Das Attentat auf die Berliner U-Bahn. Horst Bosetzky

Das Attentat auf die Berliner U-Bahn - Horst Bosetzky


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der Gong geschlagen wurde. Sie sprangen auf, denn Magdalena ließ nicht mit sich spaßen, wenn jemand zu spät zu einer Mahlzeit kam. Die drei Knaben saßen bereits ordentlich aufgereiht am Tisch, während die Köchin dabei war, die Suppe aus der Terrine zu schöpfen und auf die Teller zu verteilen. Das Baby lag in seinem Bettchen und schlief.

      Magdalena sprach das Tischgebet, dann konnte munter drauflosgeplaudert werden, obwohl wegen der Kinder bestimmte Themen ausgeschlossen waren, etwa die Verhaftung einiger »lüderlicher Dirnen«, die bei der Ausübung ihres Gewerbes ihre Freier bestohlen hatten.

      Theodor, der unverehelicht war, berichtete vom Schaufrisieren der Berliner Friseur- und Barbierinnung im Buggenhagener Kaisersaal. »So manche Barbierstube dient der Partei als geheimer Treffpunkt, und so ist es kein Wunder, dass ich eingeladen worden bin. Was mich aber am meisten begeistert hat, waren nicht die preisgekrönten Frisuren der Damen, sondern die Büste des Kaisers: Die war nämlich aus Seife geformt. Ich hatte die ganze Zeit gehofft, dass … Aber lassen wir das!« Mit Blick auf die Knaben und seine Schwägerin verbot er sich, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen.

      Magdalena Blumenthal stieß dennoch ein warnendes Hüsteln hervor und zitierte aus dem Brief des Paulus an die Römer den Anfang des 13. Kapitels: »Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen.«

      Theodor Blumenthal nickte. »Sicher, denn die herrschenden Werte sind immer die Werte der Herrschenden, da muss ich Karl Marx recht geben, und da die herrschende Klasse immer auch für die Götter zuständig ist, wird sie die von ihr erdachten Götter auch in ihrem Sinne handeln lassen.«

      »Lieber Schwager, ich möchte dich doch ernsthaft bitten, die Harmonie unseres Gastgebots nicht in Gefahr zu bringen. Du weißt ja, ich sehe die Stachelschrift nicht gern in meinem Hause.«

      »Bitte, Magdalena …«

      »Nein, schweige bitte, wer politisiert, ist nur allzu leicht ein Haberecht. Und du verböserst die Sache nur noch.« Sie sah ihren Ältesten an. »Benedikt, erfreue du uns lieber mit den neuesten Hervorbringungen der Herzenszähmerin.«

      »Mutter, darf ich vorher noch aufstehen und hofieren?«, fragte Benjamin, der dem Alter nach hinter Benedikt kam.

      Theodor Blumenthal musste sich sehr beherrschen, nicht loszuprusten, glaubte er doch, aus den Worten seines Neffen einen leichten Spott an der altertümelnden Sprache seiner Mutter herauszuhören. Doch der Junge schien es ernst zu meinen und eilte, als er die Erlaubnis dazu bekam, auf die Toilette.

      Magdalena Blumenthal gehörte einem Verein an, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, dem Tod altdeutscher Wörter entgegenzutreten. Wörter wurden geboren, Wörter welkten dahin und starben – das aber wollten sie und ihre Mitstreiter verhindern. Das Gastgebot war ein feierlicher Schmaus, den man den Gästen bot. Ein Haberecht war ein Rechthaber und die Herzenszähmerin die Dichtkunst. Hofieren war deckungsgleich mit dem lateinischen Wort cacare und meinte: seine Notdurft verrichten.

      »Gut, dass der Junge sich rechtzeitig gemeldet hat«, sagte Theodor Blumenthal, »denn Harnverhaltung ist eine schlimme Sache, der große Tycho Brahe ist sogar daran gestorben. Vielleicht wird Benjamin ja mal Harnprophet.« Das hatte er so ernsthaft gesagt, dass seine Schwägerin nicht verstimmt sein konnte. Er wusste, dass Harnprophet eigentlich ein Spottname für die Ärzte der alten Schule war, die angaben, in den meisten Fällen Krankheiten aus der Beschaffenheit des Harns erkennen zu können.

      Berthold Blumenthal hatte das Geplänkel zwischen seinem Bruder und Magdalena ziemlich genossen, fürchtete aber, dass seine Frau langsam doch zornig werden würde, und ergriff daher selber das Wort, um das Gespräch auf Themen zu lenken, die weniger verfänglich waren.

      »Weil wir uns in der Kanzlei immer wegen der Rechtschreibung streiten, habe ich mir bei meinem Buchhändler das Vollständige Orthographische Wörterbuch der deutschen Sprache von Konrad Duden bestellt.«

      »Ja, ich habe mich gerade mit meinem Chefredakteur gestritten, ob man nun Satire oder Satyre schreibt«, fügte Theodor Blumenthal hinzu.

      »Der Deutsche schreibt am besten Stachelschrift«, merkte Magdalena Blumenthal an.

      »Diesmal muss ich dir recht geben, liebe Schwägerin. Das mit den Stacheln ist nicht schlecht, und wenn ich einmal eine Satire-Zeitschrift gründe, dann nenne ich sie Stachelschwein

      In diesem Augenblick kam die Köchin herein und hielt einen Gegenstand in der Hand, von dem sie offensichtlich annahm, dass er jeden Augenblick explodieren könne. »Wat solln die hier: ’ne Kartätsche bei mir inne Küche? Wer hat ’n die einjeschleppt?«

      »Ich, werte Dame.« Theodor Blumenthal deutete eine leichte Verbeugung an. »Für die gnädige Frau. Statt Blumen.«

      »Wolln Se ma vergackeiern?«

      »Nein, um Gottes willen. Dies ist eine ganz neue Erfindung: die Konservenbüchse. In ihr kann man Fleisch und Gemüse über lange Zeit hinweg frisch und genießbar halten. Probieren Sie es morgen bitte einmal aus!«

      »Gott, wenn das unsere Künftigkeit sein soll!« Die Hausfrau rang die Hände. »Nicht mehr auf den Markt gehen, nicht mehr selber kochen … Mit diesem Geschenk beleidigst du mich, lieber Theodor.«

      »Das lag mir wirklich fern, liebe Magdalena. Ich weiß doch, wie köstlich du selber kochen kannst.«

      »Du Federleser, du!«

      »Ich – und ein Schmeichler? Oh, wenn ich das nur besser könnte!« Theodor Blumenthal legte seinen Löffel in den Teller und wischte sich den Mund ab. »Wisst ihr, wen ich gestern zufällig auf der Schlossbrücke getroffen habe?«

      »Nein.« Seine Schwägerin sah ihn hochachtungsvoll an.

      »Doch nicht etwa Seine Majestät?«

      »Nein, nur den Grasmuck. Den kennt ihr auch, der hat ein Fuhrgeschäft in Rixdorf, züchtet aber vor allem Pferde für unsere Droschken und Pferdebahnen. Und der sagt, dass die Droschken billiger werden, weil es immer mehr Pferdebahnen gibt.«

      Berthold Blumenthal lachte. »In einigen Jahren wird es den Pferdebahnen genauso ergehen: Da werden auch die billiger werden müssen, weil die Leute mit den elektrischen Bahnen fahren.«

      »Das möge unser Herrgott verhindern!«, rief Magdalena Blumenthal. »Denn die Elektrizität ist vom Valant.«

      »Wovon?«, fragte ihr Schwager.

      »Vom Teufel.«

      »Warum denn das? Der Blitz ist doch auch ein Stück Natur.«

      Magdalena Blumenthal ließ sich nicht beirren. »Aber nicht die Ströme, die der Mensch selbst erzeugt. Mein Arzt hat mir erklärt, dass sie in das Hirn des Menschen eindringen und uns krank machen. Darum flehe ich dich an, Berthold, des Glückes unserer Kinder wegen: Nutze deine Stellung bei Baurat Hobrecht, und tue alles, um diese elektrischen Bahnen, dieses Teufelszeug, zu verhindern, ob sie nun auf, über oder unter der Straße fahren sollen!«

      Was blieb Berthold Blumenthal anderes übrig, als zu nicken und ihr zu versprechen, sein Bestes zu tun. Um seine Frau von diesem heiklen Thema abzulenken, kam er auf das zu sprechen, was die Berliner Verwaltung derzeit stark beschäftigte: unter anderem, dass die Charlottenburger sich mit Händen und Füßen dagegen wehrten, eingemeindet, also vom Moloch Berlin verschluckt zu werden.

      Theodor Blumenthal lachte. »Sind wir ja selber schuld dran«, sagte er.

      In diesem Augenblick fing im Nebenzimmer ihre Jüngste an, fürchterlich zu schreien, und Magdalena ging auf ihren Mann los. »Siehst du, Berthold, ich hab dir ja gleich gesagt, dass sie davon krank werden wird.«

      »Wovon denn krank?« Berthold Blumenthal konnte sich keinen rechten Reim auf alles machen.

      »Na, gestern im Rathaus, als ich dich besucht habe.«

      »Was war denn da?«

      »Da


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