Mrs. Lewis. Patti Callahan
ließen uns am Tisch nieder, meine drei Jungs jeder mit einem Becher heißer Schokolade und ich mit einer Tasse Tee. Gerne hätte ich ihnen noch eine Haube aus Schlagsahne dazu spendiert. Warum fühlte sich das Alltägliche meines Lebens manchmal so beklemmend an, wenn doch das Alltägliche alles war?
Ich hatte noch andere Verwandte. Meine Eltern lebten noch, aber ich verspürte keinen sonderlich dringenden Wunsch, sie zu besuchen. Mein Bruder arbeitete in der Stadt als Psychotherapeut, doch ich bekam ihn nur selten zu sehen. Abgesehen von unserer neuen presbyterianischen Kirchengemeinde war das hier meine Familie.
Auf unserem Hof im ländlichen Norden des Staates New York fühlte ich mich abgeschnitten von der Welt, doch den Nachrichten im Radio folgte ich stets: Truman war Präsident, die Atombombe war immer noch das heiße Thema – was hatten wir da nur auf die Welt losgelassen, als wir das Atom spalteten? Man überbot sich gegenseitig mit Weltuntergangs-Szenarien. Und in der Welt der Literatur hatte Faulkner gerade den Literatur-Nobelpreis gewonnen.
„Danke, Mami.“ Davys Stimme holte mich ins Hier und Jetzt des Hauses zurück.
Ich schmunzelte über seinen Schokoladen-Schnurrbart und schaute dann hinüber zu Bill. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und streckte sich. Was für ein prächtiges Bild er doch abgab, dieser „perfekte mythische Ehemann“, wie ich ihn damals, als wir uns ineinander verliebten, einmal genannt hatte. Manchmal fragte ich mich, wie ich wohl jetzt auf ihn wirkte, aber mein Überlebensinstinkt ließ mir keine Zeit für Eitelkeit. Meine braunen Haare, lang und dicht, trug ich in einem lose geschlungenen Knoten im Nacken. Falls ich überhaupt hübsch war, dann auf eine altmodische Weise, das wusste ich. Mit meinen nicht einmal eins sechzig und meinen großen braunen Augen entsprach ich nicht gerade einer umwerfenden Schönheit, der Männer hinterherpfiffen. Es war eher eine anheimelnde Schönheit, die sich hervorheben ließ, wenn ich mir Mühe gab, was ich allerdings in letzter Zeit nicht getan hatte. Aber Bill? Er war ein schneidiger Bursche, was er liebte zu hören, wohl auch angesichts seiner Abstammung von Plantagenbesitzern im sonnigen Süden Virginias.
Er schlug die Beine übereinander und wandte sein schiefes Lächeln, das Douglas von ihm geerbt hatte, in meine Richtung. „Ich gehe heute Abend um halb acht zum AA-Treffen. Kommst du mit?“
„Diesmal nicht. Ich glaube, ich bleibe heute zu Hause bei den Jungs und bringe ihre Wintersachen in Schuss.“
Unter dem Tisch wand ich meine Hände und wartete auf einen Vorwurf, der aber nicht kam. Ich atmete erleichtert auf. Bill stand auf, reckte sich mit einem Gebrüll, das Davy zum Lachen brachte, und schritt dann zur Küchentür. „Ich gehe jetzt arbeiten“, sagte er. „Oder wenigstens versuche ich es noch einmal.“
„Okay.“ Ich nickte ihm lächelnd zu, aber innerlich krampfte sich mein Herz zusammen, da es auch danach verlangte, wieder an meine Arbeit zu gehen. Der Chefredakteur der Zeitschrift auf dem Küchentisch hatte mich um eine Artikelserie über die Zehn Gebote gebeten und ich kam damit kaum vorwärts. Aber schließlich war Bill der Herr des Hauses, und ich war, wie er und die Gesellschaft mir immer wieder in Erinnerung riefen, bloß die Hausfrau.
Die Jungs stürmten hinüber ins Spielzimmer neben der Küche und kabbelten sich. Zuerst zögerte ich, aber dann rief ich: „Bill, C. S. Lewis hat uns geantwortet!“
„Na, wurde ja auch Zeit!“ Er blieb in der Tür stehen. „Wie lange hat das jetzt gedauert? Sechs Monate? Leg mir den Brief auf den Schreibtisch, nachdem du ihn gelesen hast.“
„Ich habe ihn noch nicht aufgemacht, aber ich weiß ja, dass du dich für diese Dinge nicht mehr so interessierst.“
„Für welche Dinge?“
„Gott.“
„Natürlich tue ich das, Joy. Ich bin nur nicht so versessen auf die Antworten wie du. Verdammt, ich bin auf gar nichts so versessen wie du!“ Er hielt inne, als wolle er die schweren Worte abwägen, und fügte beschwichtigend hinzu: „Du weißt ja noch gar nicht, was er geschrieben hat. Vielleicht verbittet er sich jeden weiteren Kontakt. Er ist schließlich ein viel beschäftigter Mann.“
Ich sackte innerlich zusammen und spürte, wie der Traum von etwas, das ich noch nicht einmal gesehen oder wahrgenommen hatte, in sich zusammenfiel. „Bill, ich kann nicht hinnehmen, dass mein Erlebnis bedeutungslos gewesen sein soll. Ich kann das nicht als ein Strohfeuer abtun. Gott war da; das weiß ich. Was bedeutet das?“
„Das weiß ich doch nicht. Aber mach, was du willst, Poogle. Schreib ihm, oder lass es bleiben. Ich muss wieder an die Arbeit.“
In meinem Arbeitszimmer fröstelte ich vor Kälte. Wäre unser Haus bloß nur so voller Liebe wie voller Bücher – inzwischen stapelten sich über zweitausend davon auf Regalen und Tischen und nötigenfalls auch auf dem Fußboden. Das Haus war zugig, und die Kohlenvorräte gingen wieder einmal zur Neige. Ich würde Davy schicken, um Nachschub hereinzuholen. Schon vor ein paar Wochen hatten wir die Haushälterin entlassen müssen. Ich hätte alles geschrieben, egal was, nur um genug Geld zu verdienen, um sie wieder einstellen zu können.
Es musste sich etwas ändern, und zwar bald.
Ich nahm den Brief in die Hand, schlang meine Strickjacke fester um mich und ließ mich auf einem abgewetzten Sessel nieder. Ich wünschte mir, dass mein Mann meine Sehnsucht verstand – dieses Verlangen nach der unsichtbaren Welt, die in dem verborgen liegt, was wir vor Augen haben. Lewis war siebzehn Jahre älter als ich, für ihn lagen seine Erfahrung und Suche schon ein gutes Stück zurück. Ich hatte ihm geschrieben, weil ich auf der Suche war nach Antworten, die sowohl mein Herz als auch mein Verstand zufriedenstellen würden.
Ich fuhr mit den Fingern über die geschwungenen Linien seiner Worte. Sie waren offensichtlich mit einem Füllfederhalter mit blauer Tinte geschrieben, und aus jedem Federstrich verästelten sich hauchdünne Linien in den feinen Kapillaren des Baumwollpapiers. Ich hielt den Brief unter meine Nase, aber er roch nur nach kalter Luft und Staub. Zögernd schob ich meine Finger unter die Lasche des Umschlags. Obwohl ich darauf brannte, jedes Wort zu lesen, wollte ich doch zugleich auch die gespannte Erwartung noch länger auskosten. Warten und Sehnen sind oft der billige Brennstoff des Verlangens.
„Liebe Mr. und Mrs. Gresham“, begann er.
„Danke für Ihren langen und ausführlichen Brief.“
Ich musste lächeln. Lang und ausführlich – das konnte man wohl sagen!
Ich warf schnell einen Blick an das Ende des Briefes, um mich zu vergewissern.
Ihr C. S. Lewis
Er hatte uns tatsächlich geschrieben. Unter all den Hunderten von Briefen, die er bekam, hatte er auf meinen geantwortet.
3
I have loved some ghost or other all my years Dead men, their kisses and their fading eyes
„Prayer before daybreak“, Joy Davidman
Am Tag, nachdem der Brief von Lewis gekommen war, lauschte ich dem winterlichen Lockruf des Windes. Auf dem Stuhl gegenüber lag ein Haufen Sachen, die zu nähen waren, doch ich beachtete sie nicht, sondern starrte aus dem Fenster. Ich vermisste meine ausufernden Spaziergänge über unser Land und die nach Apfelblüten duftende Luft meines Frühlingsgartens, der unter dem Frost schlummerte. Es würde wieder Frühling werden; so wie immer.
Ich setzte mich an meine Underwood-Schreibmaschine mit ihren schwarzen Tasten und dem eingespannten weißen Blatt, das auf mich wartete. Diese Nachmittagsstunde hatte ich fürs Gedichteschreiben reserviert; ein Geschenk an mich selbst.
The fires are in my guts and you may light
A candle at them that will do no good.
Ich hielt inne, nahm einen Schluck von