Volkswirtschaft, 4. Auflage. Bernd-Michael Hümer
Bei der Buchung der wirtschaftlichen Aktivitäten von Tauschpartnern darf nicht übersehen werden, dass es sich um unterschiedliche Personengruppen in Gestalt der Verkäufer und Käufer handelt, bei denen nicht gleichzeitig der Verkauf und Kauf gebucht wird. Zwischen Leistung und Gegenleistung vergeht meist Zeit. Sie wird durch das Auftreten von Forderungen und Verbindlichkeiten überbrückt. Am Beispiel des privaten Konsums wird dies deutlich:
Tauschaktivitäten führen zu Forderungen und Verbindlichkeiten
Der Verkauf der privaten Konsumgüter auf der rechten Seite des Produktionskontos führt bei den Verkäufern zunächst zu einer Forderungszunahme bzw. Verbindlichkeitsabnahme, die eigentlich auf der linken Seite eines eigenständigen Kontos, des Kreditänderungskontos, gegengebucht werden müsste. Die Forderungszunahme wird z. B. durch eine Rechnung dokumentiert und besteht darin, dass die Käufer die Gegenleistung zunächst schuldig bleiben. Sie tritt aber auch bei einer Geldzahlung als Gegenleistung bzw. der Rechnungsbegleichung auf, denn Geld (Bargeld oder Buchgeld) stellt immer eine Forderung dar, wie wir noch zeigen werden (vgl. Abschnitt 6.1.4). Im Gegenzug erscheint der Kauf der Konsumgüter als Einkommensverfügung auf der linken Seite des Einkommenskontos und führt zu einer Verbindlichkeitszunahme bzw. bei Geldzahlung zu einer Forderungsabnahme bei den Käufern. Sie ist auf der rechten Seite des Kreditänderungskontos gegenzubuchen. Das Kreditänderungskonto legt also die Verteilung der Gläubiger- und Schuldnerpositionen offen. Nur wer diese Information wünscht, benötigt das Konto. Ansonsten ist es überflüssig. Da in einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne wirtschaftliche Außenbeziehungen die Gläubiger- und Schuldnerpositionen in der Summe einander entsprechen müssen, kann in diesem Fall auch kein Saldo entstehen. Er kann nur in einer offenen Volkswirtschaft auftreten und ist dann identisch mit dem Saldo des Vermögensänderungskontos.
Situationsbezogene Antwort 6
Da Geld in jeder Form (z. B. als Bargeld oder Bankguthaben auf dem Girokonto) eine Forderung für den Geldbesitzer und entsprechend eine Verbindlichkeit für den „Produzenten“ des Geldes darstellt, gilt dies auch für die Geldbewegungen bzw. die eingesetzten Finanzierungsmittel bei der Betriebstätigkeit von Installationsmeister Röhrl und bei seinen Kunden. So führt z. B. die Installation einer Pelletheizung mit anschließender Rechnungsstellung durch Installationsmeister Röhrl bei ihm in seiner Betriebsbuchführung zu einer Forderungszunahme und entsprechend beim Kunden zu einer Verbindlichkeitszunahme. Bezahlt der Kunde eines Tages die Rechnung bar oder durch Banküberweisung, so nimmt zwar die Rechnungsforderung bei Installationsmeister Röhrl bzw. die Rechnungsschuld bei seinem Kunden ab, im Gegenzug bekommt er aber von seinem Kunden eine andere Forderung, nämlich eine Forderung gegen die Europäische Zentralbank (EZB) bei Barzahlung oder eine Forderung gegen eine Bank bei Banküberweisung. Er kann dann diese neue Forderung selbst z. B. beim Güterkauf als Gegenleistung einsetzen.
Da grundsätzlich jeder Forderung irgendwo eine Verbindlichkeit bzw. einem Gläubiger ein Schuldner gegenüberstehen muss, ist klar, dass bei einer Zusammenfassung von Installationsmeister Röhrl und seinen Kunden zu einer gemeinsamen Gruppe ohne weitere Außenbeziehungen, die Forderungen und Verbindlichkeiten dieser Gruppe sich zu Null saldieren müssen. Das gilt auch für eine geschlossene Volkswirtschaft. Nur in einer offenen Volkswirtschaft, d. h., im Außenverhältnis gegenüber Dritten kann überhaupt in der Summe ein Saldo als Gläubiger- oder Schuldnerposition auftreten.
Die Installation einer Pelletheizung durch Installationsmeister Röhrl bei einem Kunden in Österreich als Export führt zwar zu einer Forderungszunahme der deutschen Volkswirtschaft gegenüber der österreichischen Volkswirtschaft. Da Österreich aber ebenso wie Deutschland der Europäischen Währungsunion (EWU) angehört, würde eine Rechnungsstellung und Rechnungsbegleichung in Euro (EUR) zu Forderungen und Verbindlichkeiten führen, die innerhalb der geschlossenen Volkswirtschaft der EWU einander entsprechen müssen. Es kann dann auch keinen Export innerhalb dieses geschlossenen Systems geben, so wie es z. B. keinen Export von Bayern nach Sachsen gibt. Das würde sich erst dann ändern, wenn Installationsmeister Röhrl seine Pelletheizungen eines Tages in den USA oder in Schweden installiert, also in Ländern außerhalb der EWU. Es kommt also darauf an, wie eine Volkswirtschaft abgegrenzt und was z. B. unter Inländer und Inland bzw. Ausländer und Ausland verstanden wird. Im 8. Kapitel werden wir uns mit diesen Fragen näher beschäftigen.
Situationsbezogene Frage 7
Hat Installationsmeister Röhrl mit der Verbesserung seiner Gewinnsituation auch seine Güterversorgung verbessert?
1.2.7 Nominal- und Realgrößen
Nur Realgrößen zeigen die tatsächliche Güterversorgung
Bei den volkswirtschaftlichen Leistungsgrößen und ihren Komponenten handelt es sich zunächst im Kern um Mengengrößen (Realgrößen). Da Mengen mit ihren unterschiedlichen physikalischen Maßeinheiten (z. B. Kilogramm, Liter, Stück, m2 etc.) nicht einfach addiert werden können, müssen sie auf einen einheitlichen Nenner gebracht werden. Als gemeinsamer Nenner dient der Preis, also die Anzahl der Geldeinheiten (z. B. 4 EUR) pro Mengeneinheit, mit dem die Anzahl der unterschiedlichen Mengeneinheiten multipliziert wird. Die Mengen werden dadurch in einheitliche (z. B. in EUR bewertete) Geldgrößen (Nominalgrößen) umgewandelt und lassen sich dann addieren. Als Preis wird bei der Ermittlung des Inlands- bzw. Sozialprodukts der Marktpreis genommen, der sich aus dem Herstellungspreis und der Differenz aus indirekten Steuern und Subventionen (Tind − Z) zusammensetzt. Sofern keine Marktpreise vorliegen, weil die betreffenden Güter nicht vermarktet bzw. nicht verkauft wurden wie z. B. der Staatskonsum, die Lagerinvestitionen und die selbst erstellten Anlagen, werden die Herstellungskosten bzw. Einstandspreise angesetzt. Werden in jedem Jahr die in diesem Jahr erzielten Preise angesetzt, so wird z. B. vom „BIP in jeweiligen Preisen“ oder kurz vom „nominalen BIP“ gesprochen. Allerdings tritt bei einer solchen Bewertungsmethode das Problem der jährlichen Preissteigerungen auf, die den Nominalwert erhöhen können, ohne dass der Realwert und damit die Güterversorgung entsprechend gestiegen sind.
Freiheit von Geldillusion durch Realgrößen
Besteht Freiheit von Geldillusion (vgl. Abschnitt 6.1.3) und demnach ein Informationsinteresse am Realwert, wird das Problem der Preisänderungen dadurch umgangen, dass die Preise künstlich konstant gehalten werden. Im Gegensatz zum nominalen BIP in jeweiligen Preisen wird daher beim realen BIP in konstanten Preisen eine Preisbereinigung vorgenommen. Das Bereinigungsverfahren erfolgt mit statistischen Methoden, die relativ komplex sind. Für die Interessierten sei es kurz beschrieben:
Preisbereinigung anhand eines Kettenindex
Das mengenmäßige BIP-Volumen eines Jahres (BIPV) wird mit dem auf das Vorjahr normierten Preisindex (P) bewertet. Damit ist sichergestellt, dass die entsprechende Wertänderung fiktiv nur die Mengenänderung widerspiegelt. Die Zeitreihe des realen BIP wird in der offiziellen Statistik nur als Kettenindex ausgewiesen. Zur Ermittlung dieses Kettenindex wird zunächst jeder preisbereinigte Jahreswert des BIP ins Verhältnis gesetzt zum Vorjahreswert des BIP in laufenden Preisen (Volumenindex nach Laspeyres). Die Berechnungsmethode für diesen Teilindex des realen BIP lautet z. B. für das Jahr 2010:
Für das Jahr 2009 würde sich entsprechend ergeben:
Um eine fortlaufende Indexreihe zu erhalten, werden die Teilindizes miteinander verkettet. Dazu wird zunächst der preisbereinigte BIP-Wert eines Referenzjahres (z. B. für das Jahr 2009) gleich hundert gesetzt und so der erste Kettenindex gebildet. Die Kettenindizes der Folgejahre werden dadurch ermittelt, dass der Teilindex eines jeden Jahres mit dem Kettenindex des Vorjahres durch Multiplikation verknüpft wird. In obigem Beispiel