Irgendwo grünt doch die Liebe. Gisela Gebhard

Irgendwo grünt doch die Liebe - Gisela Gebhard


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in Giebichenstein im Schutt der Unterburg liegen, die Keller wenigstens, falls welche vorhanden. Er will sich erkundigen, wo Berichte über die Legung des Grundsteins zu finden sind. Bis 17 Uhr ist heute das Bauamt geöffnet. Gut eine Stunde vorher meldet er sich bei der Auskunft.

      Andreas trägt sein Anliegen vor. Der Beamte überlegt und weist ihn zur Registratur. Die Dame dort schüttelt den Kopf. Hier wird registriert, was jetzt geplant, neu gebaut oder verändert wird. Die Baupläne für diese Gebäude hier sind nicht einzusehen. Sie fragt ihn, weshalb er daran interessiert ist. Er erzählt von seiner Arbeit und der vagen Hoffnung, dass man beim Ausschachten etwas fand, das ihm weiter hilft. Sie weist ihn ans Stadtarchiv in der Rathausstraße gleich neben dem Markt. Da ist Andreas schon früher gewesen. Dort finden Touristen, allgemein Interessierte und Schulklassen, das Halle der Neuzeit mit Dom, Marktkirche, Rotem Turm, Händel, Francke, der Saline, Kunsthochschule und Museen.

      Die Dame überlegt, ruft dann den Amtsleiter an. Sie berichtet ihm vom Anliegen ihres Besuchers, fragt, ob er helfen kann. Doktor Volkert hört interessiert zu, überlegt und bittet dann zum Erstaunen der Dame den Herrn tatsächlich zu sich. Andreas bedankt sich und sucht nun Zimmer A in der ersten Etage auf.

      Der Amtsleiter wollte gerade sein Zimmer abschließen, als der Anruf kam. Nun hat er Zeit. Doktor Volkert hat sich schon immer für Geschichte und speziell die seiner Stadt interessiert. Von der alten Burg, die ja eine der ersten an der Saale war und heute zur ›romantischen Straße‹ gehört, ist vieles bekannt. Dennoch gibt es zeitliche Lücken, die sein Besucher mit einer Promotionsarbeit möglichst füllen soll. Andreas möge ihm bitte erzählen, was er bereits zusammengetragen hat und weshalb er speziell meint, dass gerade hier bei den Ausschachtungsarbeiten alte Unterlagen zerstört oder zu Tage gekommen seien.

      Andreas weist auf einige Angaben in seinen Übersetzungen hin. Außerdem wurden die Verwaltungsgebäude an dem noch erhaltenen Stück der alten Ringmauer erbaut. Man kennt die Herrschergeschlechter, weiß aber kaum etwas über die Burgherren hier. Die ›Sage vom Springer‹ wurde längst als Fehler aus einer Lateinübersetzung geortet. Andreas sucht Namen, die ihm vielleicht Schicksale mitteilen. Er weiß um eingemauerte Dokumente in alten Wehranlagen anderer Gegenden. Warum nicht auch hier?

      Doktor Volkert will nach den Berichten über die Ausschachtungen suchen lassen. Irgendwo müssen sie ja sein. Dabei fällt ihm aber etwas ganz anderes ein. Sein Vater, im Kriege als Flakhelfer eingesetzt, musste mit 14 Jahren schon Munition zureichen und ab und an selber die Geschütze bedienen. Die Angst saß immer im Nacken. Schlimmer noch empfand er aber die Aufräumarbeiten nach den Bombenangriffen, wenn es Verletzte oder Tote gegeben hatte. Einmal hatte er in einem Scherbenhaufen teilweise zerrissen alte Schriften gefunden. Er brachte sie mit nach Hause. Seine Mutter reagierte entsetzt, weil sie meinte, das seien Schriftstücke aus der von den Nazis zerstörten Synagoge.

      „Bring sie bloß weg!“, sagte sie.

      Da steckte er diese Reste in Zeitungspapier, klemmte sie unter seine Uniform und ging in den Dom um zu beten, schlich aber dann in den Keller und versteckte alles in dunkler Ecke hinter einem zerbrochenen Tabernakel. Der heute evangelisch-reformierte Dom ist ja eigentlich die alte Klosterkirche der Dominikaner, nur immer wieder renovierte und neu ausgemalt.

      „Ich weiß“, antwortet der längst hellhörig gewordene Andreas. „Das historische Institut liegt ja nahe dem Dom. Ich liebe seinen gewaltigen Innenraum ohne Querschiff. Unser Dom ist in seiner stabilen Gewalt für mich einzigartig und ein Stück echtes Mittelalter.“

      Dann aber drängt ihn die Frage: „Hat Ihr Vater der neuen jüdischen Gemeinde später die Schriften wiedergebracht?“

      „Davon weiß ich nichts. Er hat es nur einmal beiläufig erwähnt. Sie können ja nachschauen, ob sich da noch was findet.“

      Bereits am nächsten Tag besucht Andreas den Domprediger in der Kleinen Klaus Straße. Sie sind einander gut bekannt. Andreas hat ihm schon vor Monaten von seiner Arbeit erzählt und die alten Kirchenbücher studieren können, ohne darin Hilfreiches gefunden zu haben. Die neue Geschichte interessiert den Pfarrer natürlich.

      „Sie können mit dem Küster da unten gern suchen“, meint er. „Es wurde viel aufgeräumt und auch neu geordnet. Das alte Tabernakel muss es noch geben. Schließlich ist es eine Erinnerung an die Dominikaner.“

      Der Küster weiß genau, wo sie suchen müssen. Das Tabernakel ist zwar zerbrochen, aber in den Einzelteilen noch gut erhalten, sollte geschützt werden und erhielt eine Plastikumhüllung. Das Museum wollte es zur Renovierung abholen lassen, hat das anscheinend aber wohl vergessen. Dahinter ganz in der Ecke zeigt sich im Lichte der Taschenlampe tatsächlich etwas, das vom Staub der Jahrzehnte bedeckt, kaum zu erkennen ist. Andreas kriecht hin, umhüllt mit seinem Halstuch den seltsamen Fund, kann ihn so vorsichtig aus der Ecke lösen und an sich nehmen. Der Küster freut sich, dass er hier helfen konnte.

      In der Sakristei wartet der Prediger auf die beiden. Er hat genau wie Andreas auf den Fund gehofft und einen kleinen Tisch zum Ablegen bereitgestellt. Andreas legt da sein verschmutztes Halstuch vorsichtig ab. Noch vorsichtiger entfaltet er es. Das alte Zeitungspapier vom Völkischen Beobachter hat sich fast aufgelöst. Nur noch rote Stellen einer Überschrift sind zu erkennen. Auf den fest zusammengepackten, brüchigen Lagen darunter liegt dicker, teilweise klebriger Staub. Der Prediger entnimmt seiner Tasche einen sehr weichen Pinsel und versucht eine erste behutsame Reinigung. Auf fast lederartigem Grund erscheinen einige Buchstaben. Das ist kein Hebräisch! Latein!

      Andreas muss vom Tisch zurücktreten. Er weint vor Freude und Dankbarkeit.

      „Der Schatz gehört jetzt dem Dom“, sagt er. „Ich möchte ihn aber restaurieren lassen und für meine Arbeit verwenden.“

      „Das Kuratorium des Doms wird im eigenen Interesse die Restaurierung ausführen lassen und später das hoffentlich gute Stück ausstellen, gegen Bezahlung an Museen und Wissenschaftler ausleihen. Der Finder soll es übersetzen und seine Übersetzung als Erstdruck in seine Doktorarbeit geben. Ist das ein Wort?“

      „Nicht nur ein Wort! Ein ganzes Kapitel!“, erwidert Andreas, drückt beide Hände des Predigers und fügt hinzu: „Sie sind ein wahrer Vertreter unseres Herrn.“

      Andreas hastet nach Hause, betritt seine Wohnung voll innerer Freude, drängt zum Schreibtisch und blickt zu der Schönen auf.

      „Ich glaube, wir haben gefunden, was dir und mir hilft. Wenn ich’s übersetzt gedruckt habe, bist du frei!“, ruft er ihr zu.

      Er meint, ein ganz feines neues Lächeln in ihrem Gesicht zu entdecken. Ganz sicher ist er sich nicht.

      Seine Freundin kommt nach einer Woche zurück. Die Trennung hat sie näher zueinander gebracht. Andreas kann ihr jetzt mehr seiner Zeit widmen, weil er nicht viel Neues zur Doktorarbeit beitragen kann. Er wartet auf die restaurierten Blätter, die früher einmal zusammengerollt waren, sehr brüchig sind und schwer voneinander zu trennen. Auch manche Passagen können mehr erahnt als erkannt werden. An verschiedenen Rändern fehlen Teilstücke des Textes. Andreas muss fast fünf Monate warten, bis er mit einer Übersetzung beginnen kann.

      Das Original bleibt im Dom. Andreas fotografiert vorsichtig in Zeitaufnahmen, was er zur Übersetzung dann mit nach Hause nimmt. Er hofft wieder auf die Hilfe der Schönen. Ilse darf während der Übersetzungen nicht in seiner Nähe sein. Er braucht absolute Konzentration. Das kann sie verstehen.

      Andreas weiß längst, dass sein Kontakt zu der Schönen, nur als ihr beider Geheimnis lebendig bleibt.

      Er entziffert einiges über Renovierungen in der Kapelle. Der Maler, ein Klosterbruder, wird auch genannt. Dann – kaum noch als Schrift zu erkennen – die Beichte zweier Knechte, die Robert den Alten, als er vor ihnen ausrutschte, mit Fußtritten in die Saale befördert haben. Das geschah Wochen nach Annas Tod. Weil keine direkten Erben vorhanden, wurde Annas Bruder danach Herr auf der Burg.

      In der folgenden Nacht träumt Andreas wieder von Anna. Sie erscheint freudig und stammelt fast unter Tränen: „Mein Geist muss in tiefem Schlaf lange geruht haben, sonst hätte mich der Tod des Alten vielleicht längst schon befreit. Ich habe auch nie empfunden, dass ich so lange still unterwegs war. Erst das Bild,


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