Freie Liebe ist für Feige. Birgit Schmid
überzeugen. Eifersucht kann Beziehungen zersetzen. Doch statt in ihr auch eine positive Kraft zu erkennen, wird das Gefühl an sich als unerwünscht bewertet. Psychologie und Medien fokussieren auf ihre destruktiven Kräfte. Unzählige populärpsychologische Bücher zum Thema versprechen Heilung. Sie tragen Titel wie »Verlustangst, und wie wir sie überwinden«, »Aus Eifersucht kann Liebe werden« oder »Eifersucht überwinden«. Die Eifersucht wird in der Ratgeberliteratur als eines der »letzten Tabus« beschrieben, dessen sich Betroffene schämen. Das dunkle Gefühl enthält in der pauschalen Betrachtung keine Schattierungen.
Oder man redet von »unangenehmen Gefühlen«, wie das die Psychoanalytikerin Verena Kast, eine Jungianerin, tut. Seit die Liebe Arbeit bedeutet, hat man sich ihren Herausforderungen zu stellen. Aus ungefähr diesen Worten setzt sich ein Buchtitel Kasts über Neid und Eifersucht zusammen. Dadurch »vermögen wir unsere vernachlässigten Potentiale zu entwickeln und unsere Grenzen wahrzunehmen«, wird das Buch beworben. Hat die Eifersucht einen Nutzen, dann also den, uns selbst zu verbessern – man könnte auch sagen: angepasster zu machen, leistungsfähiger. Das entspricht ganz den Forderungen der Optimierungsgesellschaft.
Gleichzeitig wird die Eifersucht versuchsweise von der Liebe entkoppelt. Eifersucht habe wenig mit Liebe zu tun, schreibt Kast in »Neid und Eifersucht«. Obwohl wir dort eifersüchtig würden, »wo wir überzeugt sind, geliebt zu haben, wo uns jemand oder etwas wichtig ist. Ob das allerdings Liebe ist, ist fraglich. Der sehr eifersüchtige Mensch ist selten ein Mensch, der liebt, sondern er ist meist ein Mensch, der vor allem geliebt werden muss, der von außen bestätigt haben muss, dass er liebenswert ist und dass er wichtig und bedeutsam ist.«
Die Psychologisierung, die alles verstehen und erklären will, befreit den Eifersüchtigen gleichsam von der Verantwortung für sein Fühlen. War die Eifersucht einst noch eine Todsünde, die hart bestraft werden musste, beschreibt sie in unserer »therapeutischen Kultur« (Eva Illouz) nun eine ganze Psychopathologie, aus der einem geholfen werden kann.
Doch auch wenn sich Moralvorstellungen aufgelöst haben und die Kirche nicht mehr mit Hölle droht: Eifersucht hat weiterhin nichts Heroisches. Und erntet nicht nur Mitleid, sondern wird auch mit Fanny Ardants Verachtung abgestraft. Eifersucht ist nicht bloß kein edler Charakterzug, sondern die Eigenschaft ist so auf fällig und dominant, dass sie einen Typus Mensch beschreibt. Wie moralisch verwerflich es ist, eifersüchtig zu sein, lernt man bereits als Kind aus Grimms Märchen. In ihnen sind nur böse Menschen eifersüchtig und neidisch, so wie die Königin bei Schneewittchen und den sieben Zwergen. Der Neid und Unmut der Königin, Schneewittchens Stiefmutter, wächst wie ein Unkraut in ihrem Herzen, weil Schneewittchen und nicht sie die Schönste im ganzen Land ist. Wer es vergessen oder verdrängt haben sollte: Aus Eifersucht will sie Schneewittchen vergiften, und als Strafe dafür muss sie in glühenden Eisenpantoffeln so lange tanzen, bis sie tot umfällt. Hier handelt es sich zwar um keine sexuelle Eifersucht – es sei denn, man liest das Märchen psychoanalytisch. Deutlicher kann man aber nicht sagen, was für niedrige Instinkte Eifersüchtige treiben. Und was sie deswegen verdienen.
Die Akzeptanz der Eifersucht hat auch mit dem veränderten Paarungsverhalten abgenommen. Je flüchtiger man einander begegnet, desto kleiner bleiben die Ansprüche. In Zeiten des wachsenden Partnerwahlmarktes im Internet wird die Liebe zu etwas schnell Konsumierbarem. Es macht uns zu Bulimikern der Liebe, die das Finden – eines, wie wir jetzt sagen: Partners – über die Suche nach der großen Liebe stellen. Hat man jemanden gefunden, und passt er nicht in allen Punkten, wird er aussortiert. Geht es mit dieser nicht, warten ja Tausende andere, mit denen es vielleicht besser matcht. In der heutigen Dating-Kultur wird nichts mehr dem Zufall überlassen.
Der erste Blick an der Tramhaltestelle wusste hingegen noch nichts von den Hindernissen, die ihm folgten: dem Glück, dem Schmerz, der Eifersucht; weil diesen Augen nicht anzusehen war, in wen man sich damals innerhalb einer Sekunde verliebte. Heute steht man vor den unendlichen Möglichkeiten und lässt sich doch nicht ein, vielleicht sind die Gefühle ja falsch investiert. Indem die sozialen Medien die Selbstbespiegelung fördern, bleibt man sich am nächsten und dem anderen fremd. Eine emotionale Korrektheit bewahrt einen zudem davor, sich zu verausgaben. Hingabe heißt Aufgabe der Unabhängigkeit, was keine emanzipierte Frau mehr hinnimmt, will sie nicht als hoffnungslos romantisch, wenn nicht naiv gelten. Gefühle bleiben beliebig, um so mehr, da der Gleichheitsgedanke zwischen Frauen und Männern es einem verbietet, mehr zu geben, als man erhält. Dieses berechnende Denken schadet dem Begehren und allem, was es nach sich zieht: Rausch, Verzweiflung, Eifersucht.
Gemeint ist hier also nicht die Liebe, dank der jedes Jahr am 14. Februar die Umsätze der Blumenläden steigen. Auch nicht die Liebe, mit der Unterwäschelabels werben. Nicht das auf ein lebensspendendes Organ verkitschte Gefühl, mit dem die Kandidaten in Dating-Shows die Lippen formen oder von dem die Sinnsprüche auf den Zuckertütchen handeln. Jene Liebe ist bloß ein Wort und an niemanden gerichtet. Sie fördert höchstens den »Konsum der Romantik«, wie das die israelische Soziologin Eva Illouz genannt hat, ist eine käufliche Liebe. Sondern, das Pathos ist gewollt: Es geht um die Liebe, die für einen Einzigen, eine Einzige alles riskiert. Und deshalb auf den Schutz der Eifersucht angewiesen ist.
Wäre es nur nicht so uncool, eifersüchtig zu sein! So steht Eifersucht noch in etwas dem Zeitgeist entgegen. Mit der Zahl der verfügbaren Partner wächst auch die sexuelle Vielfalt. Die Lustbefriedigung sucht sich jetzt viele Wege, das Spektrum der Erfahrungen will erweitert werden, und das mit möglichst vielen verschiedenen Partnern. Heute sind moderne Liebesformen wie die offene Beziehung angesagt. Diese kann sich auf die Sexualität beschränken: Man gesteht dem anderen weitere Sexualpartner außerhalb der Beziehung zu, ohne dass Gefühle involviert wären.
Bei der sogenannten Polyamorie hingegen handelt es sich um die gleichwertige Liebe zu mehreren Personen. Diese Mehrfachliebe wird seit ein paar Jahren in den Medien breit diskutiert und findet in jungen, urbanen Leuten von Berlin bis New York ihre Anhänger. Durch die propagierte Offenheit zu mehreren Liebespartnern wird der Eifersucht nun ihre Legitimation endgültig entzogen. Dabei ist der Traum der freien Liebe als Ausdruck einer progressiven Lebenseinstellung nicht einmal neu. Er wurde schon in der Romantik Ende des 18. Jahrhunderts gefeiert und während der Studentenbewegung der sechziger und siebziger Jahre ausprobiert.
Doch zum ersten Mal ist die Idee der Vielliebe mitten in der Gesellschaft angekommen: nämlich auch bei den Frauen. Welche Frau möchte sich noch an einen einzigen Mann verlieren, wenn sie nicht um ihre Selbstbestimmtheit fürchtet? Das feministisch geprägte Konzept erscheint nicht nur ungeheuer liberal und großzügig, sondern vor allem auch die richtige Antwort auf unsere Zeit, in der fast jede zweite Ehe scheitert. Wer kann da ernsthaft noch eine Liebe für sich beanspruchen? Wie altmodisch, wie unsouverän, besitzergreifend und kleinlich!
Das Liebessehnen nach dem oder der Einzigen, wie es in Werken der Literatur, von Kunst und Musik ausgedrückt wird, wird entsprechend lächerlich gemacht. Mit dieser Absicht sezieren der Psychologe Christopher Ryan und die Psychiaterin Cacilda Jethá in ihrem Erfolgsbuch »Sex at Dawn« ältere Popsongs. Dazu muss man wissen, dass die Autoren in ihrer Hauptthese die monogame Paarbeziehung als naturgegeben in Frage stellen. Das Buch, das 2016 unter dem Titel »Sex. Die wahre Geschichte« auf Deutsch erschien, wird dann auch mit dem Slogan »Bibel der Polyamoristen« beworben.
Im Lied »When a Man Loves a Woman« von Percy Sledge von 1966 also heißt es, dass ein Mann die ganze Welt für die Gesellschaft einer geliebten Frau geben würde. Er schliefe sogar im Regen, beteuert der Sänger, wenn sie es ihm beföhle. »Wir würden gern einen alternativen Titel für diesen Song vorschlagen«, schreiben Jethà und Ryan, und er laute: »Wenn ein Mann eine pathologische Obsession entwickelt, jegliche Würde und Selbstachtung opfert und einen Vollidioten aus sich macht.« Das Lied »Every Breath You Take« (1983) von The Police schlagen sie als »Nummer eins der Rangliste von Liedern über kranke und verrückte Stalker« vor, da der Text von einem Mann handelt, der jeden Atemzug und jede Bewegung der Geliebten bewachen möchte. Das sei, so die Autoren, Besitzgier und keine Liebe. Sänger Sting hätte ihnen nicht einmal widersprochen. Auch er war irritiert, dass Leute das Lied an ihrer Hochzeit abspielten. Das unterschlagen Jethà und Ryan natürlich.
Solche Liebesgeschichten sind gewiss nicht politisch korrekt. Aber wird man dem künstlerischen Gefühlsausdruck gerecht, wenn man