Babaji - Pforte zum Licht. Gertraud Reichel

Babaji - Pforte zum Licht - Gertraud Reichel


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Wann wirst du deine Lektion gelernt haben?!"

      Wie ich auf meinen Platz zurückkam, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich wochenlang zögerte, den Sari anzuziehen.

      Natürlich hat mich Babaji im Anschluss immer wieder geprüft und mich in Versuchung geführt. Er zeigte mir Schmuckstücke und fragte, ob sie echt sein. Jedesmal ging ich dann in mich, um meine Regungen zu überprüfen, doch es regte sich keine Begierde. An Äußerlichkeiten hatte ich jegliches Interesse verloren. Das hinderte Babaji nicht daran, mir eines Tages die Schmuckstücke, die ich begutachtet hatte, zu schenken, sozusagen als Preis für die bestandene Prüfung.

      ***

      Dem Arti folgte ein Yagna. Auf der geräumigen Dachterrasse, auf der leicht zweihundert Menschen Platz hatten, war eine viereckige, rot, mit Lehm ausgekleidete Yagna-Grube gemauert worden. Leichtfüßig wie eine Gazelle sprang Babaji nach dem Arti behend die Stufen zur Terrasse empor und ließ diejenigen, die ihn umringt hatten, überrascht zurück. Im Nu saß er an seinem Platz an der Feuergrube, - flüchtig hatte er mir im Vorbeieilen ein "Komm" zugeflüstert - und gab kurz hier und da eine Anweisung. Die Gastgeberin hatte zu seiner linken Seite Platz genommen, andere Frauen in ihren bunten Saris umringten ihn stehend. Sie legten Babaji die Fingerspitzen auf den Rücken, auf die Schulter, um - da sie nicht selbst die Gaben ins Feuer warfen - auf diese Weise am Yagna teilzuhaben. Rund um die Grube saßen die Männer des Hauses und andere. Sri Muniraji war wie üblich an Babajis rechter Seite und Shastriji rezitierte stehend Mantren aus den Heiligen Schriften. Hell loderten die Flammen auf und züngelten Babaji entgegen, während er flüssiges Butterfett ins Feuer gab. Still war es, man hörte nur das Knistern des Feuers und die Stimmen der Opfernden. Alle konzentrierten sich nach innen, unhörbare Gebete stiegen in den Himmel und erflehten den Segen der Himmelsmächte. Hinter Babaji stehend, versuchte ich das Yagna innerlich nachzuvollziehen und bat darum, von den Flammen gereinigt zu werden, mehr und mehr wollte ich aufnahmefähig sein für das Göttliche. Die Einheit zu erfahren, ganz in ihr aufzugehen, war mein Ziel. Babaji repräsentierte für mich diese allumfassende, unbegrenzte Einheit. Eine grenzenlose Sehnsucht erfasste mein ganzes Sein.

      Tief versunken in diese Gedanken bemerkte ich nur am Rande, dass Babaji nach der Beendigung des Yagnas aufgestanden war und über die Brüstung der Terrasse schaute. Jäh wurde ich aufgeschreckt. Jemand hatte mich angetippt. Ich glaubte, ich solle den Weg freimachen für Babaji. Da jedoch genügend Platz vorhanden war, zuckte ich nur mit den Achseln. Wieder wurde ich angestoßen, diesmal unmissverständlich. Was wollte man von mir? Ich blickte auf und begegnete den schelmischen Augen Babajis, der zu mir herüber nickte. Als ich vor ihm stand, drückte er mir den Sari, den er kurz vor dem Yagna erhalten und um den Hals gelegt hatte, in den Arm. Ungläubiges Erstaunen erfüllte mich.

      "Für mich?"

      Als ich dann seine Füße leicht mit den Händen berührte, wurde ich von einem Schluchzen geschüttelt. Babaji hatte seinen Fuß auf meine Hand gestellt. Er ließ mich nicht los und die Sehnsucht, die ich innerlich so stark gespürt hatte, floss wie ein Strom in ihn hinein. Als ich mich endlich aufrichteten konnte, zeigte Babaji auf das Ende des fünf Meter langen Saris, das auf dem Boden lag.

      "Deins", sagte er. Ich hob den Stoff auf.

      "Deins", wiederholte er und deutete lächelnd auf das andere Ende des Saris. Unter Lachen, während mir die Tränen über das Gesicht kullerten, hob ich auch das zweite Ende auf... Schweigend standen wir noch ein Weilchen beieinander; die anderen, die zuschauten, bemerkte ich nicht.

      Welch kostbares Geschenk hatte Babaji mir soeben gemacht. Es war nicht der Shri, er war nur Mittel zum Zweck, um mir sein Versprechen zu verdeutlichen, das besagte: "Vieles werde ich dir schenken, so viel inneren Reichtum, dass du nicht alles auf einmal mit beiden Händen fassen kannst. Richte deinen Blick nur immer auf das Beständige, auf das Göttliche!"

      Das Yagna lief noch einmal vor meinem geistigen Auge ab. Jeden Tag, insgesamt zwölf Mal, würde er hier oben ein Havan zelebrieren. Ist es Zufall oder keiner - denn Zufälle gibt es im Geistigen nicht -, dass sich in diesem zehnstöckigen Hause, in dem er täglich ein Yagna zelebrierte, ein Versuchslabor der indischen Regierung für Atomenergie befand? Während der letzten Jahre hatte Babaji immer wieder von der kommenden, allumfassenden Zerstörung gesprochen, die auch von Atombomben hervorgerufen werden würde. An einem der Tage war Babaji in das Labor geführt worden, hatte ein Stück Uran, das von den Wissenschaftlern nur unter ganz bestimmten Schutzvorkehrungen bewegt wurde, in die bloße Hand genommen und hatte damit mehrmals den Raum durchquert. Wollte er durch diesen ungewöhnlichen Akt die Auswirkungen der Radioaktivität günstig beeinflussen?

      Babaji trat von der Brüstung zurück und setzte sich ein Weilchen auf die Hollywood-Schaukel, die sich auf der Terrasse befand. Später würde er einzelne Schüler besuchen oder einen Ausflug an spirituelle Orte machen. Jeder, der einen Platz in den bereitstehenden Autos bekam, konnte mitfahren. Heute war ein Ausflug nach Dakineshwar geplant und nach Daknath. Dakineshwar ist ein ganzer Tempelkomplex, direkt am Ganges gelegen. Hier lebte Ramakrishna vor einhundert Jahren. Dieser, für seine religiöse Toleranz auf der ganzen Welt bekannte, Heilige starb 1886. Wie auch Babaji, lehrte er die Einheit aller Religionen, aller Menschen, gleich welcher Farbe, welchen Glaubens und welcher Nationalität.

      Dorthin ging die Fahrt durch übervölkerte Straßen, vorbei an Wasserverkäufern, wiederkäuenden Kühen, eleganten Geschäften an breiten Avenuen, Fahrrädern, geschäftigen Handwerkervierteln, Fahrrad-Rikshas, hupenden, überfüllten Bussen, entlang des Ganges mit seinen lehmigen Fluten und menschenleeren Stränden. Eine wohltuende Stille herrschte im Tempel von Dakineshwar. Babaji sprang leichtfüßig treppauf, treppab die Stufen zu den unzähligen Tempeln hinauf und hinab, verharrte in dem einen länger, in dem anderen kürzer. In Ramakrishnas Zimmer zog Babaji sich in eine Zimmerecke zurück, verharrte im meditativen Schweigen.

      Dem Tempelbesuch folgte ein Rundgang im Außenbezirk. Jeder hatte Mühe, Babaji zu folgen. Wie er, liefen wir barfuß. Es hatte keinen Zweck, Schuhe mitzunehmen. In einen Tempeleingang ging es hinein, zum anderen hinaus. Zeit, die am Eingang abgestellten Schuhe zu holen, gab es nicht. Babaji war fort, ehe man sich versah.

      Weiter ging die Fahrt über das Land, vorbei an kleinen Dörfern und Seen, aus denen bisweilen die schwarzen Köpfe der sich abkühlenden Wasserbüffel ragten, nach Daknath, zu einem Kloster. Die dort amtierenden Priester hatten Babaji eingeladen. Nach einem gebührenden Empfang führten sie ihn und seine Begleiter in einer Prozession durch die engen Gassen der Altstadt in den Shiva Tempel, den Männer nur mit bloßem Oberkörper betreten durften. Vergebens hatten die Priester sich bemüht, Babaji dazu zu bringen, sein Hemd abzulegen, und mit entblößtem Oberkörper durch die Gassen zu pilgern. Der Oberpriester, der Babaji zum ersten Mal begegnete und nicht so recht von ihm überzeugt war, hatte darauf bestanden. Es folgte eine lange Diskussion, in deren Verlauf er nicht anders konnte, als Babaji als Mahavatar anzuerkennen. Einige Tage später war er in Kalkutta erschienen und hatte sich Babaji vollends übergeben.

      Alle, die Babaji auf der Fahrt begleitet hatten, folgten der Prozession. Babaji stach nicht allein durch sein blaues Seidenhemd aus der Schar hervor. Seine Bewegungen, im Gegensatz zu den der anderen, waren fließend, waren eins mit der ihn umgebenden Welt. Am Tempel, er bildete das Zentrum des Ortes, verschwanden alle Priester und Begleiter nacheinander im Eingang. Babaji verlangsamte seinen Schritt vor Betreten des Tempels, während ich versuchte, ihm zu folgen. Ausländern war der Zutritt verwehrt, was ich nicht wusste. Einer der Priester versperrte mir den Weg. Er hatte mich als Ausländerin erkannt, obgleich ich mir den Sari ins Gesicht gezogen hatte.

      Wenn äußere Formen, Richtlinien und Dogmen, von Menschenhand gemacht, den göttlichen Gesetzen widersprechen, fühle ich mich eingeengt; und hier konnte ich mich nicht damit abfinden, als Andersgläubige den Zutritt zu einem Heiligtum - das für jedermann zugänglich sein sollte - verwehrt zu sehen. Die Essenz einer jeden Religion betrachtend, - egal wer, wo und wie man sucht, Hauptsache ist ein Glaube, gleichgültig, wie er genannt wird, - sagte ich zu dem Priester:

      "Ich bin ein Hindu, lass mich hinein!"

      Keine Reaktion.

      Ich spürte nur Abwehr. "Lass mich hinein, ich bin ein Hindu", wiederholte ich mit Nachdruck.

      Vergebens.


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