Drakula gegen Dracula. Andre Lux
zurück, den er gerade erst gekommen war. Jeder Ast, jeder Stein kam ihm nun noch einmal doppelt so ätzend vor wie beim vorherigen Mal. Eine wahre Tortur. Die erstaunlich breit gebaute Gestalt vor ihm machte keine Anstalten, ein Gespräch führen zu wollen. Er hörte nur lautes Schnauben und hin und wieder ein leises Fluchen ob des komplizierten und anstrengenden Weges, den die beiden zurücklegten. Genervt von den Geräuschen des Mannes setzte Fitzgerald seine Kopfhörer auf, um sich noch ein wenig den Klängen von 80er Thrash-Metal-Bands zu widmen.
»Dies hier ist mein Flurbereich, Sie können gerne Fotos machen, Herr Fitzgerald.« Mister Drake machte eine präsentierende Armbewegung.
Äußerlich wirkte der Mann nicht wie einer, der schon seit vielen Jahrzehnten in einem alten Schloss wohnte. Mit seinem schwarzen Hemd und den modischen Breitcordhosen machte er eher den Eindruck, im Versicherungsgewerbe tätig zu sein. Die gegelten, dunklen Haare und die geschmackvolle Brille mochten ebenfalls so gar nicht ins Bild passen.
»An den Wänden hängen Bilder meiner Vorfahren. Diese Tradition sollte man als eine Person von Adel schon erhalten.« Mister Drake zeigte auf eine Vielzahl alter Ölgemälde. Die älteren weckten in Rüdiger Fitzgerald eine starke Abneigung. Alte Männer mit Schnurrbärten starrten ihn mit ihren leeren Augen an und machten ihm die Sterblichkeit bewusst.
»Fotos mache ich immer erst hinterher«, meinte Fitzgerald in ruhiger Professionalität. Der gute Mann sollte ja nicht glauben, dass er ein Nichtsnutz sei.
Drake führte ihn durch den langen Flur bis in einen großen Saal, welcher eher einer Turnhalle glich als einem festlichen Ort, der bereits viele Könige und Barone dieser Welt beherbergte. »Nein, das ist nicht, was Sie denken, Herr Fitzgerald! Dies ist nur ein Übungsraum für meine Karatekurse. Ich bilde nun bereits seit fünfzehn Jahren jugendliche Menschen im Karate aus.«
Verdutzt schaute Rüdiger Fitzgerald Herrn Drake in die starre Miene. Noch einmal musterte der Journalist die um ihn herum stehenden kalkweißen Statuen. Es waren zwölf an der Zahl und sie stellten tatsächlich Kampfsportposen nach.
»Wissen Sie, Mister Fitzgerald, mit den Jahren muss man sich einige Hobbys suchen, um nicht völlig abzustumpfen. Möchten Sie etwas zu trinken? Ich habe auch Bier da. Und Schnaps.«
Fitzgerald holte sein Telefon hervor, um die Uhrzeit zu überprüfen. Es war mittlerweile 23:32 Uhr. »Ich nehme ein Bier. Gerne. Danke schön, Mister Drake. Ich habe mich sowieso noch gar nicht für die Einladung bedankt. Mein Magazin ist ziemlich stolz darauf, eine Reportage über ihr Schloss abdrucken zu dürfen. Ich meine, es ist ein sehr junges Schloss. Aber die Geschichte überhaupt. Sie waren immerhin einmal Sänger einer Hard Rock-Band.«
Drake schaute ihn an, während dieser den Grund seines Besuchs noch einmal erklärte, und ging zu einem Kühlschrank, der für Rüdiger im ersten Moment eher wie ein Erste-Hilfe-Kasten aussah. »Es erscheint mir sonderbar, dass es so interessant sein soll, einen Mann Mitte fünfzig in seinem Zuhause zu beehren. Aber ich gebe Ihnen gerne Auskunft über mein Schloss. Und natürlich, Sie können heute Nacht in unserem Westflügel schlafen. Immerhin ist der Weg sehr lang und es ist schon spät. Die Straßen hier im Norden von Idaho sind um diese Jahreszeit ebenfalls nicht zu unterschätzen. Sie erzählten etwas von einem Interview. Möchten Sie das heute noch durchführen?«
Gebannt von den säuselnd gesprochenen Worten Drakes, spürte Fitzgerald eine Art Trancezustand aufkommen. Vermutlich lag dies aber auch nur an der starken Übermüdung und der unnötigen Pfad-Begehung. Außerdem war der hohe Alkoholgehalt des Biers, welches ihm von Drake gereicht worden war, merklich spürbar.
»Waren Ihre Verwandten im Zweiten Weltkrieg aktiv, Mister Fitzgerald? Ich meine, haben Ihr Opa oder Uropa für die Army gedient?«
Der Journalist aus Louisville, Kentucky konnte den Worten des Mannes nur schwer folgen. Er fühlte sich immer noch beeindruckt von den Karatestatuen und der künstlichen, plastischen Atmosphäre des Raumes, in dem er und Mister Olaf Drake sich gerade befanden. Sein Gastgeber stand ihm gegenüber und knöpfte den oberen Knopf seines schwarzen Hemds zu, während er auf Fitzgeralds Antwort wartete. Diese Geste ließ Drake noch intellektueller wirken, als es die rahmenlose Brille in seinem Gesicht sowieso schon tat.
»Ich … ähm … also, ich wollte das Interview schon noch heute machen.« Fitzgerald hörte seine eigenen Worte im Nachklang noch einmal durch die Halle schallen.
»Gern.« Drake brach die Stille mit einem knappen Wort und schlenderte vergnügt in den nächsten Raum. Fitzgerald folgte ihm und versendete nebenher auf seinem Smartphone eine Nachricht an seinen Auftraggeber.
Drake zeigte auf einen großen Monitor: »Ich schaue gern die Aktienkurse. Ich unterstütze viele Firmen und habe so viele Anteile an verschiedenen Unternehmen. Ich muss den Überblick behalten.«
Nach dem seltsamen Gefühl, welches Fitzgerald im Karatesaal fast übermannte, war er heimlich froh, dass nun etwas mediale Berieselung auf ihn hereinbrach. Der Monitor war fast so groß wie sein eigenes Apartment und er wünschte sich, nur einmal auf diesem Riesenbildschirm eine Runde Tetris spielen zu dürfen.
Mister Drakes Griff ging zu einer Fernbedienung. »Ich schaue mir alles an. Die Kurse, was in der Welt passiert, Kriege. Manchmal ein paar zeitgenössische Filme.« Seine Finger glitten über die Fernbedienung, während bunt zappende Bilder auf ihn einprasselten. »Der Monitor war im Übrigen eine Spende. Das ist doch eine feine Geste, na, Mister Fitzgerald?«
Wieder spürte dieser einen kalten Hauch von Schauer auf seinem Rücken, während der energisch klingende Ton seines Gastgebers auf ihn einwirkte.
»Haben Sie einen Lieblingsfilm? Ich meine, viele mögen ja diese neuen, abgehackten Actionfilme, bei denen man gar nicht mehr hinterherkommt. Visuelle Bilderfluten und nebenher werden neue Messages auf den Smartphones gelesen. Oder geschrieben.«
Wort um Wort bohrte sich die Stimme von Olaf Drake in Rüdiger Fitzgeralds Ohren. Eine Jubelarie und ein Pfeifkonzert gleichermaßen. Hatte er gerade eine ganze Unmenge an Blut auf dem Bildschirm wahrgenommen? Warum fühlte er sich an den alten Bauernhof erinnert, auf dem er als Kind oft gespielt und dem Bauern beim Schlachten der Schafe und Schweine zugesehen hatte? Wie ein Stroboskop in seinem Kopf zuckten nun die Erinnerungen hin und her und wechselten sich mit dem ab, was auf der Mattscheibe gezeigt wurde. Was war nun die Realität, was fand in seinem Kopf statt? Er konnte das Gefühl kaum reflektieren, aber er merkte, dass sich während des Aufenthalts bei dem eloquenten Schlossbesitzer, bei dem er doch nur ein paar Dollars verdienen wollte, eine prekäre Situation zu entwickeln schien.
»Um auf Ihre Frage zurückzukommen …« Fitzgerald versuchte, die Contenance zu bewahren und nicht einfach im großen Kinosaal des Herrn Drake umzukippen. »Also, mein Lieblingsfilm ist zweifellos …« Was war denn nun sein Lieblingsfilm? Der Journalist grub in seinem Gedächtnis nach diesem einen Film. Er hatte ihn zu Hause in mehreren Formaten unter seinem kleinen Flachbildfernseher. Direkt neben der Playstation und den entwickelten Fotos seiner Exfreundin.
»Lassen Sie mich raten, Mister Fitzgerald. Ihr Lieblingsfilm ist irgendein typischer Blockbuster, der fast jedem gefällt, aber zu uncool ist, um als Lieblingsfilm genannt zu werden. Wenn Sie von der Arbeit kommen, gucken Sie sicher gerne Filme und essen dazu eine dieser japanischen Nudelsuppen.«
Rüdiger Fitzgerald brach zusammen. Mit gekreuzten Beinen, angelehnt an einen der Bildschirme, saß er da. Die Bilder vor seinen Augen wurden immer diesiger und die immer weiter auf ihn einredende Stimme von Mister Drake wurde dumpfer. Bis sie vollkommen verschwand.
»Wissen Sie, Mister Fitzgerald. Sie hätten ja mal nachschauen können. Ich bin ebenfalls ein hervorragender Journalist.«
Die Stimme klang, als käme sie aus einer dieser Sprechanlagen im Kaufhaus, über die Eltern ihre verloren geglaubten Bälger ausrufen.
»Ich habe Texte geschrieben. Zum Beispiel für die Times. Ja. Und auch für andere Zeitungen. Zeitungen, die es schon lange nicht mehr gibt. Entschuldigen Sie die Theatralik.«
Langsam erhielt Fitzgerald sein Körpergefühl zurück, welches ihm mitteilte, dass seine Beine und Arme komplett unbeweglich waren. »Ähm … Mister Drake.« Rüdiger Fitzgerald