Zwei gegen Ragnarøk. Hans-Jürgen Hennig

Zwei gegen Ragnarøk - Hans-Jürgen Hennig


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Apfelstücke gefiel ihr ausgezeichnet und sie wollte gleich für noch mehr Gequieke sorgen. Laut kichernd warf sie die Apfelstücke nun mal hierhin und mal dorthin. Die Schweinehorde folgte prompt und stützte sich auf jedes Apfelstückchen, so dass der Schlamm am Fuße der Eiche hoch aufspritzte und das Gequieke der Schweine wohl im ganzen Dorf zu hören sein würde.

      Hilda lachte übermütig. „Hier habt ihr noch einen Happen“ – und wieder flog ein Apfelstück in den Modder.

      Mittlerweile wurde das Gequieke, der Schlamm verspritzenden Schweine, fast ohrenbetäubend, aber Hilda warf weitere Apfelstückchen hinunter. „Ja, die schmecken euch bestimmt besser, als die ollen Eicheln“, rief sie laut lachend.

      Sie hatte auch schon einmal eine Eichel probiert, aber die hatte ihr überhaupt nicht geschmeckt. Die war so bitter, dass die Zunge davon richtig stumpf wurde und sie machte: „Brrr, bäää“, als sie daran dachte. Da waren die saftigen Äpfel schon viel besser und sie griff sich gleich zwei Stück, biss sie nur durch und warf die Hälften hinunter zu den Schweinen.

      „Hui“, rief sie und kreischte vor Vergnügen, wie die Schweine, sich gegenseitig rammend und über die Äpfel herfielen. Manche Schweine nahmen sogar Anlauf, um andere weg zu schubsen. Die geschubsten Schweine quiekten jedes Mal so laut, als ginge es ihnen ans Leben.

      Nach und nach warf sie immer mehr durchgebissene Äpfel unter die Schweine und kaute nur noch gelegentlich an einem Bissen. Der Spaß stachelte sie so an, dass sie sich vor Lachen schüttelte. Der Matsch unter ihr spritzte hoch auf, die Schweine quiekten und grunzten, so dass einige Leute aus dem Dorf näher kamen, weil diese Art von Lärm doch etwas absonderlich war und sie wissen wollten, was da los sei. Einen Apfel im Mund und in jeder Hand einen angebissenen Apfel, lag Hilda auf dem großen Ast und lachte. Als sie aber vor lauter Lachen auch noch mit den Füßen zu strampeln begann, verlor sie den Halt. Hilda war zwar ein geschicktes Mädchen, aber mit zwei Äpfeln in der Hand und einem im Mund gelang es ihr nicht mehr, sich auf dem Ast zu halten und plötzlich hing sie kopfüber, an einem Bein herunter.

      Zu spät öffnete Hilda ihre Hände und ließ die Äpfel fallen. Als sie einen Schreckensschrei ausstieß, fiel auch der Apfel aus ihrem Mund, zwischen die quiekenden Schweine. Mittlerweile waren, durch den Lärm, so viele Leute angelockt, dass das halbe Dorf rund um die Eiche versammelt stand und dem ungewöhnlichen Treiben zusah.

      „Schaut mal da oben, dort im Baum hängt Hilda“, rief Fegurd, die Frau vom Bogenbauer. Alle schauten zu Hilda hinauf und begannen zu laut lachen.

      Hilda indes kämpfte verzweifelt, um sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Sie hing immer noch kopfüber, mit nur einem Bein, am Ast. In ihrer Not griff sie mit beiden Händen nach dem festgebundenen Apfelsäckchen und wollte sich daran hoch ziehen, aber – ratsch; die Strippen rissen und Hilda fiel mit all ihren restlichen Äpfeln vom Baum. Mit einem Aufschrei, gefolgt von einem lauten Platschen, fiel Hilda in die Schweinesuhle. Es spritzte gewaltig, die Schweine quiekten ohrenbetäubend und rannten erschrocken, nach allen Seiten auseinander. Nach einem lauten Ooooh, das fast gleichzeitig aus allen Mündern kam, war Stille unter der Eiche. Nur patschende und schmatzende Schweine waren noch zu hören, die sich wieder über die restlichen Äpfel hermachten.

      Nach und nach setzte verhaltenes Geraune und Gekicher ein. Bjolfur, der Bogenbauer, rief belustigt: „Bravo, Hilda, das war Klasse. Kannst du das noch mal machen?“

      Alle lachten über Bjolfurs Scherz und sein Sohn Stufi quiekte mit heller Kinderstimme: „Papa, ich will auch mal, hebst du mich in den Baum?“

      Unter den neugierigen Blicken der Björkendaler war es, als ob der Modder lebendig wurde und Hilda erhob sich aus dem Schlamm. Sie war über und über voller Modder, hustete, spuckte, wischte sich die Augen und schaute nach oben.

      Der Schmerz lies Hilda keuchen und sie hielt sich mit beiden Händen den Bauch. Als sie die lustige Menge um sich herumstehen sah, zog sie einen schmerzvollen Flunsch. Sie fand ihre Situation überhaupt nicht lustig und schon gar nicht, dass sie mit ihrem Missgeschick Mittelpunkt des Spotts der Leute wurde.

      Da rief Stufi auch noch laut: „Hiiie, seht mal, da ist ein Schlammmonster!“

      Ein anderer rief: „Das sieht eher wie ein Sumpftroll aus!“

      Alle lachten auf und einer rief: „Ein Schlammmonster, uuuh, ein Ungeheuer, rennt um euer Leben!“

      Dass Stufi, der Stummel, über sie lachte, machte Hilda erst richtig wütend und sie rannte auf ihn zu, streckte ihre schlammbeschmierten Hände wie Krallen aus und fletschte, gruselig stöhnend, die Zähne.

      Schlagartig verging dem Jungen das Lachen. Er kreischte auf und versteckte sich ängstlich hinter seinem Vater.

      Und wieder lachten die Leute schallend. Irgendwer rief: „Seht, das Monster will Kinder fressen, schnell weg von hier.“

      An dieser Art Spott fand Hilda überhaupt keinen Gefallen mehr, denn ihr taten vom Sturz die Arme und der Bauch weh. Sie war von oben bis unten mit Modder bedeckt und ihr war zum Heulen zumute. Wegen des Spotts kam aber auch Wut in ihr hoch und sie stampfte mit dem Fuß auf, dass der Modder nur so spritzte. Sie rief mit weinerlicher Stimme: „Ihr seid ja alle gemein. Ich bin die Hilda und kein Schlammmonster!“

      Hinter dem Rücken seines Vaters geschützt, meldete Stufig sich wieder: „Die Strumpfhilda sieht aber ganz anders aus. Die kenne ich nämlich.“

      Wieder lachten alle. „Strumpfhilda?“, „das soll Strumpfhilda sein?“

      Diesen Namen Strumpfhilda mochte Hilda schon gar nicht und sie wurde noch wütender, aber sie fühlte sich auch gleichzeitig so hilflos, dass ein Schluchtzer in ihrer Kehle hochstieg. In ihrer Hilflosigkeit und Wut griff sie in den mit Schweinekacke durchmischten Schlamm zu ihren Füßen und warf eine Handvoll nach der anderen in die lachende Menge. Fast wie ein kleiner Trost war es für Hilda, dass die Leute nun aufkreischten und das nun auch nicht mehr lustig fanden.

      Als eine ihrer Matschladungen den kleinen Stufi traf, blieb eine Frau stehen und rief: „Schluss, Leute, das reicht. Hört auf sie zu ärgern. Seht ihr nicht, dass sie jetzt leidet?“

      Es war Gerda, Hildas Tante. „Hilda, komm zu mir. Komm schon Kleine, das ist ja alles nicht so schlimm“ – und Gerda streckte ihre Arme nach Hilda aus.

      Hilda schluchzte auf, stürzte sich in Gerdas Arme und drückte ihren Kopf ganz fest an sie. Gerdas Tochter, Elfa, stand daneben und konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Gerda nahm Hilda an der Hand und zog sie mit. „Komm“, sagte sie, „das kriegen wir schon wieder hin. Du lebst ja noch und deine Arme sind auch noch dran.“ Gerda streichelte Hildas Kopf, dann sah sie an sich hinunter und entdeckte auf ihrem Kleid die moddrigen Spuren von Hildas Umarmung. Sie zog erst erschrocken die Augenbrauen nach oben, doch dann lachte sie wieder und rief den Leuten zu: „Es ist vorbei, geht nach Hause“ – und lief ihrer Tochter und Hilda hinterher.

      Für Hilda wurde der Weg zur elterlichen Hütte unendlich lang, außerdem fand sie den Matsch an ihrem ganzen Körper eklig und dass es in ihren Schuhen bei jedem Schritt schmatzte, fand sie auch ganz schlimm. Überall standen gaffende Leute, die sich vor Lachen die Bäuche hielten.

      Dass Gerda und Elfa sie jetzt an der Hand hielten, ließ Hilda ihr Leid leichter ertragen und ihre Wut verging langsam. An der Hütte angekommen, riss Gerda die Tür auf und rief hinein: „Hilda, komm mal raus, ich bringe dir Arbeit. Haha, und was für welche.“

      Dann schaute sie etwas verdutzt, denn niemand antwortete. Es war niemand zu Hause. Die meisten Männer waren zum Fischen im Fjord und die große Hilda, war dann wohl im Langhaus.

      Als Gerda und Elfa die kleine Hilda wieder weiter zogen, in Richtung Langhaus, konnte Hilda sich nicht mehr halten und begann hemmungslos zu weinen. Gerda tröstete sie so gut sie konnte: „Weine doch nicht mehr. Das lässt sich doch alles beheben. Du wäschst dich und alles ist wieder gut. Im Laufen drückte sie die aufgelöste Hilda immer wieder an sich.

      Wie erwartet, war im Langhaus reges Treiben. Gleich neben dem Eingang stand die große Kornmühle, an der zwei Frauen arbeiteten. Dann sahen sie Hildas Mutter, die in der Nähe einer Feuerstelle


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