Zwei gegen Ragnarøk. Hans-Jürgen Hennig

Zwei gegen Ragnarøk - Hans-Jürgen Hennig


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du wirst gesund. Ich will gleich ein Trank für dich zubereiten, damit das Fieber verschwindet. Hab nur etwas Geduld. Gleich wird es dir besser gehen.“

      Er bedeutete Einurd, dass sie sich neben die Mutter setzen sollte und flüsterte ihr zu: „Warte hier, ich will die Medizin für deine Mutter zubereiten.“

      Einurd nickte mit traurigem Gesicht und setzte sich zur Mutter. Sie hielt ihre Hand und mit der anderen streichelte sie ihre Wange.

      Djarfur stürzte nach draußen und rannte Leif fast um, der mit einem Berg von Gepäck grade in die Hütte wollte. Er riss Leif sein Arzneibündel aus der Hand und befahl ihm ganz aufgewühlt: „Suche Feuerholz. Wir brauchen unbedingt, so schnell wie möglich ein Feuer. Ich geh zum Boot und hole mir den Topf“, dann rannte er los.

      Leif legte das Gepäck ab und schüttelte den Kopf, aber er verstand auch, was in Djarfur vorging. Er hatte alles miterlebt, Djarfurs Wissensdurst, ein guter Heiler zu werden, das Volk der Umayyaden4, ihren Fürsten, die beginnende Liebe zu Saida, das schöne Leben dort am Hofe und letztendlich ihre Flucht, die Djarfur ein Auge kostete. Er suchte mit schnellen Schritten die nähere Umgebung ab, um möglichst trockenes Treibholz zu finden, denn hier wuchs nicht mal ein größerer Strauch. Soweit seine Augen blickten, war hier nur Sand und Gras, das teilweise aber hüfthoch stand.

      Auf dem Uferstreifen, der von den Gezeiten ständig überflutet wurde, fand er jedoch genügend Treibholz und so stapelte er sich damit den Arm voll. Wieder zurück in der Hütte, sah er Djarfur vor seinem Medizinbündel sitzen. Er war dabei einige Kräuter zu mischen. Wegen seiner überragenden Heilkunst war Djarfur überall, wo sie sich längere Zeit aufhielten, ein geachteter Mann gewesen.

      Bei den Umayyaden, wo sie lange Zeit lebten, war Djarfur so etwas wie der Leibarzt des Fürsten, weil er es geschafft hatte, dessen Frau zu heilen, als alle anderen Heiler schon aufgegeben hatten.

      Leif warf das Brennholz neben die Feuerstelle und begann das Feuer zu entfachen. Er wusste, dass er Djarfur jetzt nicht stören durfte und sah sich nach dem Topf und Wasser um. Als der Topf endlich über dem Feuer hing, ging er wieder hinaus, um noch ihr restliches Gepäck aus dem Boot holen. Djarfur mischte Blüten mit verschiedenen Kräutern und machte daraus einen Aufguss. Er hoffte, dass er damit wenigstens Saidas Fieber senken konnte. Sonst wusste er sich keinen Rat mehr, wie er ihr noch helfen konnte. Seine geliebte Saida wurde Tag für Tag weniger und er merkte voller Schmerz, wie das Leben aus ihr entwich.

      Soviel er auch nachdachte, weder eine Ursache für ihre Erkrankung noch ein Mittel gegen diese Krankheit fielen ihm ein. Wie eine eiskalte Hand griff die traurige Erkenntnis nach seinem Herzen. Er prüfte die Wärme des Trankes mit seinen Lippen und setzte sich neben Saida.

      Wieder sahen ihn Einurds große Augen so voller Hoffnung an, dass er nicht mehr wusste, wie er reagieren sollte. Er küsste seine Tochter auf die Stirn, hob dann sachte Saidas Kopf und flößte ihre behutsam den Trank ein. Im Stillen bat er Freya um Hilfe: „Freya, bitte, gib ihr Kraft, lass sie nicht sterben. Alle meine Schätze will ich für ihr Leben geben.“

      Saida trank und ihr fiebriger Blick suchte sein Auge. Ein dankbares Lächeln huschte über ihr Gesicht, das auch jetzt noch im Fieber wunderschön war. Ihre Hand berührte ihn leicht, so zart, dass Djarfur glaubte, ein Schmetterling berühre ihn dort. Er stellte vorsichtig den leeren Becher ab und sah, dass Saida sofort wieder einschlief.

      Es durchlief ihn eine heiße Welle, gemischt aus Zärtlichkeit und Trauer.

      Einurd blickte zu ihm auf, als wollte sie etwas sagen, da konnte er nicht anders, als sie ganz fest in seine Arme zu schließen. Lange hielt er sie so und wusste, dass er seine Hoffnungslosigkeit irgendwie unterdrücken musste, auch wenn sie so unendlich schmerzte. Einen Augenblick später polterte Leif, mit Gepäck beladen, in die Hütte, warf alles auf einen Haufen und brummelte: „Ich möchte nur wissen, wo wir hier gelandet sind. Ich verwette mein gutes Schwert, dass es dieses Land hier gar nicht gibt. So nahe vor unserer Küste gab es doch nie eine Insel. Wenn wir gegessen und geschlafen haben, werden wir morgen früh bestimmt sehen, wo wir uns befinden. Ich hoffe ja, dass sich dann mal die Sonne zeigen wird. Dieses graue Dämmerlicht macht mich ganz krank, aber vielleicht können wir auch heute Nacht die Sterne sehen und unseren Kurs neu bestimmen.“

      Dann begann er in dem Gepäck nach dem Proviant zu suchen. Das Strohlager war groß genug und so fanden sie alle Platz, sich nach dem Essen dort zur Ruhe zulegen. Kaum dass Djarfur auf dem Stroh lag, fuhr er wieder hoch und kroch im Halbdunkel an Saidas Seite. Ihm war, als hätte sie ihn gerufen. Er beugte sich über sie und legte eine Hand auf ihre Stirn. Das Fieber schien gesunken zu sein, denn sie fühlte sich nicht mehr so glühend heiß an. Im Schein des Feuers sah er, dass Saida ihre Augen weit geöffnet hatte und die Lippen bewegte. Er beugte sich tiefer um sie besser verstehen zu können, so dass sie sein Ohr leicht berührten.

      „Djarfur, mein Liebster“, und er spürte ihre Hand an seiner Wange. Neue Hoffnung wollte schon in ihm aufkeimen und er streichelte ihr Haar, da fiel ihre Hand zurück und im Feuerschein sah er, ihren Blick leer werden. Er versuchte ihrem Atem zu lauschen, ihren Herzschlag zu spüren – vergeblich. Djarfur war erschüttert; der Kämpfer, der starke Krieger schluchzte und seine Schultern zuckten wie bei einem weinenden Kind. „Saida, meine Liebste, bitte komm zurück.“

      Seine Hände griffen unter ihren Kopf und hoben etwas an. Leicht wie eine Feder war sie in seinen Armen. Als er sein Gesicht an sie drückte, liefen heiße Tränen aus seinem Auge. So hielt er sie eine lange Zeit, bis er sie sanft zurücklegte, weil Einurds Hand nach ihm griff.

      „Was ist mit Mutter, ist sie tot?“

      Djarfur umarmte Einurd und brauchte dabei all seine Kraft, um seine Trauer nicht in einem Schrei herauszulassen. Leif hatte wohl mitbekommen, was geschehen war und hockte sich neben die beiden. Mit belegter Stimme fragte er: „Ist sie gegangen?“

      Djarfur nickte, stand auf und ging nach draußen. Unendliche Leere breitete sich in ihm aus, unendliche, schwarze, abgrundtiefe Leere, die ihn über den steinigen Strand taumeln ließ.

      Ohne dass es ihm bewusst wurde, ging er zum Boot und suchte dort in der Ladung herum, bis er ein kleines Fass mit Bier fand. Ihn beherrschte jetzt nur noch ein Wunsch: Nichts mehr zu empfinden, nichts mehr zu denken. Mit diesen Gedanken im Kopf, ließ er sich in einer Ecke der Hütte nieder, öffnete das Fass und trank. Vom vielen Bier benebelt, schlief er endlich über seine Trauer ein.

      Djarfur erwachte, als ob irgendwer ihn geweckt hätte. Er stand jedoch mutterseelenallein auf dem Strand dieser verfluchten Insel; kein Leif war mehr da und Einurd war auch nicht zu sehen. Nur diese elende Hütte war noch da.

      So stand er verlassen in dieser Ödnis und hörte nicht einmal mehr das Meeresrauschen; kein Möwenschrei, kein Wind – nichts – Totenstille.

      Djarfur dachte nach: „Irgendetwas stimmte hier nicht, er war doch nicht alleine hier. Wo waren Einurd und Leif?“

      Weiter kam er mit seinen Gedanken nicht, denn plötzlich, wie aus dem Nichts, standen drei Frauen vor der Hütte, drei Frauen ohne bestimmbares Alter, ohne ein wirkliches Gesicht und eingehüllt in dunkle Tücher.

      Ihm wurde es so unheimlich, wie noch nie in seinem Leben. Dabei war er doch nie ein Angsthase gewesen.

      Unvermittelt begannen die drei Weiber zu wispern und er lauschte sie zu verstehen. Es war unheimlich, weil sie sprachen, ohne den Mund aufzumachen.

      Djarfur schluckte. Er spürte, wie sich die Haare im Nacken aufstellten und schlagartig wusste er, wer diese Frauen waren. Es waren die drei Nornen5, die Schicksalsfrauen.

      Diese Frauen mit ihren Fischglotzaugen, die er bisher nur aus den Geschichten seines Volkes kannte, begannen einen monotonen Singsang und er begriff: „Es gab sie wirklich, diese Nornen.“

      Ihr Singsang, dessen Worte er nicht wirklich hören konnte, ging irgendwie direkt in seinen Kopf.

      Ihre Melodie war monoton und einschläfernd.

      Jetzt begannen sie ihre Worte zu wiederholen, Worte in so merkwürdiger Aussprache, dass er Mühe hatte, ihren Sinn zu begreifen. Dazu malten sie mit den Händen Figuren in


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