Post für Dich aus Amora!. Birgit Cremer
Ich brauch jetzt erst mal eine schöne Tasse Kaffee und was zum Naschen dazu. Selbstverständlich habe ich dabei an dich gedacht, mein Süßer, aber du hast schon dein »Nick in wichtiger Mission, bitte nicht stören!« – Schild an die Arbeitszimmertür gehängt. Wahrscheinlich solltest du gestern schon einen Text abgeben für ein Produkt, das heute erst erfunden wurde.
Weißt du noch, als Lukas und Leonie klein waren, da hast du die Tür immer mit bunten Punkten gekennzeichnet. Rot stand für »Achtung, bei Eintritt Lebensgefahr, Papa darf auf gar keinen Fall gestört werden, sonst gibt’s im nächsten Monat nur Brotsuppe zum Essen«. Grün hieß soviel wie »Papa relaxt gerade auf seinem kleinen Sofa und freut sich über jeden familiären Besuch«.
Auf jeden Fall darf und will ich nun deinen gedanklichen Erguss nicht unterbrechen und habe somit genug Zeit, dir auf deine Hauspost zu antworten. Heute Abend machen wir es uns aber richtig schön. Ich hab schon einen Tisch in unserem Lieblingsrestaurant reserviert. Nach deinem schrecklichen Lokal-Erlebnis in Stuttgart wird es dir dort doppelt gut schmecken. Anschließend können wir noch in die Cocktailbar gehen und hinterher … – na mal sehen, wie du drauf bist!
Wir hatten wirklich riesiges Glück und zwei gute Engel zur Seite, nämlich meine Chefin, mittlerweile Seniorchefin, und deine Tante, dass wir diese phantastische Wohnung, unser zweites »Amora«, mieten konnten.
Mit den Tücken des Alltags bzw. des Haushalts hatten wir allerdings allein zu kämpfen. Nach einigen Wochen hatten deine weißen Hemden alle einen gewissen Rotoder Blauschimmer angenommen. Meine T-Shirts waren zum Teil auf Kindergröße geschrumpft, und die meisten Sockenpaare sind zum Einzelgänger geworden.
Unsere ersten Kochversuche kosteten uns etliche Flaschen Kräuterlikör und Magentropfen. Meine Spaghetti bolognese liegen uns gedanklich heute noch schwer im Magen. Die Nudeln waren matschig und geschmacklos, die Hackfleischsoße dagegen extra scharf gewürzt. Nachdem wir mühsam ein paar Gabeln voll hinuntergewürgt hatten, haben wir eine ganze Kiste Mineralwasser geleert. Am darauffolgenden Abend wolltest du mich mit Steak und Salat überraschen. Leider hatte ich mich etwas verspätet und so konnten wir das Fleisch am nächsten Tag als Frisbeescheibe verwenden. Der Salat war auch nicht mehr zu retten, er ist in deiner sauren Essig-Öl-Marinade förmlich ertrunken. Daraufhin haben wir uns verschiedene Kochbücher zugelegt, und zudem konnte ich meiner Mutter ein paar Küchentipps entlocken, immerhin ist sie gelernte Köchin. Inzwischen sind wir so fit, dass wir locker bei einer der zahlreichen Kochshows im Fernsehen, die neuerdings wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, mitwirken könnten. Jeden Tag läuft auf jedem Programm so ein »Herd-Highlight« mit echten oder selbsternannten Starköchen. In einer klinisch sauberen Studioküche, mit strahlend weißen Kitteln und Schürzen bekleidet, bereiten sie exotische Menüs mit unaussprechlichen Namen zu und verwenden dabei Zutaten, die höchstens der teuerste Delikatesswarenladen führt. Da sind mir meine Tagliatelle mit Lachs – von wegen Pizza-Service, nur das Tiramisu war gekauft! – doch wesentlich lieber.
An den Wochenenden dagegen blieb die Küche daheim kalt. Unser Lieblings-Italiener hat uns dann regelmäßig mit kulinarischen Köstlichkeiten, z.B. Thunfischsalat als Vorspeise und Tiramisu als Nachtisch, verwöhnt. Schade, dass Alfonso vor drei Jahren seine Trattoria zugemacht hat, nachdem seine Frau bei Nacht und Nebel mit einem Jüngeren abgedampft ist.
Nach einem genussvollen Mahl stürzten wir uns dann ins Nachtleben. Damals kannten wir jede Bar und Musikkneipe in und um München. Wir waren überall bekannt wie die bunten Hunde und kamen oft erst zum Frühstück nach Hause.
Mit der Zeit hat das wilde Leben seinen Reiz verloren. Wir hatten langsam den Wunsch, aus unserer intimen Zweisamkeit eine kleine Familie zu machen. Haustiere waren dabei von Anfang an wegen deiner Allergie, aber auch mangels »Tiersitter« in der Urlaubszeit, kein Thema.
Kurz und gut, nach ein paar Monaten war ich schwanger und unsere Freude darüber riesig. Liebenswerterweise, vielleicht auch aus Neugier, hast du mich zum Arzt begleitet. Während des Ultraschalls hat er dann plötzlich ausgerufen: »Das sind ja zwei! Sie bekommen Zwillinge!«
Er wollte dir eben noch das Bild erklären, als du mit einem leisen Seufzer ohnmächtig vom Stuhl gerutscht bist. Unter Mithilfe seiner Assistentin hat er dich auf die nächste Liege verfrachtet und dir einen kalten Waschlappen auf die Stirn gedrückt. Langsam hast du dich vom Schreck deiner doppelten Vaterschaft wieder erholt. Ich als Frau hab das eher praktisch gesehen, eine Schwangerschaft und gleich zwei Babys – am besten Nick und Nora junior –, das war doch mehr als perfekt! Seit der Geburt von Lukas und Leoni im April 1988 war Familie Marchant komplett. Die beiden Wonneproppen haben uns ganz schön auf Trab gehalten. In den ersten Wochen sind wir nur mit Sonnenbrille außer Haus gegangen. Die tiefen Augenringe, entstanden durch permanenten Schlafentzug, waren nicht so vorteilhaft. Glücklicherweise hattest du von deinem Chef Sonderurlaub bekommen, um mich tatkräftig zu unterstützen. Hilfe bekamen wir auch von Tante Hella, die, auch wenn sie keine eigenen Kinder hat, eine liebevolle mütterliche Art ausstrahlte. Sie ist öfter aus Köln angereist und hat für ein paar Tage unseren verlotterten Haushalt in Schuss gebracht. Meine ehemalige Studienkollegin Heike ist so manches Mal als Babysitter eingesprungen, wenn ich mit meinen Kräften am Ende war und Entspannung nötig hatte oder wir gemeinsam wenigstens eine Stunde allein zum Essen gehen wollten.
Die Taufe fand selbstverständlich in Marienfelde statt.
Als Paten hatten wir Tante Hella für Leonie, und meinen Cousin Thomas für Lukas ausgesucht. Thomas war als Kind mein liebster Spielgefährte gewesen und selbst als Erwachsene haben wir immer Telefonkontakt gehalten. Nach der Hochzeit hat er uns ein paar Mal besucht und du fandest ihn wirklich sehr sympathisch.
Auch unsere Eltern und die noch lebenden Großeltern – meine Oma Josephine sowie deine Opa Karl und Oma Inge – waren anlässlich der »feuchten Festlichkeit im Doppelpack« mit von der Partie. Die frischgebackenen Großeltern durften die anschließende Feier mit Übernachtung bezahlen, welche natürlich in dem Hotel stattfand, in dem wir unsere unvergessliche Hochzeitsnacht verbracht hatten.
Pater Anselm und Schwester Maria waren während der Tauffeier auffallend nervös, wahrscheinlich hatten sie noch die Pannen unserer Trauung im Kopf. Die Zeremonie verlief jedoch erstaunlich reibungslos, abgesehen von ein paar Schönheitsfehlern. Deine Tante konnte die Taufkerze nicht ruhig halten, und der Parkettboden der Kapelle sah hinterher wie ein Streuselkuchen aus, übersät mit Wachstropfen.
Thomas bekam auch sein Fett weg. Lukas, der kurz vorher noch sein Fläschchen leer getrunken hatte, hat wohl das ständige Wiegen nicht vertragen. Als sein Patenonkel ihn über das Taufbecken heben wollte, hat er ihm mit einem kräftigen Schwall Milch seinen dunklen Anzug extrem aufgehellt.
Das anschließende Festmahl fiel sehr feucht-fröhlich aus. Unsere Väter hatten es gut gemeint und gleichzeitig mehrere erlesene Flaschen Wein und Champagner bestellt. Weißt du noch, wie sie sich nach einigen Gläsern untergehakt haben und schunkelnd lauthals altbekannte Wein- und Trinklieder zum Besten gaben? Hella ist begeistert aufgesprungen, hat sich den verdutzten Thomas geschnappt und eine kesse Sohle aufs Parkett gelegt. Die Großmütter haben den ganzen Nachmittag und Abend selig verzückt ihre Enkelkinder geschaukelt und sich alte Storys über die Baby- und Kleinkindzeit ihrer eigenen Kinder – also Nick und Nora – erzählt. Wir haben uns köstlich amüsiert und jede Menge Fotos geschossen für unsere zwei Lieblinge.
Inzwischen sind wir wieder allein zu zweit in »Amora«. Unsere Zwillinge sind längst flügge und in die weite bzw. nähere Welt gezogen.
Leonie hat dein künstlerisches Talent geerbt. Sie hat sich schon als kleines Mädchen für Mode interessiert und mit Hingabe ihre Puppen und Barbies angekleidet. Später hat sie auf der alten Nähmaschine meiner Mutter selbstentworfene Kleider für sich selbst und auch für mich genäht.
Das Studium an der Akademie für Mode & Design ist genau das richtige für sie. Wir sind beide fast geplatzt vor Stolz, als wir erfuhren, dass unsere Tochter die Beste ihres Jahrgangs war und somit ein Stipendium fürs Ausland bekam. Ein Jahr darf sie nun in Paris das mondäne Reich der »Haute Couture« kennen lernen.
Hast du eigentlich schon ein passendes Hotel für uns gefunden? Wir wollten Leonie doch zu ihrem Geburtstag im