich habe neue Technik immer sehr gerne genutzt, wenn ich den Eindruck hatte: Das hilft mir jetzt bei meiner Arbeit und bei der Kommunikation. So halte ich es auch heute. Zögerlich war ich bei Facebook, weil ich dachte, dass es zu viel Zeit beansprucht. Seit zwei Jahren nutze ich Facebook, und zwar als sogenannte „Person des öffentlichen Lebens“. Ich poste in meiner Funktion als Kirchenpräsident und habe es ganz gut in meine Arbeit integrieren können. Was dort zu lesen ist, schreibe ich selber. Die Öffentlichkeitsarbeit unserer Kirche unterstützt mich nur insofern, als sie für Bilder sorgt und Verweise auf andere Berichterstattungen hinzufügt.

      Die digitale Technologie hat Kommunikation verändert und damit für sehr viele Menschen auch das tägliche Leben. Das ist offenkundig. Digitalisierung ist allerdings weitaus mehr. Digitale Technologie durchdringt nahezu alle Lebensbereiche. Deshalb wird sich vieles weiter verändern. Büros sind schon lange ohne Computer nicht mehr vorstellbar. Aber die Entwicklung geht weiter. Viele Routineaufgaben, aber nicht nur die, können von Systemen erledigt werden, die über sogenannte Künstliche Intelligenz (KI) gesteuert werden. Dies wird die Arbeitswelt verändern, und zwar nicht nur in den großen Fabrikhallen der industriellen Fertigung. Unsere unmittelbare Lebenswelt in unseren Wohnungen und Häusern wird immer digitaler werden. In der Medizin geschieht bereits vieles, Diagnose und Behandlung in Krankenhäusern und Arztpraxen werden sich wandeln. Es eröffnen sich großartige Möglichkeiten – manches, wovon Menschen immer geträumt haben. Zugleich macht das auch vielen Menschen Angst. Wo wird das hinführen? Machen wir uns als Menschen vielleicht sogar selbst überflüssig? Werden uns die Maschinen, die wir bauen, irgendwann beherrschen?

      Ich bin überzeugt: Es ist richtig, solche Fragen zu stellen und Digitalisierung nicht einfach geschehen zu lassen. Sie muss gestaltet werden. Deshalb sollte mehr darüber nachgedacht und geredet werden. Es muss auch manches geklärt und entschieden werden. Mit diesem Buch möchte ich dazu einen Beitrag leisten. Was ich anbiete, ist ein Versuch, besser zu verstehen, was durch die Digitalisierung geschieht, und klarer zu erkennen, wo und wie wir handeln müssen. Ich schreibe nicht als Fachmann für Digitalisierung, sondern als Theologe und Pfarrer in einer kirchenleitenden Funktion. Dies mache ich, weil die Digitalisierung natürlich auch die Kirche herausfordert. Aber das steht für mich hier nicht im Vordergrund. Ich bin überzeugt, dass mit der Digitalisierung Grundfragen menschlichen Lebens berührt sind. Und darauf gibt es auch eine theologische Sicht, die ich für hilfreich und orientierend halte.

      Im ersten Abschnitt beschreibe ich, warum die Digitalisierung eine so große Veränderungskraft hat. Mit der Digitalisierung sind sehr weit gespannte Erwartungen, ja sogar Erlösungsfantasien verbunden. Darum geht es im zweiten Kapitel. Der dritte Teil nimmt Entwicklungen in der Kommunikation, der Lebens- und Arbeitswelt, der Medizin und der Künstlichen Intelligenz in den Blick. Am Ende skizziere ich, was uns als Einzelne und als Gesellschaft herausfordert, und mache auch Vorschläge, was meines Erachtens zu tun ist.

      WARUM DIE DIGITALE VERÄNDERUNG SO VIEL KRAFT HAT

       Energie aus dem Tal

      „Die digitale Revolution ist keine Frage, die man bejaht oder verneint, sie findet statt. Und sie ist noch wirkmächtiger als die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts – vor allem ist sie sehr viel schneller. Ihre Geschwindigkeit ist atemberaubend.“1 Das hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem Focus-Interview am Anfang dieses Jahres gesagt. Revolution ist ein starkes Bild. Es zeigt an, dass sich etwas grundlegend verändert und dass hier eine große Veränderungsdynamik wirksam ist. Wer betonen will, dass die Veränderung ein längerer Prozess ist, spricht lieber von „digitaler Transformation“. Aber auch damit ist angezeigt, dass es um grundlegende Veränderungen geht. Welche Kräfte sind wirksam?

      Die Dynamik der Veränderung hat einen Ursprungsort. Es ist das Silicon Valley – jener Landstrich an der Westküste der Vereinigten Staaten in der Nähe von San Francisco. Im Silicon Valley „schlägt das Herz der Digitalisierung“2. Dort haben die großen Firmen Apple, Google und Facebook ihren Sitz. Geschätzt etwa dreißigtausend sogenannte Startups arbeiten daran, ihre Ideen in Produkte umzusetzen. Viele träumen davon, selbst Bahnbrechendes zu entwickeln. In der Sprache des Valley sind das „Moonshots“ (Mondschüsse), die im Idealfall aus dem Startup ein „Unicorn“ (Einhorn) werden lassen. „Unicorns“ sind Unternehmen, die mindestens eine Milliarde Dollar wert sind.

      Verschiedene Faktoren haben aus dem Silicon Valley einen ziemlich einzigartigen Ort gemacht. Da sind die beiden Elite-Universitäten Stanford und Berkeley, die im 19. Jahrhundert gegründet wurden. Beide Universitäten haben hervorragende Köpfe hervorgebracht. Um die Stanford Universität entstand in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts ein eigener Industriepark. Hier haben große Elektronikunternehmen wie Hewlett-Packard ihren Ursprung. Bedeutsam ist ebenfalls, dass mitten im Silicon Valley das Moffet Federal Airfield liegt. Das wurde 1933 gebaut und im 2. Weltkrieg zu einem zentralen Militärflughafen. Um das Airfield herum haben sich dann Rüstungs- und Technologiekonzerne angesiedelt, die später auch für die Raumfahrt arbeiteten. Die ersten Computer Mitte des 20. Jahrhunderts waren Großcomputer, die vom Militär und großen Unternehmen genutzt wurden. Gern wird mit Blick auf jene Anfänge die herrliche Fehleinschätzung des IBM-Vorsitzenden Thomas Watson aus dem Jahr 1943 zitiert. Er soll gesagt haben: „Ich denke, es gibt einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer.“ Dass es ganz anders kam, hat dann auch mit einer Entwicklung in den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu tun. Sie ist bis heute für die Mentalität und die Arbeitsweise im Silicon Valley prägend.

      Die 60er- und 70er-Jahre waren die Zeit, in der viele junge Menschen nach Freiheit, Emanzipation, Gerechtigkeit und Frieden suchten. Einige davon arbeiteten daran, die Computertechnologie für möglichst viele Menschen nutzbar zu machen. Dazu gehörten unter anderem Bill Gates und Steve Jobs. Der gemeinsame Gegner hieß anfangs IBM. Im Silicon Valley gab es so etwas wie eine antimonopolistische Gegenbewegung. Diese wiederum wurde dann von IBM mit der Produktion von PCs beantwortet. Sehr bald war allerdings auch den Idealisten im Silicon Valley, die anfangs ihre Ideen und ihre Software in Computer-Clubs miteinander teilten, klar, dass sie damit gut Geld verdienen können würden. Die Geschichte ist im Einzelnen sehr spannend. Hier will ich mich aber schlicht damit begnügen, an die Ideale des Anfangs zu erinnern. Denn – das ist der Grund für diese Reminiszenz – sie sind durchaus noch wirksam. Sie sind längst eingebettet in knallharte Ökonomie mit Monopolisierungsansprüchen. Was entwickelt wurde, war höchst einträglich. Bill Gates wurde mit Microsoft zu einem der reichsten Menschen unserer Zeit. Und Steve Jobs hat Apple in schwindelerregende Erfolgshöhen geführt.

      Um Digitalisierung zu verstehen, ist es aufschlussreich, sich klarzumachen: Hinter der Entwicklungsdynamik, die natürlich längst nicht mehr nur im Silicon Valley zu finden ist, stecken Ideale. Das ist plakativ etwa erkennbar im Motto von Google: „Don’t be evil!“ („Sei nicht böse!“). Auch im Unternehmen selbst gab es Debatten darüber, ob dies nicht zu naiv sei. Larry Page, einer der Gründer von Google, macht allerdings immer wieder deutlich, was ihn antreibt: „Wir denken viel über grundlegende Problemfelder der Menschheit nach und wie wir sie durch Technologie lösen können.“3 Und angeblich hat er in seinem Büro eine Liste mit den wichtigsten Problemen der Menschheit, die er nach und nach abarbeiten möchte. Was Larry Page beschreibt, ist durchaus eine Grundmotivation im Silicon Valley. Es geht darum, Produkte zu entwickeln, die für Menschen nützlich sind und deshalb das Leben und die Welt verbessern.

      Darüber, ob das Nützliche die Welt verbessert, lässt sich selbstverständlich streiten. Im Silicon Valley grenzen sich jedenfalls viele von den Investmentbankern an der Ostküste ab. „Wir verdienen nicht Geld mit Geld, sondern mit Nützlichem.“ Das ist das Selbstverständnis. Sie sind natürlich zugleich davon überzeugt, dass das, was nützlich ist, auch Geld bringt. Noch einmal Larry Page im Originalton: „Schauen Sie, am Anfang wussten wir nicht, wie wir mit der Suchmaschine Geld verdienen sollten, sondern wir haben erst einmal die Technologie entwickelt. Mit dem selbstfahrenden Auto wird es ähnlich sein. Es ist ein Produkt, das Einfluss auf fast die gesamte Menschheit haben wird. Und deswegen wird es auch ein riesiges Geschäft werden. Ich bin mir absolut sicher, dass wir damit ordentlich Geld verdienen werden, auf welche Art auch immer.“4


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