Tokyo - eine Biografie. Till Weber

Tokyo - eine Biografie - Till Weber


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des Hirakawa wurde zu einem frühen Wahrzeichen von Edo, so wie der von Ōta Dōkan gegründete Sannō-Hie-Schrein zu einem der drei bedeutendsten Shintō-Heiligtümer Tōkyōs wurde. Die Stadtgestalt wurde auch durch die Umleitung eines Teils des Hirakawa-Flusses verändert, wodurch östlich der Kanda-Brücke ein neuer Fluss entstand, der heute von der zentralen Brücke Nihonbashi überquert wird, dem Ausgangspunkt der bedeutendsten Straßen des Landes. In den Jahrhunderten nach Ōta wurden weitere Flüsse umgeleitet und kanalisiert, Hügel abgetragen und Teile der Bucht aufgefüllt, bis sich die Stadttopographie zur heutigen entwickelte.

      Ōta Sukenaga schor sich schon 1458 den Kopf und wurde Laienpriester. Dabei nahm er den buddhistischen Namen Dōkan an. Solche Konversionen waren unter Samurai nicht selten und sie bedeuteten in der Regel kein völliges Entsagen von der Welt. Sie konnten aber Entlastung von den Tagesgeschäften und von familiären Pflichten bringen.

      Tokugawa Yoshinobu (1837 – 1913), der letzte der 15 Shōgune aus seinem Hause, aufgenommen 1867 in Ōsaka in höfischer Tracht von Frederick Wiliam Sutton aus der königlich-britischen Marine. In diesem Jahr gab der letzte Shōgun sein Amt an den Kaiser zurück und wurde zum Privatmann.

      Ōta Dōkans Persönlichkeit ging weit hinaus über die eines erfolgreichen Militärs und Burgstadtgründers. Von ihm erzählt man sich eine Geschichte, wie er sich seiner mangelnden Bildung bewusst wurde. Eines Tages weilte er auf der Jagd, als ein plötzlicher Regen über ihn hereinbrach. Er hielt an einer einfachen Hütte an und fragte das dort lebende Mädchen, ob sie ihm einen Regenumhang aus Reisstroh leihen könnte. Wortlos brachte sie ihm ein Japanisches Goldröschen (yamabuki). Ōta Dōkan zog verwirrt und durchnässt von dannen. Erst später in seiner Residenz machte ihn ein Gefolgsmann auf die Bedeutung der Blumengabe aufmerksam. In einem alten Gedicht des Prinzen Kaneakira heißt es, das Goldröschen blühe sehr schön, aber brächte nichts hervor. Letzteres kann im Japanischen ein Wortspiel mit »hat keinen Regenmantel« bedeuten. Das beschämte Mädchen hatte ihm also »durch die Blume« zu verstehen gegeben, dass es zu arm war, um einen Regenmantel zu besitzen.

      Von nun an arbeitete Ōta Dōkan an seiner Bildung und schrieb bald selbst Gedichte. Eines seiner berühmtesten, neben seinem Sterbegedicht, beschreibt die Lage seiner Burg Edo:

       »Meine Behausung

       Grenzt an einen Kiefernhain

       An der blauen See.

       Von ihrer bescheidenen Traufe aus

       Kann man den sich erhebenden Fuji sehen.«

      Auch für dieses Gedicht wird Ōta Dōkan bis heute geschätzt und geliebt, fasst es doch die über die Jahrhunderte andauernde Freude der Japaner und ihrer Besucher zusammen, wenn sie den majestätischen Berg Fuji von Edo/Tōkyō aus zu Gesicht bekommen.

      Ōta Dōkan war jedoch kein langer Lebensabend vergönnt. Er musste weiterhin die Pflichten eines Vasallen gegenüber Uesugi Sadamasa erfüllen, der in erbitterten Auseinandersetzungen mit regionalen Rivalen stand. Eine dieser Familien, die Hōjō, sollten die Region einschließlich Edo für den größten Teil des 16. Jhs. beherrschen. 1486 wurde Ōta von seinem Herrn fälschlich der Illoyalität beschuldigt und kam in Sagami ums Leben. Vermutlich geschah dies, wie unter Samurai üblich, durch die förmliche Übermittlung einer »Einladung« zum Seppuku, dem rituellen Selbstmord durch das eigene Schwert. Ōta Dōkans eingangs zitiertes Sterbegedicht drückt gleichzeitig das Bedauern über das Ende eines so reichhaltig gewordenen Lebens aus, ohne die Haltung der Todesverachtung aufzugeben, die von einem wirklichen Samurai zu erwarten war. Ōta Dōkan ging, aber Burg und Stadt Edo blieben auf der Landkarte. Sie waren zu Orten geworden, in denen es sich zu leben lohnte.

      Ōta Dōkan wird, neben Tokugawa Ieyasu, heute als zweiter Stadtgründer von Tōkyō gefeiert, besonders am 1. Oktober, dem offiziellen Stadtgründungstag. 1956 war er sogar die Hauptperson des Gedenkens im Rahmen der offiziellen 500-Jahresfeier des Großraums Tōkyō. Sich auf den Burgbaubeginn unter Ōta Dōkan zu beziehen, mochte günstig sein, um nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs den historischen Bogen weiter zurück zu spannen und der Hauptstadt ein ehrwürdiges Alter zu geben. Seit 1956 also nimmt Ōta Dōkan einen vorderen Platz ein unter den regionalen Heldenfiguren Japans. Zahlreiche Denkmäler, Bücher, Filme und andere Medien legen davon beredtes Zeugnis ab.

Die 15 Shōgune von Edo

      Im 16. Jh. wurde das südliche Kantō-Gebiet von mehreren aufeinanderfolgenden Generationen der Familie Hōjō beherrscht. Während das japanische »Zeitalter der kämpfenden Reiche« (Senjoku-jidai) im ganzen Land seinem Höhepunkt zustrebte, gab es im Osten lange ein Patt zwischen den rivalisierenden Fürstenhäusern Hōjō, Uesugi, Takeda und Imagawa. Solche regionalen Fürsten, daimyō, regierten ihre Territorien faktisch unabhängig von Kaiser und Shōgun, deren tatsächlicher Machtbereich kaum noch über die Hauptstadt Kyōto hinausreichte. Schon um das eigene Gebiet zu schützen waren viele jederzeit zum Angriff auf Nachbarn bereit und die Großen fraßen die Kleinen. Als sich ab 1543 die von einigen gestrandeten Portugiesen vorgestellten Feuerwaffen in Japan verbreiteten, beschleunigte sich der Prozess des Fressens und Gefressen-Werdens: Diejenigen Fürsten, die genug Mittel hatten, sich die neue Waffengattung und vor allem das knappe Schießpulver leisten zu können, schalteten immer mehr Rivalen aus und vergrößerten den eigenen Machtbereich, was wiederum ihre Ressourcen vermehrte.

      Die Hōjō gehörten dabei zu den größten Fischen im Haifischbecken und wahrten ihre Unabhängigkeit bis 1590. Sie hatten nicht das altehrwürdige Kamakura, sondern das ca. 80 km westlich von Edo/Tōkyō liegende Odawara zu ihrer Residenz und wichtigsten Burgstadt erwählt. Ihr mehrere Provinzen des Kantō umfassendes Territorium sicherten sie durch ein Netzwerk von Nebenburgen, die wiederum eigene Netzwerke mit Satellitenforts und Grenzposten hatten. Edo war eine solche Nebenburg mit eigenem Netzwerk, gehalten von lokalen Vasallen der Hōjō. Augenscheinlich entwickelte sich die Stadt Edo nicht weiter in dieser Zeit, aber der Burg verblieb eine gewisse Bedeutung bei der Sicherung und Verwaltung eines Teils des Hōjō-Landes.

      Die Hōjō waren eher nur entfernte Zuschauer, als ein relativ unbedeutender Daimyō namens Oda Nobunaga (1534 – 1582) sich von seiner Heimatprovinz Owari (das Gebiet um die heutige Großstadt Nagoya) aus aufmachte, eine Provinz nach der anderen in Zentral- und Westjapan zu erobern. 1573 setzte Oda Nobunaga in Kyōto den 15. und letzten Shōgun aus dem Hause Ashikaga ab, wonach dieses Amt 30 Jahre lang unbesetzt blieb. Nach Nobunagas dramatischer Ermordung durch einen unzufriedenen Untergebenen 1582 führte ein anderer vormaliger General des Nobunaga die gewaltsame Landeseinigung fort, Toyotomi Hideyoshi (1536 o. 1537 – 1598). Nach der Eroberung und Umgestaltung von Zentral- und Westjapan fielen 1585 Shikoku und 1587 Kyūshū im Süden. Die Hōjō verpassten den richtigen Zeitpunkt, sich Hideyoshi formell zu unterwerfen und so wenigstens einen Teil ihrer Herrschaft zu retten. Hideyoshis gewaltige Militärmaschinerie setzte sich 1590 mit über 200.000 Mann nach Osten in Bewegung. Burg um Burg fiel. Odawara selbst war zu schwach, die Angreifer zur Feldschlacht zu stellen, aber doch zu zahlreich bemannt, um alle Eingeschlossenen lange genug ernähren zu können. So endete die Zeit der Hōjō mit der Kapitulation und dem erzwungenem Selbstmord des regierenden Fürsten.

      Das Jahr 1590 kann auch als das folgenreichste in der bisherigen Stadtgeschichte von Edo angesehen werden, denn am 1. Tag des 8. Monats nach dem alten Mondkalender, also zur Mitte des Herbstes, nahm Fürst Tokugawa Ieyasu (1543 – 1616) offiziell Besitz von seinem neuen Lehen, zu dem die Burg Edo gehörte. Ieyasu tauschte auf Wunsch des Hegemons Toyotomi Hideyoshi seine eigenen, weiter westlich entlang der Tōkaidō-Straße gelegenen fünf Provinzen, darunter sein Stammland Mikawa, gegen die acht Provinzen des Kantō ein. Diese waren: Musashi (heute Tōkyō und die Präfektur Saitama), Sagami (Präfektur Kanagawa), Awa (Chiba), Kazusa (Chiba), Shimōsa (Chiba und Ibaraki), Hitachi (Ibaraki), Kōzuke (Gunma) und Shimotsuke (Tochigi).

      Die ganze Region war immer noch weniger entwickelt


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