Kalypsos Liebe zum kalten Seerhein. Chris Inken Soppa

Kalypsos Liebe zum kalten Seerhein - Chris Inken Soppa


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      Sie wollen … du willst mich nicht hier haben, stellt Hektor fest. Das Licht überzeichnet seine blonden Haare so grell, als gehörten sie nicht zu ihm. Seine Schultern sind breit wie die eines Surfers oder Landarbeiters, sein dunkler Pullover ist großmaschig und zu einem dünnen Netz auseinandergezerrt; darunter entdeckt Niks ein helles T-Shirt, das lange Ärmel haben muss, sonst wäre ihm doch viel zu kalt. Nichts an ihm erinnert sie mehr an Karen; die unausgefüllte Stille ist der einzige Beweis, dass Karen eben noch hier war.

      Hektor wendet den Blick wieder zum Fenster. Er wirkt viel gelassener, wenn Karen nicht dabei ist. Als wäre es ihm piepegal, was Niks von ihm hält. Niks kennt die jungen Leute, die sich Zeit lassen beim Reden. Aus deren Pausen keine Furcht spricht. Die sich phlegmatisch immer wieder korrigieren, bis sie ihren Gedanken korrekt formuliert haben. Unbeirrt gehen sie davon aus, dass man ihnen bis zum Ende zuhört.

      Ich werd bestimmt bald etwas anderes finden. Hektor fährt sich mit den Fingern durch die Haare. Er stützt die Ellenbogen auf die Knie, sein Kinn in die Hände und starrt auf die dämmrigen Lindenwipfel, die im Lampenschein zu dunklen, spitz zulaufenden Silhouetten geworden sind..

      Du kannst hier bleiben, solange du möchtest, sagt Niks.

      Vielen Dank. Hektor richtet sich auf. Es ist nur …

      Bitte?

      Hektor lächelt. Ich muss morgen früh aufstehen. Kann ich zuerst ins Bad?

      Ulla ist in Tränen aufgelöst. Ihre Stirn lehnt an Niks Schulter, sie heult wie eine Katze im Sack. Niks atmet mit Ullas Schluchzern mit, tätschelt Ullas Schulter. Ihr Pulli ist vorne schon ganz durchweicht, und sie versteht nicht, was Ulla ihr sagen will. Ulla atmet Schleim und Pulloverstoff ein, ihre Äußerungen sind dumpf und unerfreulich.

      Alte Leute sollten sich nicht so gehen lassen, findet Niks, das ist im wahrsten Sinne des Wortes überflüssig.

      Was los sei, fragt sie.

      Ulla legt den Kopf zurück und zeigt rotgeränderte, wässrige Augen. Mein Sohn. Er wird heiraten.

      Ullas Sohn geht auf die Vierzig zu, ganz in Grau und zuverlässig. Sein Haaransatz hat sich bereits vor Jahren Richtung Tal verschoben. Niks hat es nicht für möglich gehalten, dass er jemals heiratet. Dabei ist er nett. Er sammelt alte Feuerwehrhüte und zur fünften Jahreszeit probiert er sie aus.

      Die Schlampe kennt ihn noch nicht mal ein halbes Jahr, und jetzt ist sie schwanger von ihm, schluchzt Ulla.

      Niks zupft an den feuchten Stellen ihres Pullovers. Das müsste dir doch bekannt vorkommen. Außerdem wünschst du dir einen Enkel.

      Ulla schüttelt den Kopf. Meine Töchter sind beide Mitte dreißig und wissen genau, in welcher Welt sie leben. Da kann ich mich auf sie verlassen. Susi hat ihren Produktdesigner, und Gabi arbeitet bei der Deutschen Bank. Sie haben genügend Geld, Erfahrung und tickende biologische Uhren. Was passiert also?

      Niks hebt beide Hände und mimt trockene Ratlosigkeit.

      Gar nichts passiert, fährt Ulla fort. Die beiden sind völlig ausgereift. Ich hab keine Ahnung, worauf sie warten. Stattdessen ausgerechnet Peter.

      Womöglich ist es seine letzte Chance, erwachsen zu werden.

      Das sagst ausgerechnet du, kreischt Ulla.

      Niks fürchtet, Ulla könnte sie wie früher an den Haaren ziehen. Was hast denn du der Welt gegeben? Kein Kind, keine Familie, keine Wärme, nichts, das bleibt und weitergeht. Und da erlaubst du dir, über meinen Sohn zu urteilen!

      Niks schenkt Kräutertee nach, gönnt sich ein Plunderteilchen mit Sahnekringel obendrauf. Der Sohn von Karen wird für eine Weile bei mir wohnen. Sie hofft, Ulla mit diesen Worten aus ihrer ichbezogenen Trübsal herauszureißen, doch Ulla hört nicht. Niks mustert Ullas Säulenkörper, das verschwindende Kinn, die wässrigen Beine, die sie unter weinroten Samthosen versteckt hält. Die frühere Ulla hatte fliegende, seidige Haare; sie ging mit drahtiger Anmut ihres Weges, und die dunklen Ringe unter ihren Augen schienen gewollt, als Spiegelung ihrer immerschwarzen Klamotten, die ihren Blick noch intensiver machte. Es ist anstrengend, einen Menschen lange zu kennen. Die Erinnerung verwandelt Ullas Anblick in ein Kippbild der Vergänglichkeit.

      Was ist dein Problem?

      Mein Problem? Ulla streicht sich sichtbar angewidert über ihre künstlichen, grauen Locken. Mein Sohn ist viel zu gutmütig. Das hat er von mir. Und jetzt kommt diese … diese …

      Frau, sagt Niks.

      Meinetwegen. Ich hatte ein anderes Schimpfwort im Sinn. Auf jeden Fall ist sie nicht in der Lage, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Sie hält sich für eine Künstlerin, dabei ist sie bloß faul. Und Peter soll es ihr richten, damit sie nie wieder arbeiten muss.

      Dafür bekommt sie sein Kind. Das ist der Deal.

      Was heißt schon Deal! Du hast so eine mechanistische Ansicht von der Liebe. Hier geht es um Schöpfung. Ulla hustet und putzt sich lautstark die Nase. Niks muss schmunzeln. Auf ihre alten Tage ist Ulla ungemütlich fromm geworden. Nicht schlecht für eine Frau, die über den Tod von Andreas Baader einst bittere Tränen vergoss, weil sie keinen Himmel für ihn wusste.

      Das Kind wird dich sicher mögen, beruhigt Niks.

      In vielen Filmen und Theaterstücken gehört Bewegung zum Charakter. Menschen rennen oder klettern in unpassender Kluft. Entführte Jungfrauen krabbeln im zerrissenen Hochzeitskleid Mauern hoch. Anwälte, von Gangstern verfolgt, springen im Smoking von einem Hausdach zum nächsten. Romantiker tragen Blumensträuße, lassen sich vom Regen durchnässen und laufen dem nächstbesten Taxi nach, um die verpasste Liebe doch noch einzuholen. Der Blick des Zuschauers landet auf muskulösen Waden unter flatterndem Rocksaum, auf der anmutigen Kurve, die ein Körper beschreibt, wenn er fast aus der Bahn fliegt, auf schlenkernden Armen und wippenden Haaren: winzige Ausschnitte, wie von Blitzlicht gemalt, kürzer und eindringlicher als die träge Wirklichkeit. In Ullas Gesicht schienen die Gefühle einst ineinanderzufließen, beim Reden lief ihre lebhafte Gestik den Betonungen ihrer Stimme entgegen, was einen erst recht dazu brachte, ihr zuzuhören. Ihr Gang war orthopädisch korrekt, er machte sie schnell. Niks erinnert sich, wie sie vor Ulla davonlief. Sie hatte versprochen, nach der Vorlesung am Haupteingang der Universität auf sie zu warten. Doch als sie Ulla männerumringt auf sich zukommen sah, in ihrer Alltagstracht aus reichem Haar und schwarzen, zipfeligen Klamotten, mit ihrer Ledertasche unter dem Arm und dem freien Lachen, das sich hell über die anderen Stimmen erhob, hielt es Niks nicht länger aus. Sie wandte sich ab, stieß so heftig gegen die Drehtür, dass sie davon auf die Straße katapultiert wurde, stürzte beinah, fand ihr Gleichgewicht wieder und rannte in Richtung Parkplatz, bis ihr die Kehle brannte. Doch Ulla hatte keine Mühe, sie einzuholen. An der Schranke packte sie Niks am Kragen und brachte sie unsanft zum Stehen. Sie flocht ihre Finger durch Niks’ Haare und zerrte sie zurück.

      Was soll das? Willst du mich hier vor allen Leuten lächerlich machen?

      Niks gab keine Antwort. Der Schmerz auf ihrer Kopfhaut erinnerte sie an Ohrfeigen und ausgerissene Strähnen und trieb ihr demütigendes Wasser in die Augen.

      Ich hab drei Verabredungen abgesagt, nur damit ich mit dir einen Kaffee trinken kann, und jetzt rennst du vor mir davon. Bist du verrückt?

      Niks hob die Hand und versuchte, Ullas Finger aus ihren Haaren zu lösen. Sie sah Wasser auf Ullas Jacke tropfen. Einen Moment stand es glänzend auf dem schwarzen Stoff, dann sickerte es weg. Ich muss heim, sagte Niks. Es geht mir nicht gut.

      Sofort nahm Ulla ihre Finger zurück. Ihr Zorn schlug in neugierige Besorgnis um. Was ist los? Bist du krank? Niks schüttelte den Kopf und schämte sich. Ihre Mutter hatte ihr früher verboten, Blessuren oder Unwohlsein vorzutäuschen. Nein, mir fehlt nichts. Ich möchte nur allein sein.

      Nichts hinderte Niks am Gehen. Ihre Haare waren längst wieder frei.

      Ulla zuckte mit den Achseln. Wie du willst.

      Im Schutz des Kollektivs durfte man neugierig aufeinander sein, der Einzelne war austauschbar. Wie leicht würde Ulla eine neue Freundin finden. Sie wandte sich


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