Ich höre, was die Seelen sprechen. Vicki Monroe
hatte sie sehr geliebt und hörte nun gebannt zu, da Vicki anscheinend alles über sie wusste. Während der Gruppensitzung erwähnte sie, dass sie auch Einzelsitzungen abhält. Ich spürte das starke Verlangen, allein mit ihr zu reden. Am nächsten Tag machte ich einen Termin für eine Einzelsitzung zwei Monate später aus. Ich ahnte nicht, dass ein simpler Anruf und eine Sitzung mein ganzes Leben verändern würden!
Dann kam der Tag, an dem ich meinen Termin bei ihr hatte. Es war ein kalter, grauer Dezembermorgen. An der Haustür empfing mich Vickis Mutter und führte mich in ein gemütliches Zimmer, in dem ich auf Vicki wartete. Als sie den Raum betrat, war sie leger in Jeans und Pullover gekleidet, und wir kamen nach einer kurzen Begrüßung gleich zur Sache. Ich bin sicher, dass sie sich seit der Gruppensitzung nicht mehr an mich erinnern konnte. Dazwischen lagen zwei Monate, in denen sie vermutlich hundert andere Klienten zu Gesicht bekommen hatte. Wieder waren ihre Aussagen unglaublich akkurat. Ich konnte laut und deutlich meine Großmutter wiedererkennen. Vicki wusste, dass ich vier Kinder habe, von denen drei aus Übersee sind und von uns adoptiert wurden. Sie wusste auch, dass ich seit zwanzig Jahren mit demselben Lebenspartner zusammen bin. Weiterhin wusste sie von den Personalproblemen in meiner Praxis. Doch das Erstaunlichste war, dass sie von einer verstorbenen Freundin wusste, die viel zu früh von uns gegangen war. Dory war mit siebenunddreißig an Dickdarmkrebs gestorben. Vielleicht war sie die beste Freundin, die ich je gehabt habe. Sie war auch Ärztin und mir ein paar Jahre in der Ausbildung voraus, und sie hatte mir gezeigt, wie man eine richtige Ärztin wird. Sie brachte mir Güte, Mitgefühl und praktisches Denken bei. Sie war mein Vorbild, und als sie starb, war ich völlig verzweifelt. Ich hatte nie gewusst, dass ich so um jemanden weinen könnte wie um sie. Sie war zehn Jahre vor der Begegnung mit Vicki gestorben und ich vermisste sie immer noch Tag für Tag. Intuitiv schien Vicki all das zu wissen. Sie schien die Leere zu spüren, die Dorys Tod in meinem Leben hinterlassen hatte. Freundlich und sanft versicherte sie mir, dass Dory immer noch jeden Tag bei mir war und über mich wachte.
Am Ende der Sitzung fragte Vicki mich, ob ich in meiner medizinischen Praxis neue Patienten aufnehmen würde. Ich bejahte das und sie wurde meine Patientin. Es schmeichelte mir, dass sie mich darum gebeten hatte. Ich verließ ihr Haus in einem Gefühl der Verbundenheit, doch ich hatte Angst, daran zu glauben. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine so begabte und erfolgreiche Frau wie sie Freundschaft mit einer einfachen Landärztin wie mir schließen wollte. Ich konnte nicht ahnen, dass auch sie nach jemandem suchte, der die Leere in ihrem Leben auffüllen würde, die durch einen zu frühen Verlust entstanden war.
Von dem Augenblick an, als ich Vickis Haus verließ, dachte ich ständig an diese Sitzung. Alles, was sie gesagt hatte, klang wahr. Zum ersten Mal spürte ich, dass meine Gefühle und Wahrnehmungen einen Sinn ergaben. Sie hatte viele Emotionen und intuitive Eingaben bestätigt, die ich zwar immer gefühlt, jedoch nie zuvor verstanden hatte. Ich hatte endlich das Gefühl, jemandem begegnet zu sein, dessen Weltansicht ich teile. Seit ich Dory verloren hatte, die mein Steuerrad und mein Kompass gewesen war, hatte ich mich wie eine Fremde auf dieser Erde gefühlt. Das Gefühl konnte ich nie jemandem wirklich erklären. Doch obwohl ich Vicki kaum kannte, war mir, als wären wir uns auf einer ganz tiefen Ebene begegnet. Doch Zweiflerin die ich bin, hatte ich Angst, ihr das zu sagen. Ich wollte zwar ihre Freundin sein, aber ich ging nicht davon aus, dass sie auch meine Freundin sein wollte.
Ein paar Wochen später, während ich immer noch über meine Sitzung nachdachte, schickte ich ihr eine E-Mail. Ich erwartete im Grunde keine Antwort. Vicki schien mir viel zu beschäftigt zu sein. Doch schon am nächsten Tag kam ihre Antwort. Wieder schickte ich ihr eine E-Mail und sie schrieb zurück. Bald darauf chatteten wir regelmäßig. Zuerst tauschten wir nur freundliche, belanglose Alltäglichkeiten aus, doch dann kamen wir rasch auf tiefsinnigere Themen zu sprechen. Wir tauschten uns über das Leben, Mutterschaft und Spiritualität aus. Wir diskutierten Liebe, Kinder, Arbeit und Politik. Wir staunten über unsere vielen Gemeinsamkeiten. Beide haben wir vier Kinder und eine langjährige Partnerschaft. Beide lieben wir Gartenarbeit und Italien, vor allem die Toskana.
Meine größte Überraschung kam, als Vicki mir verriet, dass auch sie einen Menschen verloren hat, der ihr sehr nahe stand. In ihrem Fall war es ihre Schwester Heather. Ihre Beziehung zu Heather ähnelte der engen Beziehung, die ich zu Dory hatte. Vicki liebte und vermisste Heather immer noch. Dorys Tod hatte eine Leere in meinem Herzen hinterlassen, die ich füllen musste. Wir hatten beide eine Leere in unserem Leben, die wieder gefüllt werden musste. Nachdem Vicki und ich stundenlang darüber gesprochen hatten, stellten wir fest, dass wir geistige Schwestern sind und uns genau im richtigen Augenblick unseres Lebens gefunden haben. Wir brauchten beide die Unterstützung, den Rat und die Liebe einer Schwester. Auch wenn wir ein erfülltes Leben mit liebevollen Partnern, Kindern und Freunden hatten, so spürten wir doch, dass eine Speiche im Rad fehlte. Wir hatten das Gefühl, im anderen das gefunden zu haben, wonach wir all die Jahre gesucht hatten.
Durch die Offenbarung, dass wir Schwestern sind, kam die Sicherheit, dass Dory und Heather unsere Begegnung und unsere Freundschaft arrangiert hatten. Noch immer wachten unsere geliebten Verstorbenen über uns, beschützten und sorgten für uns. Das Universum hatte uns beiden im richtigen Augenblick genau das gegeben, was wir brauchten. In den nächsten Monaten wurden Vicki und ich sehr enge Freunde. Wir wissen oft, was der andere denkt oder fühlt. Wir verbringen sehr viel Zeit damit, gegenseitig schallend über unseren Humor zu lachen. Wir unterstützen einander in schweren Zeiten und teilen unsere Freude in glücklichen Zeiten. Wie Schwestern teilen wir uns die Last des Lebens, wenn sie zu schwer scheint. Wir können uns gegenseitig alles anvertrauen und – was das Wichtigste ist – wir haben uns lieb, wie nur Schwestern sich lieben können.
Vicki sagte einmal zu mir: »Blut bedeutet nichts. Die spirituellen Verbindungen, die man knüpft, zählen.« Anders ausgedrückt besteht die Familie – ob Blutsverwandte oder Wahlverwandte – aus den Menschen, die einen lieben und unterstützen. Es ist unwichtig, ob man dieselben Eltern, denselben Namen oder die gleichen Gene teilt. Wichtig ist nur, dass Seelen sich verbinden und füreinander sorgen. Ich werde in diesem Leben und danach für meine Schwester Vicki sorgen. Unsere Seelen sind für immer miteinander verbunden, und ich weiß, dass ich nie mehr wie eine Fremde durchs Leben gehen werde. Ich liebe dich, Schwester!
Dies ist ein Bericht, den Dr. Elisabeth Delprete, M. D. für dieses Buch zur Verfügung gestellt hat. Dr. Delprete praktiziert seit einigen Jahren als Ärztin im Bundesstaat Maine und nahm an einem von Dr. Monroes Seminaren teil. Später machte sie einen Termin für eine Einzelsitzung bei Dr. Monroe aus.
1
Die Welt kann es nicht glauben
Wie engelsgleich kam ich doch her!
Wie strahlend hell ist alles hier!
Als ich inmitten seiner Schöpfung angekommen bin,
Ach, wie haben wir ihren Glanz gekrönt!
Die Welt ist seiner Ewigkeit so nah,
in der meine Seele schon mal ging,
Und alles, was mein Auge sah,
Sprach mich an.
Thomas Traherne
Es gibt wohl niemanden, der sein Lebensziel von Anfang an kennt. Das Leben ist eine Reihe von Erlebnissen, eine Blaupause, die wir selbst entwerfen. Unsere Seele haben sie schon entworfen, bevor wir in dieses und alle früheren Leben geboren wurden.
In meinem Fall dauerte es einige Zeit, mich an das Wissen zu gewöhnen, dass ich die Seelen Verstorbener sehen kann. Mir wurde nur langsam klar, dass dies keine Eigenschaft ist, die jedem gegeben ist. Es war etwas, das ich in den ersten zwölf Lebensjahren auf schwierige und peinliche Weise herausfand – und das nicht nur für mich selbst, sondern auch für meine Familie.
An einem kühlen Herbsttag spielte ich mit einer Freundin auf dem Schulhof. Gegenüber voneinander baumelten wir vom Barren und wetteten kichernd, wer von uns sich am längsten festhalten könnte. Plötzlich bemerkte ich einen Mann, der hinter meiner Freundin stand. Sie hatte mir vor kurzem erzählt, dass ihr Großvater krank sei und sie