Rette mich wer kann!. Traudel Schmidt
anderen Stuhl hockt ein junger Mann mit Pop-Socken und erklecklich langen Beinen. Zum xten Mal liest er jetzt seinen mitgebrachten Flyer. So viel kann doch unmöglich dadrin stehen?
Die junge Dame neben dem Gummibaum versucht, gegen eine Bronchitis anzukämpfen. Diese behält jedoch die Oberhand und elegant flötet die Frau ihre Bazillen durch die sorgsam manikürte Hand hin zur Allgemeinheit. Sie teilt offenbar gern …
Und dann ist da noch ein betagtes Ehepaar und eine etwas griesgrämig dreinblickende Dame, die versucht, mit Hilfe eines Tüchleins die Bazillen der jungen Frau zu erlegen. Waidmannsheil!
Inzwischen ist noch ein älteres Frauchen mit dem üblichen Rhabarber-Gemurmel empfangen worden. Sie hört kaum hin, packt ihr Strickzeug aus und versinkt in eins links-eins rechts-Apathie …
Dieser anheimelnde Raum wird weiterhin noch von einem lädierten Schirmständer, einem poppigen Papierkorb und einem steril sauberen Waschbecken bevölkert. Der Doc sollte allerdings mal den Wasserhahn zur Kur schicken. Allerdings beim Klempner. Er tropft und tropft und nervt und nervt … Und noch immer vierzig Minuten bis zur Sprechstunde …
„Ephraim Kishon“ ist von seiner Dreherei abgekommen. Er hat etwas Neues: Er hält seine Finger gelenkig, indem er an jedem kurz reißt. Das ergibt in jedem Fall ein apartes Knackgeräusch. Seine Gattin blickt indigniert. Junge lass das! Gleich gibt’s was auf die Finger!
Der Spindeldürre hat sein Staubkörnchen immer noch nicht erwischt. Stattdessen hat Mutti ein Rezept in einer Zeitung entdeckt, was wert ist, abgeschrieben zu werden. Sie kramt in ihrer Tasche und fördert nacheinander Hustenbonbons, Knirps, eine leere Ausweishülle und ein penetrant nach Leberwurst riechendes Butterbrot zutage. Alles wird hübsch sauber auf die ausgelegten Zeitungen auf dem Tisch drapiert. Nach dem Hausschlüssel und einem leeren Brillenetui erblickt dann noch ein Briefumschlag das Licht des Wartezimmers. Der müsste eigentlich als Notizzettel reichen. Nur Mutti kann immer noch nicht schreiben. Sie vermisst ihre Brille. Der Dürre leiht seine her, nur die rutscht Mutti ständig von der Nase. Das Unternehmen „Rezeptabschreiben“ wird abgeblasen. Sämtliche Utensilien verschwinden wieder im Dunkel der Handtasche.
Inzwischen hat der junge Mann aus seinem Flyer eine Fliegenklatsche gefaltet. Aber nun gibt es keine Fliegen und die Klatsche passt nicht in seine knallengen Jeans. Pech für ihn.
Die junge Dame schnüffelt und der Bubi vom 1. FC Wadenbrecher spielt seine Chopin-Etüde auf seiner Hose zum fünften Mal.
Und der Wasserhahn tropft … Immer noch 20 Minuten bis zur Sprechstunde.
Jemand rumort’s im leeren Magen. Alle Blicke wenden sich ihm zu. Einige lächeln verständnisinnig. Beschämt betrachtet der Knurrer seine Schuhspitzen. Ach ja, nüchtern kommen und dann so lange warten müssen ist eine Tortur.
Vielleicht sollte man mal laut einen zünftigen Witz erzählen, damit alle mal herzhaft lachen. Oder man könnte einen Sirtaki tanzen, weil einem sonst die Beine vom langen Warten einschlafen. Nicht nötig! In diesem Moment kommt ein Neuer. Er humpelt auf den Dürren zu: Arbeitskollegen. Endlich kommt Schwung in den Wartezimmer-Mief. Der Neue ist nämlich Experte. Bandscheibe. Nicht bei sich, nein, bei der Freundin von der Cousine seiner Schwägerin. Entsetzlich, was die Frau mitgemacht hat! Unverblümt und lautstark lässt er alle Umsitzenden an dem Martyrium teilhaben. Während er bis ins Kleinste von Krankengeschichten, Kliniken, Ärzten mit Fehlurteilen, Streckbetten und so weiter erzählt, hören alle ergriffen zu und lassen sich einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagen. Fürchterlich! Grausam! Da kann man mal wieder sehen … Es geht doch nichts über die eigene Gesundheit! Ach, diese Ärzte …
Tropf – tropf – tropf
Jetzt sind’s nur noch fünf Minuten bis zur Sprechstunde …
Der Boulevard-Blättchen-Mann ist es leid, nach Unterbringungsmöglichkeiten für seine Zeitung zu suchen. Er nimmt all seinen Mut zusammen, durchmisst gelassenen Schrittes unter den prüfenden Augen der übrigen Wartenden das Zimmer und schon endet das Presse-Erzeugnis mit einem lauten „blöbb“ im Papierkorb.
Die junge Dame hustet geräuschvoll und lutscht ihr zwölftes Hustenbonbon. Der Bubi scheint sein Pensum für die Klavierstunde zu beherrschen. Sein Getrommel hat aufgehört.
Plötzlich tut sich was im Nebenzimmer. Gespräche, Schritte. Alle halten den Atem an. Ist’s soweit? Da quäkt schon der Lautsprecher: „Der Nächste bitte!“ Der Glückliche erhebt sich steifbeinig und verschwindet. Er hat’s geschafft!
Und plötzlich ist der Bann gebrochen. Alle reden miteinander, nicht mehr halblaut und verklemmt, sondern ganz normal. Dagegen kommt die Bandscheibe nicht mehr an.
Wem diese Story bekannt vorkommt, der ist garantiert Kassenpatient. Alle Privatversicherten bitte weghören!
DER HÖCKERSCHWAN
Der Höckerschwan Korbinian,
der gab mit seinem Höcker an:
„Wer ohne Höcker geht durchs Leben,
den dürfte es normal nicht geben!“
So lästert er. Doch dies Gemecker
ging andren tierisch auf den Wecker.
Jüngst sah der Korbi ganz entzückt
’ne Schwänin und war hoch beglückt.
Brunhilde lebt jedoch – o Pein –
auf Nachbars Grundstück ganz allein.
Da wirft sich Korbi in die Brust,
umwirbt die Maid ganz selbstbewusst,
rückt peu a peu zum Zaun heran,
denn ihn erfasst’ der Liebe Wahn.
Er steckt den Kopf durch enge Maschen,
’nen Blick von Hildchen zu erhaschen,
da macht es plötzlich einfach: „Klick …“
Er kriegt den Kopf nicht mehr zurück.
Der Korbi macht ein Mordsgezeter.
Sein ganzer Stolz, der schwarze Höcker
ist ihm im Weg. Und Korbi schreit:
„So helft mir doch, Ihr lieben Leut’!“
Doch alle Tiere groß und klein,
die stör’n sich nicht an seinem Schrei’n.
Wer andre pausenlos verlacht
muss sehn, wie er sich selbst los macht.
Und als der Korbi sich befreit
geschieht ihm neues Herzeleid:
Das Hildchen zog von dannen still
mit seinem Konkurrenten Bill.
Und dieser Schwan, man glaubt es nicht,
trägt k e i n e n Höcker im Gesicht!
ist glatt rasiert wie auf ‘nem Poster!
Der Korbi ging deshalb ins Kloster …
SEIFEN-OPER
„Ich darf ja noch nicht gratulieren“, meinte meine Tochter, drückte mir einen Schmatz auf die Wange und ein Geschenk in die Hand, das einem überdimensionierten Knallbonbon nicht unähnlich war. „Aber noch nicht öffnen!“, drohte sie mir neckisch mit erhobenem Zeigefinger. „Erst in zwei Tagen an deinem Geburtstag!“ Sagte es und verschwand.
So lange sollte ich noch warten? Ich zupfte ein bisschen an den beiden überstehenden Geschenkpapierenden, die mit einem goldenem Band verziert waren. Ob ich einfach mal fester daran zog? Vielleicht platzte dann das Ganze und ich wusste, was sich darunter verbarg. Vielleicht war es ja nur eine Rügenwalder Teewurst? Aber das Päckchen roch nicht. Oder eine Dose Cola? Aber es gluckerte nicht. Also nahm ich mir ein Herz und zog kräftig