Der Duft von Pfirsichen. Denise Hunter
Das halblange braune Haar, in das seine weiblichen Fans so verschossen waren, hing ihm über dem einen Auge.
Er bedachte sie mit schweigsamer Gleichgültigkeit. Das war seine effektivste Bestrafungsform. Zoe konnte es nicht leiden, ausgeschlossen zu werden, deshalb führte es immer wieder dazu, dass sie sich bei Kyle einschmeichelte und nachgab. Alles war besser als seine kalte Schulter.
Das Testament ihrer Großmutter hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht, aber Brady war auch nicht gerade hilfreich gewesen. Immerhin war Kyle heute nicht persönlich an Cruz geraten. Gott sei Dank war Kyle nicht mit zur Beerdigung gekommen. Er hätte sie nie gehen lassen, wenn er gewusst hätte, dass Cruz dort sein würde.
Diese Seite an ihm hasste sie. Die sture, wütende Seite, die ihr das Gefühl gab, einsam und hilflos zu sein.
Aber er hat auch eine gute Seite, dachte sie und erinnerte sich daran, wie er Gracie sanft auf das Doppelbett gelegt und sie dort sorgfältig zugedeckt hatte, als wäre sie seine eigene Tochter. Und er war großzügig. Er hatte die Gewinne ihres letzten Konzerts dem Sohn eines Bandkollegen gespendet, der gegen Leukämie kämpfte.
Sein Mitgefühl und seine Großzügigkeit waren es, die sie anfangs angezogen hatten. Er hatte sie unter seine Fittiche genommen und ihr Stabilität und Halt geboten, als sie selbst nichts anzubieten hatte. Als die Grundfesten ihres Lebens weggebrochen waren. Als sie sich festgefahren hatte und voller Angst gewesen war.
Er behandelte Gracie wie sein Eigen, und seine Zärtlichkeit ihrer Tochter gegenüber hatte ihn Zoe lieb gemacht. Aber als sich ihre Beziehung veränderte, mehr wurde, wurden auch seine Besitzgier und seine Manipulationen offensichtlicher. Am Anfang war sie seinen Fehlern gegenüber blind gewesen. Aber nun war sie nicht mehr blind.
Sie betrachtete ihn. Sah die angespannten Augenwinkel. Wenn sie ihn drängte, würde sie die Sache nur schlimmer machen. Aber sie mussten einige Entscheidungen treffen.
„Kyle, wir müssen darüber reden.“
In aller Ruhe drückte er den Kanalknopf auf der Fernbedienung.
„Es wird nur ein paar Tage dauern, das hier alles zu ordnen.“
Obwohl sie ehrlich gesagt nicht wusste, wie genau sie hier „alles“ ordnen sollte. Sie befand sich nun im Besitz einer Obstplantage, um Himmels willen. Was sollte sie nur damit anfangen? Der Gedanke daran, sie zu verkaufen, brach ihr das Herz.
Ihre Großmutter und ihr Großvater hatten diesen Betrieb mit ihren eigenen Händen aufgebaut. Großvater war gestorben, als Zoe noch klein gewesen war, und Granny hatte den Rest ihres Lebens damit verbracht, ihn zu einem erfolgreichen Unternehmen auszubauen.
Zoe konnte den Hof nicht verkaufen. So viel war sie ihrer Großmutter schuldig.
Aber sie konnte ihn auch nicht führen. Sie hatte ein Leben. Eins, zu dem viele Reisen gehörten und ein Freund, der niemals länger in Copper Creek bleiben würde. Schon gar nicht für einen Haufen Pfirsichbäume.
Würde Brady die Plantage haben wollen? Er hatte nie großartig Interesse am Familienbetrieb gezeigt. Seine Leidenschaft galt den Autos. In seinem Leben gab es weder den Raum noch den Wunsch nach Landwirtschaft.
Oder in ihrem.
Aber das stimmte nicht so ganz. Der Landbau lag ihr im Blut. Sie hatte die Obstwiesen immer geliebt. Da hatte ihre Großmutter schon recht gehabt. Selbst heute noch wachte sie manchmal mitten in der Nacht auf und vermisste den lehmigen Geruch der Erde, den Dunst des Morgentaus auf dem Gras, den Duft eines reifen, noch sonnenwarmen Pfirsichs.
Es war beinahe April. Die Erntezeit begann Mitte Mai. Selbst wenn die Plantage sich „praktisch selbst führte“, wie Hope gesagt hatte, würde doch jemand dort sein, Entscheidungen treffen und die Abläufe beaufsichtigen müssen.
Einen Moment lang gestattete sie sich, sich vorzustellen, sie wäre diese Person. Sie schloss die Augen, während ihr Atem ihren Körper in einem langen, entlastenden Atemzug verließ.
„Kyle … Ich werde mehr als nur einen Tag brauchen, um das hier zu klären. Wenn du abreisen musst, fahr schon vor. Ich komme dann in ein paar Tagen nach.“
Dem würde er nie zustimmen. Aber vielleicht würde der Gedanke daran, dass sie ohne ihn hierbleiben könnte, ihn ein bisschen flexibler machen. Mit Kyle zu sprechen war manchmal, wie Schach zu spielen.
Er schaltete zum nächsten Kanal um. Und zum nächsten.
Er brauchte ihr nicht zu sagen, was er von ihr erwartete. Wenn es nach ihm ginge, würde sie einen Makler anrufen und das Anwesen listen lassen. Die Angelegenheiten aus der Ferne lenken. Sich von Copper Creek und allen, die dort wohnten, distanzieren. Allein, ihn dazu zu bringen, die Reise zur Beerdigung mitzumachen, hatte sich angefühlt, als hätte sie einen Berg versetzen wollen.
Aber auf einmal wusste sie, dass sie nicht tun würde, was er wollte. Sie konnte all das nicht ungeordnet hinterlassen. Sie hatte Granny bereits einmal im Stich gelassen. Diesmal würde sie ihr gerecht werden – was auch immer das bedeuten würde.
Zoe sank neben ihm aufs Bett. Wenn er sie wenigstens anschauen würde. „Die Immobilienmakler haben jetzt sowieso geschlossen, und das bleibt auch am Wochenende so. Wir werden wenigstens bis Montag bleiben müssen.“
Sein Blick huschte zu ihr, dann wieder zurück zum Fernseher. Ein Schatten flog ihm übers Gesicht, als seine Wangenmuskeln zuckten.
„Wir könnten am Dienstag fahren und wären immer noch rechtzeitig zurück, um uns auf das Sommerfest vorzubereiten. Du hättest mehr Zeit mit deinen Freunden hier.“ Sie hatte immer noch keine Ahnung, was sie tun würde, aber sie musste sich mehr Zeit verschaffen. „Ich habe auch nicht darum gebeten, Kyle, aber ich muss jetzt irgendwie damit fertigwerden.“ Sie legte eine Hand auf seine und streichelte mit dem Daumen seinen Handrücken. Das besänftigte ihn immer. „Hab Geduld mit mir, ja?“
Seine Augen wandten sich ihr zu und blieben diesmal. Diese Augen, die wie blaues Feuer oder kalt wie ein Gletscher werden konnten. Jetzt gerade waren sie irgendwo dazwischen, und sie wusste, dass ihre Bemühungen Wirkung zeigten.
Er seufzte. „Schön. Aber Dienstagmorgen reisen wir ab.“
Das war ein riesiges Zugeständnis. Sie drückte seine Hand. „Danke, Kyle.“
Dennoch lag sie später noch stundenlang wach, während die Nacht langsam verrann. Sie erinnerte sich an den Klang von Grannys Stimme, die auf der Obstwiese vor sich hin summte. Erinnerte sich daran, wie sie mit Brady und ihr auf dem Boden gesessen und Spiele gespielt hatte, wie sie nie zu beschäftigt für sie gewesen war. Wie sie Zoe ermutigt hatte, als sie wegen Algebra hatte weinen müssen.
Und dann, wie immer, wenn sie sich an diese alten Zeiten erinnerte, kehrten ihre Gedanken zu Cruz zurück. Zu der Stärke, die sie in seiner festen Umarmung gefunden hatte. Der Liebe, die sie in seinen tiefbraunen Augen gesehen hatte. Dann erinnerte sie sich daran, wie sich sein Blick heute auf ihr angefühlt hatte, so warm und wehmütig, und ihre Tränen versickerten leise in ihrem Kopfkissen.
KAPITEL 4
Zoe wusste nicht, wie sie sich von Kyle dazu hatte überreden lassen können, heute mitzukommen. Das Rusty Nail war brechend voll mit Leuten aus dem Städtchen, alle Plätze waren belegt, und an der Bar sammelte sich eine Menschenmenge. Der Duft gegrillter Burger hing schwer in der Luft und drehte ihr den Magen um. Rawley Watkins, der Sänger von Last Chance, schmetterte einen Countrysong über eine Verflossene.
Zoe schob ihren Teller zurück und half Gracie, an ihren Saftbecher zu kommen. Kyle saß am Tisch nebenan, wo er sich mit Axel Brown und Garret Morgan unterhielt. Mit stolzgeschwellter Brust beantwortete er ihre Fragen über sein Leben als Rockstar.
Sie blendete die Unterhaltung aus und sah zum hundertsten Mal zum Eingang. Ein paar Nachzügler kamen herein, niemand, den sie erkannt hätte.
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Band auf der Bühne zu, wo gerade einer der Musiker ein mitreißendes Violinsolo zum Besten gab. Die Menge applaudierte,