Mann und Frau und Reisehunger. Karsten Meyer

Mann und Frau und Reisehunger - Karsten Meyer


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von Panzern mit dem holperigen Namen ZSU-23-4 Schilka, russischer Bauart, steht Leo. Und der will um nichts in der Welt dort wieder weg. Keinen Millimeter weit bewege ich mich mehr in diesem Wahnsinnsverkehr, hat er uns durch den Auspuff zugefaucht.

      Nun also legt Pouri eine gekonnte Wende hin, um mit uns an Bord zwei Stunden lang in die Richtung zu fahren, aus der sie soeben kam. Alltag in Teheran nennt sie das und lacht gelassen. Wir laufen dir schon mal entgegen, hätten wir sagen können. Doch geholfen hätte es nichts. Also lassen wir es geschehen und uns fallen in der so überaus großen Gastfreundschaft der Perser.

      Es ist abends, doch noch immer sind sämtliche Straßen verstopft. ‚Hört das hier nie auf? Darf die Stadt niemals schlafen? Wann kommt sie zur Ruhe und wie‘, denke ich, während wir endentspannt auf der Rückbank des Wagens vor uns hindösen. Pouri ist die Freundin von Ali und Atefeh. Das ist die Schwester von Haleh. Die wiederum lebt mit ihrem Mann Hassan, dem Anästhesisten, bei uns in Jena. Unser Netz der Verbindungen scheint engmaschig und offensichtlich ziemlich belastbar zu sein. Von zu Hause aus ist es inzwischen um die halbe Welt gespannt.

      Irgendwann kommen wir an bei Atefeh. Und betreten zum ersten Mal in unserem Leben eine richtige persische Wohnung. Heller, spiegelnder Marmor kleidet den Boden, der einer Großräumigkeit Entfaltung schenkt. Hier ist nichts klein und verschachtelt. Möbel selbst hat man nicht viele im öffentlichen Areal der Wohnungen im Iran. Ein anderer Teil bleibt ganz der Familie vorbehalten. Dort vielleicht finden sich dann Schränke und Co.

      Auch später waren es die großen Wohnräume der Perser, die mich in ihren Bann zogen. Weil Stuhl an Stuhl entlang der Wände stand. In der Mitte viel freier Platz, zum Gehen und Stehen. Doch sind die zahlreichen Männer der großen Familien miteinander sitzend im Gespräch, so fliegen die Satzfetzen durch den Raum, von einer Wand zur anderen. Obst steht überall in großen, reich bestückten Schalen. Dazu ein kleines Messer, einzig um die Früchte aufzuschneiden. Ansonsten kommt die persische Küche beim Essen vollkommen ohne Messer aus. Jede Speise ist so zart und mürbe gegart, dass Gabel und Löffel die Herrschaft auf den Tischtüchern übernehmen.

      Die Atmosphäre bei Ali und Atefeh ist entspannt. Wir sind bei jungen Leuten zu Hause und genießen den lockeren Umgang im Miteinander. Das öffentliche und das private Leben scheinen sich oft in großem Maß voneinander zu unterscheiden. Habe ich in der Öffentlichkeit sehr auf meine Verhüllung zu achten, so erlebe ich es in vielen iranischen Familien ganz anders. Heute jedenfalls darf mein Tuch wieder zusammengefaltet neben mir Platz nehmen. Ich trage meine Kleidung, wie ich es zu Hause täte. Bewege und fühle mich frei und lasse vielen meiner Fragezeichen freien Lauf. Ali frage ich, wie es ihm gelingt, überhaupt jemals pünktlich am Morgen seinen Job zu beginnen, bei der so vollkommenen zeitlichen Unkalkulierbarkeit auf der Straße. Seine Antwort ist der extrem frühe Beginn und das genauso späte Ende. Zu Terminen am anderen Ende der Stadt rechtzeitig zu erscheinen sei geradezu eine Unmöglichkeit. Ist ein Meeting auf drei Stunden angesetzt, so trudelt nicht selten die Mehrheit der Eingeladenen erst gegen Ende der Veranstaltung ein. Das sei einfach Normalität und wird in keinem Fall als unhöflich erachtet, klärt uns Ali auf, während Ava singt. Ava tanzt, Ava malt, Ava ist top fit. Ava ist die Tochter von Atefeh und Ali. Ein fünf jähriges Mädchen, quietschvergnügt, aufgeweckt und neugierig. Wie passt ihre offene und natürliche Art zum offiziellen Auftreten und verhüllten Erscheinen, welches in ein paar Jahren wahrscheinlich von ihr verlangt werden wird? Wie geht das überhaupt mit dem Innen und Außen des sich Gebens der Frauen im Iran? Eine Frage, die ich oft stelle und auf die es viele Antworten gibt. Von traditionell und im Glauben verwurzelt bis hypermodern und in ständiger Rebellion ist alles dabei. Ava ist die Unterhalterin des Abends, bringt uns alle miteinander ins Gespräch, hält die Stimmung über Stunden auf ihrem höchsten Punkt und ist auch dann nicht müde, als sämtliche Speise-Gangfolgen nicht nur vorbereitet, zubereitet, sondern schon lange in unseren Bäuchen verschwunden sind. Wenn ich Speisenfolge im Iran sage, dann ist das nicht einfach ein Hauptgang mit Salat. Mehrere Vorspeisen, eine geschmacklich verführerischer als die nächste, gefolgt von einer Perlenkette an Hauptgerichten. Und selbst beim Nachtisch bleibt es nicht allein beim Obst. Allmählich verliebe ich mich in unser Kochprojekt. Nichts kann es für uns geben, was uns den Seelen der Länder auf so intensive Weise nahebringen kann, wie unser Erleben des gemeinsamen Kochens. Es sagt so viel über die Kultur eines Volkes, ihre klimatischen Bedingungen und menschlichen Gepflogenheiten aus. Überglücklich strahlen wir. Spüren wir doch, dass es genau das ist, was uns vorschwebte, als wir die Idee zu unserem Kochprojekt entlang der Seidenstraße in unser beider Leben riefen. So ist es uns ein Fest, mit Ali Naderis Unterschrift nun schon die fünfte auf unserem anderthalb Meter großen Metalllöffel mit uns auf die weitere Löffelreise zu nehmen.

      

       Fotos

      Zu dir oder zu mir? Granatapfelromantik.

      Teheran haben wir hinter uns gelassen, nicht ohne mit den Feuerwehrleuten der fünften Brigade eine Nacht lang bei Tee und Spaghetti ausgelassen zu feiern, und auch nicht ohne Daniel und Annette aus Deutschland zu treffen, die seit Jahren mit ihren drei Kindern in Teheran leben. Bald jedoch wollen sie die Stadt verlassen, um ihrer Tochter die Erfahrung nicht zu verwehren, als junges Mädchen frei von öffentlichen Vorgaben und Zwängen ihre Jugend zu erleben. Als vierzehnjähriges Mädchen nicht daran gewöhnt zu sein, in ein Schwimmbad zu gehen, um dort im Badeanzug oder Bikini mit den Freundinnen und Freunden kreischend ins Wasser zu springen, obwohl die Gluthitze des Sommers zu nichts eindringlicher einlädt - dies hat für mich wenig mit dem mir vertrauten Gefühl zu tun. Generell ist es möglich, im Iran als Mädchen schwimmen zu gehen. Entweder gibt es extra Bäder für sie oder die Bereiche der Männer und Frauen sind voneinander abgetrennt. Mancherorts finden sich auch Schwimmbäder mit getrennten Männer - und Frauen - Tagen, wie ich es mitunter aus der Sauna in Deutschland kenne. Das Singen in der Öffentlichkeit ist ein ähnlich spezielles Thema. Doch da sind alle miteinander schon glücklich, dass überhaupt wieder musiziert werden darf. Das war lange Jahre nach dem Sturz des Schahs vollkommen verboten.

      Wenn Annette und Daniel Teheran verlassen, was dann wohl aus dem Esel wird? Den hatten sie einst halb tot an einem Weg liegend gefunden, dem Besitzer nach langem Verhandeln abgekauft und liebevoll wieder aufgepäppelt. Hm, vieles geht. Wir gehen auch. Teheran mit seinem Megagedränge lassen wir in aller Frühe, dem Rat Alis folgend, hinter uns. Ohne Lackkratzer an weißen Autos, wütenden Polizisten und sich küssenden Seitenspiegeln kommen wir mit einem heilen Leo davon. Der Regen bleibt aus und die meisten Fahrer scheinen sich erst auf die Piste zu begeben, als wir längst über alle Berge sind. Nachts um elf Uhr zur Arbeit zu fahren und morgens vier Uhr nach Hause zurück. Vielleicht ist das ja mal eine Idee für den einen oder anderen Teheraner. Dann haben sie nicht so volle Straßen, und einen Halbnacht-Job dazu. Oder sie lassen die Chinesen ran. Die bauen den Iranern dann noch zwei Straßennetze über das, was sich jetzt schon sonst wie verzweigt, verästelt und völlig verfitzt.

      Saveh ist ruhiger. Einhundertdreißig Kilometer südlich von Teheran rollen wir in die Stadt der Granatäpfel. Als Wahrzeichen sind sie meterhoch in Beton gegossen. Gut zweihunderttausend Menschen leben in der Stadt, die einen progressiven Eindruck auf mich macht. In den Jahren 2004 bis 2006 regierte Mehri Roustaie Gherailou als Bürgermeisterin die Stadt. Damit war sie die zweite Frau, die in der Geschichte der Islamischen Republik Iran in ein solches Amt gehoben wurde. Bis heute sprechen die Menschen achtungsvoll von ihr. Zu regnen scheint es hier im Flachland nicht viel, zumindest wäre mir sonst nicht erklärbar, wie über Jahrhunderte hinweg die Lehmbauten-Architektur überdauern konnte. Mancherorts sehe ich im Vorbeifahren noch Ruinen der verblassten Zeit. Monika wird uns später erzählen, dass sie gern einem der alten Bauwerke zu neuem Leben verholfen hätte, um es in den Lichtfarben des Lehms wieder erstrahlen zu lassen. Einzig das Geld fehlte dazu. Licht. Mein Stichwort.

      In Teheran und weiter im Norden hatte der Winter uns fest im Griff. Liegt Teheran ja auf


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