Hexengruft – Abenteuer in Moorland. Ralph Müller-Wagner

Hexengruft – Abenteuer in Moorland - Ralph Müller-Wagner


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Andrea. Diese Heulsuse mit den vielen Sommersprossen im Gesicht und den langen roten Zöpfen. Zuweilen würde er das Mädchen am liebsten auf den Mond schießen, ohne Rückfahrkarte. Die Nervensäge verpetzt ihn oftmals, wenn er heimlich mit Vaters Moped durch den Wald rast oder bis spät in die Nacht Gruselgeschichten liest, die er über alles liebt. Außerdem fängt Andrea immer bei jedem bisschen zu weinen an. Sie versteht keinen Spaß und ängstlich ist sie auch noch. In jeder dunklen Ecke oder hinter jedem Baum im Wald vermutet sie gleich ein Gespenst. Felix dagegen fiebert jeden möglichen Augenblick herbei, einem Geist zu begegnen. Bisher hat es jedoch leider noch nicht geklappt.

      Manchmal kann Andrea aber auch richtig nett sein. Bei den Kindern im Ort ist sie beliebt, weil sie gut Theater spielen und singen kann. Felix schätzt sogar ihre Hilfsbereitschaft. Andrea sagt niemals nein und ist stets da, wenn man sie braucht. Im Haushalt unterstützt sie Mutter Gaby tatkräftig. Ihr Zimmer ist immer tadellos aufgeräumt. Ordnung ist das halbe Leben! Ein Spruch ihrer Großmutter, den sie auch anwendet.

      Was würde der Felix nicht alles dafür geben, um einmal im Leben ein fantastisches Abenteuer zu bestehen oder richtig zaubern zu können. In seinen Träumen hat er das allerdings mehrmals erlebt. Den unterschiedlichsten Fantasy-Wesen ist er da bereits begegnet. In seinen Traumgeschichten ist Felix immer ein großer Held und er hat gar keine Angst. Manchmal träumt Felix sogar am helllichten Tag und mit offenen Augen. Liest er eine Hexen- oder Vampirgeschichte, dann legt der fantasievolle Junge immer mal wieder das Buch beiseite und stellt sich vor, er sei selbst der gute Hexenmeister, im Kampf gegen das Böse.

      Der Mittag ist herrlich, die Sonne strahlt, als Felix gut gelaunt aus der Schule stürmt. Letzter Schultag. Sommerferien. Was will man mehr. Jetzt beginnt die schöne Zeit der Faulenzerei. Er ist wirklich kein ganz guter Schüler, nicht etwa dumm, eher oberflächlich. Zu viele andere Dinge lenken ihn jedoch vom Lernen ab.

      »Willst du mit zu mir kommen, Basti?«, fragt er seinen besten Freund, Sebastian Lachmann.

      »Warum nicht«, antwortet der große schlanke Lockenkopf mit dem blassen Gesicht traurig. »Auf mich wartet ohnehin keiner. Mutter ist zu einem Meeting nach Nürnberg gefahren. Vater kommt erst in zwei Wochen nach Hause.«

      Oft ist er allein. Seine Mutter ist als Vertreterin bei einer bekannten Modefirma viel unterwegs. Und sein Vater schuftet als Monteur auf einer Bohrinsel in der Nordsee. Vier Wochen arbeiten, eine Woche frei. Der Familie geht es finanziell sehr gut, aber Sebastian leidet unter der Trennung und darunter, ein Einzelkind zu sein. Darum freut sich Sebastian jedes Mal, wenn er zu Felix darf. Die Leute dort sind so etwas wie seine zweite Familie geworden.

      Ein schriller Klingelton ertönt. Felix holt sein Handy aus der Schultasche, schaut auf das Display, verzieht die Mundwinkel. »Mutter hat mir eine SMS geschrieben«, sagt er überrascht, während er den Text liest. »Sie kann mich nicht abholen. Lisa ist erkrankt, du weißt schon, unsere Kuh.«

      »Dann fahren wir eben mit dem Bus und laufen den Rest bis Kienholz durch den Wald. Oder wir gehen zu mir und deine Mutter holt dich später ab.«

      »Ich kann gar nicht bei dir bleiben«, erwidert Felix. »Ich muss doch wissen, was mit Lisa ist. Der Tierarzt wird bestimmt bei uns sein. Man, ich kenne Lisa noch als Kalb. Die konnte mir immer zuhören. Tiere sind nicht dumm, eine Milchkuh schon gar nicht. Wollen wir gleich zu mir?«

      »Klar komme ich mit!«

      Felix ist erfreut über die Antwort des Freundes, er hat nichts anderes erwartet. Gemeinsam stiefeln sie los zum Bus »Wir machen doch in den Ferien bestimmt was zusammen?«

      Sebastian hebt den Daumen nach oben. »Worauf du dich verlassen kannst«, schwört er mit ernster Miene. »Meine Mutti will zwar, dass ich zu Oma Gertrud fahre, aber das ist mir viel zu langweilig. Die hält mir nur jeden Tag lange Vorträge, wie ich noch besser lernen kann oder regt sich auf, wenn wir beide miteinander simsen. Handys sind ihr doch ein Gräuel.«

      »Will ich gerne glauben«, winkt Felix kichernd ab. »Obwohl meine Großeltern modern sind. Beide haben Handys, wegen der Erreichbarkeit, sagen sie. Dafür sei es immer gut, denn es könnte ja was Unverhofftes geschehen. Wo doch heutzutage oft Kinder verschwinden. Pädophile rennen ja genug herum!«

      »He Felix, der Bus kommt schon um die Ecke gefahren. Wo ist eigentlich Andrea? Wollen wir nicht auf sie warten?«, meint Sebastian fürsorglich.

      Felix verdreht die Augen. »Die kleine Hexe ist schon lange zu Hause. Ihre Klasse hatte bloß zwei Stunden Zeugnisausgabe. Dann durften sie gehen. Ist doch unfair, oder?«

      »Wem sagst du das. Bei Frau Kauli hat es doch jede Klasse gut. Sie ist die coolste Lehrerin in der Schule«, sagt Sebastian respektvoll über sie.

      Die ausgelassenen Schüler drängen sich in den knallgelben Schulbus, um die besten Sitzplätze zu kriegen. Alle quasseln wild durcheinander. Bohne aus der 6c stimmt übermütig ein Lied an. Das klingt aber so schräg, dass die anderen Kinder lachen müssen. Busfahrer Berchtl bringt jedoch schnell wieder Ruhe in den lustigen Haufen.

      Alle Sitzplätze sind besetzt. Tina aus der 7a steht in ihrem kurzen Rock direkt vor den beiden Freunden. Das hübsche Mädchen trägt immer so kurze Röcke. Außerdem schminkt sie sich sehr stark, um das Interesse der älteren Jungen auf sich zu lenken. Felix findet das uncool. Als sie Felix anlächelt, wird dieser verlegen und schluckt. Er muss direkt auf ihre langen Beine schauen. Wo soll er bloß hingucken, wo doch Tina mit ihren nackten Beinen fast sein Gesicht berührt. Dreht er es zur Seite, bekommt er schnell Genickstarre. Zum Glück rettet Sebastian aber die Situation, indem er ihn in ein interessantes Gespräch verwickelt. Thema ist das neue Buch, welches er gerade verschlingt. Ein Detektivroman.

      Einige Kumuluswolken haben sich vor die brennende Sonne geschoben, als Felix und Sebastian den Weg zum Forsthaus einschlagen. An blühenden, duftenden Wiesen vorbei gehen. Die Heidelerchen trällern bunte Melodien in die wabernde Luft, lassen die Herzen derer höher schlagen, welche sich der Muse und Mutter Natur verbunden fühlen.

      Das Forsthaus mit dem Hof und den kleinen Stallungen wirkt fast verschlafen, bis Jagdhund Ajax die beiden Ankömmlinge mit einem freudigen Winseln und einem Wedeln mit dem buschigen Ringelschwanz begrüßt. Vater ist also zu Hause, denn wenn er im tiefen Wald unterwegs ist, begleitet ihn der stramme Rüde jedes Mal. Felix streichelt das weiche Fell, krault ihm kurz am Hals, was dieser besonders gern mag. Dann legt Felix schnell die Schulmappe mit dem Zeugnis auf einen Gartentisch, wo bereits ein Korb mit frischen Kräutern steht. Auch Sebastian legt den Ranzen dort ab. Gemeinsam flitzen sie in den Kuhstall. Ajax tippelt mit heraushängender Zunge hinterher.

      Lisa liegt auf sauberen Strohballen. Die braun-weiß gefleckte Kuh blickt Felix mit ihren großen schwarzen Augen hilflos an. Schwerfällig hebt sie den Kopf beiseite, dann sinkt er wieder auf das weiche Stroh.

      »Schön, dass ihr beide da seid«, brummt Vater Stefan mit hoch gekrempelten Hemdsärmeln. »Es geschah aus heiterem Himmel. Ich war in der Schonung, wollte nach dem Rechten sehen. Da rief mich Mutter an. Lisa sei nicht zu bewegen, aus dem Stall zu gehen. Bin natürlich gleich zu Lisa geeilt, habe den Tierarzt verständigt.«

      »Und was sagt Doktor Brandner?«, drängt Felix.

      »Vielleicht ein neuer unbekannter Virus«, antwortet der Vater besorgt und macht ein nachdenkliches Gesicht.

      »Wird sie durchkommen?«

      Ratlos zuckt Vater mit den Schultern, blickt Lisa dabei traurig an und tätschelt ihren Nacken.

      »Lisa wird also sterben«, seufzt Felix.

      »Wir müssen das Leben so nehmen, wie es kommt, Junge. Manchmal können wir Dinge verändern, zum Guten ändern. Und wenn es nicht gelingt, sollten wir eben verstehen, es so anzunehmen. Selbst wir sterben einmal, obwohl keiner genau weiß, wann das einmal sein wird, verstehst du?« Vaters Worte klingen ehrlich. Er sagt immer die Wahrheit, auch wenn diese mitunter schmerzhaft ist.

      Felix schießen Tränen in die Augen. Lisa hat er schon als Kalb aufwachsen sehen.

      »Wir sollten die Hoffnung niemals aufgeben!«, tröstet ihn der besorgte Vater.

      »Manchmal geschehen auch noch


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