Hochsensibilität und Depression. Reinhold Ruthe
Elternhäuser die Störfelder?
Wie können hilfreiche Widerstandskräfte im Menschen mobilisiert werden?
Wie kann der christliche Glaube helfen, besser mit allen auftauchenden Konflikten umzugehen?
Ich hoffe, dass die Betroffenen sich selbst besser verstehen, Möglichkeiten der Veränderung erkennen und nicht weiter resignieren. Dass sie ermutigt werden, mit Gottes Hilfe ihr Gewordensein anzunehmen – nicht nur dagegen anzukämpfen – und gangbare Wege und neue Quellen aufzuspüren, die hohe Empathie wirkungsvoll einzusetzen und sich nicht aufzugeben.
Ich wünsche mir, dass das Wort der Bibel für die Betroffenen wahr wird:
„Alle eure Sorgen werfet auf ihn; denn er sorgt für euch.“ (1. Petrus 5,7)
Ich wünsche mir,
– dass einige das Werfen lernen,
– dass einige ihre belastenden Muster verändern,
– dass einige aus niederdrückenden und zerstörerischen Erfahrungen herauswachsen und mit Gottes Kraft neue Glaubens-, Einstellungs- und Umgangsmuster praktizieren.
Viele Regeln und Änderungsmuster werden genannt. Jeder sucht die Hilfen heraus, die ihm nützlich und angemessen erscheinen.
Kapitel 1
Wie verstehen wir das Zusammenspiel von Hochsensitivität und Depression?
Wenn wir das Zusammenspiel von Hochsensitivität und Depression verstehen wollen, müssen wir uns mit der Entstehung sowie der wissenschaftlichen Begrifflichkeit vertraut machen. Mit liegt am Herzen, die Problematik so verständlich wie möglich darzustellen.
Was ist Hochsensitivität?
Einige unterschiedlich benutzte Begriffe stehen im Raum:
– Hochsensibilität
– Hochempfindsamkeit
– Hochsensitivität
– Hochempfindlichkeit
– Hypersensibilität
– Überempfindlichkeit
Der letzte Begriff klingt sehr negativ, obschon etliche Betroffene sich hier einordnen würden. Zwei Begriffe werden heute am meisten verwendet: Hochsensibilität und Hochsensitivität. Da die meisten Betroffenen mit allen Sinnen reagieren, gebe ich letzterem Begriff den Vorzug. Schauen wir im Wörterbuch nach, was mit den einzelnen Begriffen gemeint ist, ergibt sich folgende Erklärung:
empfindsam = | gefühlvoll, zart empfindend, aufnahmefähig für Reize und Eindrücke; |
empfindlich = | empfänglich für Reize, leicht verletzbar, zimperlich, wehleidig, weichlich, leicht zu beleidigen; |
sensitiv = | leicht reizbar, überempfindlich, feinnervig; |
sensibel = | reizempfindlich, empfindsam, feinfühlig (zu lat. sentire = fühlen, empfinden, wahrnehmen). |
Im Vorwort wurde schon einiges erklärt. Was sind die Wahrnehmungen, die Bedürfnisse, die Begabungen und die Schwächen dieser Persönlichkeit?
Zunächst gehen Wissenschaft und Forschung davon aus, dass Hochsensitivität schon bei der Geburt vorhanden ist. Man sagt, dass in zwei von drei Fällen die Anlage von der Geburt an vorhanden ist. Viele Hirnforscher sprechen nicht mehr von klarer Vererbung, weil – unabhängig von den Genen – der kleine Mensch im Mutterleib neun Monate mit den Gefühlen, Gedanken und Problemen der Mutter eingedeckt wurde. Bei einem Drittel wird Hochsensitivität durch Traumatisierungen in der Kindheit, durch schwere Benachteiligung, Vernachlässigung, Scheidung der Eltern und weitere negative Lebensereignisse hervorgerufen. Davon wird später ausführlich die Rede sein. Leib, Seele und Geist verarbeiten und verinnerlichen die Erfahrungen.
Jeder 5. Mensch ist von Hochsensitivität betroffen. Kinder beiderlei Geschlechts reagieren ähnlich. Nicht nur für den Menschen trifft das zu, sondern auch für die höheren Säugetiere wie Katzen, Hunde, Pferde und andere Tiere.
Hochsensitivität ist eine Begabung und ein Geschenk
Hochsensitive Menschen reagieren mit ihren Sinnesorganen stärker auf alle Reize von innen und außen. Sie besitzen eine feinere und detailliertere Wahrnehmung für Farben, Geräusche, Musik und die Luft. Wer doppelt und dreifach so viele Sinnesreize und Emotionen in derselben Zeit wie andere erfassen und verarbeiten kann, der muss sehr stark sein. Die Empfindungen anderer Menschen, Leid, Konflikte, Probleme, Frust, Verunsicherung, Enttäuschung und Ärger überfluten geradezu den Hochsensiblen. Sie werden schneller und intensiver wahrgenommen. Viele Künstler, Maler, Schriftsteller, Architekten und Grafiker finden sich unter den Hochsensitiven.
Sie haben einen Sinn
– für Harmonie und Schönes,
– für Formen, Bilder und Gedichte,
– für Farben und Ästhetik.
Haut und Tastsinn reagieren empfindsamer auf Temperaturen, auf Druck, Hitze und Kälte. Hochsensitive Ärzte spüren Unregelmäßigkeiten bei Patienten häufig schneller und besser.
Die prophetische Begabung vieler Hochsensitiver
Ihre feinen Antennen und ihre spirituelle Offenheit machen sie empfänglich für übernatürliche Phänomene. Wenn sie Christen sind, entwickeln sie eine innige Beziehung zu Jesus. Bibeltexte und Predigten werden gründlicher aufgenommen, länger und nachhaltiger diskutiert. Sie lesen zwischen den Zeilen und sind prädestiniert, übersinnliche Botschaften zu empfangen. Ihnen gelingt es oft leichter, Texte, die Jahrtausende alt sind, in die Gegenwart zu übersetzen. Andere Christen in den Gemeinden, denen man eine hohe Realitätssicht nachsagt, haben mit diesen hochsensitiven Christen Schwierigkeiten.
Ihre Gebete und Gedanken berühren ihren gesamten Organismus.
– Sie spüren Gottes Gegenwart,
– sie hören Gottes Stimme,
– sie erleben seine Nähe,
– sie werden von Gefühlen der jenseitigen Welt überwältigt.
Hochempfindliche besitzen auch ein reicheres Innenleben als der Durchschnitt. Stimmungen aus Film, Musik und dem geistlichen Leben werden differenzierter wahrgenommen. Sie können gründlicher und einfühlender darüber berichten.
Weiter besitzen diese Menschen eine spezielle Intuition für Probleme, Konflikte und Gefühle anderer Menschen.
Sie sehen mehr,
sie fühlen mehr,
sie empfinden mehr.
Darum sind unter Beratern, Seelsorgern und Helfern viele Hochsensitive zu finden, die es verstehen, sich durch Einfühlung und eine gekonnte Fragestellung in die Gemütswelt des Ratsuchenden einzuarbeiten.
Hochsensitivität kann auch negativen Stress auslösen
Doch es gibt auch Schattenseiten dieses Geschenks. Weil hochsensitive Menschen so feinempfindlich sind, reagieren sie mit allen Sinnesreizen überstimuliert. Anderen gegenüber agieren sie
– gehemmter und schüchterner,
– vorsichtiger und zurückhaltender,
– angespannter und nervöser,
– verletzter und mimosenhafter,
– unverstandener