Sturmzeit auf Island. Susanne Zeitz

Sturmzeit auf Island - Susanne Zeitz


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(1955)

      Sohn David (1985)

       Sagas Linie

      Saga (1917-1997) ~ Carlson (1917-1976)

      Tochter Katla (1938)

      Tochter Hekla (1939-1963)

      Hekla ~ Magnus

      Tochter Kristin (1956)

      Sohn Olaf (1963)

      Kristin ~ Carl (1954)

      Sohn Leifur (1980)

      PROLOG

       Akureyri 1937

      Das Schiff verlässt die Bucht. Ein weißer Fleck, der immer mehr zum kleinen, hellen Punkt wird, bis er sich in der weiten Ferne des Atlantischen Ozeans auflöst.

      Ob Gustav an der Reling gestanden und an sie gedacht hat?

      Saga kauert auf dem Felsvorsprung zwischen Gräsern und Moos überzogenen Lavasteinen. Sie kneift die Augen zusammen und wischt sich ungeduldig die Tränen weg, die ihr der raue Wind in die Augen treibt.

      Nein, Saga macht sich nichts vor. Er stand zwar dort, doch er winkte nicht ihr, sondern seiner frischvermählten Frau zu. Seine Gedanken wanderten sicher noch einmal zurück zu dem Tag, an dem er Sigrún in der kleinen Holzkirche in Akureyri sein Jawort gegeben hatte.

      Warum nur hat er Sigrún und nicht sie geheiratet? Saga presst ihre Hand auf ihr wild klopfendes Herz.

      Wenn er sich für sie entschieden hätte, dann müsste er jetzt nicht allein übers Meer fahren, dann würde sie neben ihm stehen, würde ohne jegliches Bedauern einen letzten Blick auf Hafen und Stadt werfen. Saga wäre mit ihm nach Dänemark gereist, hätte seine Heimat kennen und lieben gelernt. Einmal dort angekommen, hätte es sie nicht mehr zurück in die Kargheit der Heimat gezogen. Kleider aus edlen Seidenstoffen, zierliche Stiefelchen aus glänzendem Leder, Theater, Museen und Tanztees. Das wäre schnell Sagas Welt geworden. Doch die da unten war seine Frau geworden. Die, die ihn nun nicht einmal begleiten kann, weil sie, wie erzählt wird, schwanger sei und die lange Schifffahrt nicht vertragen würde.

      Saga schickt einen hasserfüllten Gedanken zu der Frau am Hafen, ihrer ehemaligen Busenfreundin, die ihr den Mann gestohlen hat.

      Der Wind zerrt stärker an ihren Haaren und beißt ihr kalt ins Gesicht. Sie erhebt sich, seufzt tief und begibt sich auf den Heimweg. Es macht keinen Sinn mehr, noch länger hier zu stehen und auf das Meer zu starren.

      Die Liebe ihres jungen Lebens ist weg. Geblieben sind Traurigkeit, Wut und Hass.

      Was sie nicht weiß: Das Schiff wird seinen Heimathafen in Dänemark nie erreichen, wird ihre Liebe mit sich auf den Meeresgrund ziehen, wird die junge Sigrún als Witwe und das ungeborene Kind als Halbwaise zurücklassen.

      Einzig Sagas Eifersucht und Hass werden fortbestehen und Früchte tragen.

      KAPITEL 1

       Elin 2017

      Der Alptraum ist zurückgekehrt.

      Ausgerechnet ihre Tochter Julia hat ihm die Tür geöffnet.

      Elin schlägt die Bettdecke zurück, steht leise auf, um Michael nicht zu wecken, und tritt ans offene Fenster.

      Es ist eine dunkle Nacht, ohne das tröstliche Funkeln der Sterne und das milde Licht des Mondes. Aus dem Garten ertönt das heisere Rufen eines Käuzchens, von Ferne sind zwölf dumpfe Schläge der Kirchturmuhr zu hören, ansonsten Stille.

      Sie seufzt unwillkürlich laut auf, hält sich jedoch sofort die Hand vor den Mund und horcht auf Michaels tiefe Atemzüge.

      Jahrzehntelang war es ihr gelungen, die Erinnerungen auf dem Grund ihrer Seele verborgen zu halten, gleich einem festverschnürten Paket. Nun hat ihre Tochter begonnen, die Paketschnur durchzuschneiden und das Packpapier zu entfernen.

      Elin wischt sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Zu den dunklen Gedanken gesellt sich eine drückende Schwüle, die das Schwere, das auf ihrer Seele lastet, verstärkt. Ein gleißender Blitz durchtrennt plötzlich die Dunkelheit und taucht für einen Moment Bäume und Sträucher in ein fahles, grünliches Licht.

      Kurz darauf ein ohrenbetäubender Donnerschlag.

      Elin zuckt erschrocken zusammen und tritt hastig vom offenen Fenster zurück.

      „Kannst du auch nicht schlafen?“ Michael tritt hinter sie.

      „Mir gehen so viele Dinge durch den Kopf“, erwidert sie, lehnt sich an ihn und legt ihren Kopf an seine Brust. Der kräftige, gleichmäßige Schlag seines Herzens beruhigt sie.

      Mittlerweile folgt Blitz auf Donner. Ein böig auffrischender Wind bläht die weiße Gardine wie ein Segel.

      „Der Disput mit Julia?“

      Elin nickt und seufzt.

      „Du solltest endlich mit ihr reden.“

      „Ich kann nicht!“

      „Wie willst du ihr sonst deine heftige Reaktion von gestern Mittag erklären?“

      Elin schüttelt eigensinnig den Kopf und tritt wieder ans Fenster. Das Gewitter hat sich entfernt und einem leichten Sommerregen Platz gemacht. Eine Windböe fährt ihr ins Gesicht. Sie atmet tief die gereinigte, kühle, nach Ozon riechende Luft ein.

      „Ich kann nicht darüber sprechen, schon gar nicht mit Julia.“

      „Meinst du nicht, dass gerade sie ein Recht auf die Wahrheit hätte? Es ist schließlich auch ihre Geschichte. Du könntest sie aufschreiben, vielleicht fällt es dir auf diese Art leichter.“

      „Lass mich, bitte!“ Elin nimmt das breite Wolltuch, das über der Stuhllehne hängt, und wirft es sich über die Schultern. Sie streift mit einer sanften Berührung seine Hand ab und verlässt das Schlafzimmer.

      „Es tut mir leid“, murmelt sie.

      Michael weiß aus Erfahrung, dass es jetzt keinen Wert hat, weiter mit ihr zu diskutieren. Jetzt verkriecht sie sich wieder in ihrem Schneckenhaus und verwehrt jedem den Eintritt.

      Michael lauscht ihren leichten Schritten, mit denen sie die Treppe hinuntereilt. Seine schöne, geheimnisvolle Frau. Mit einem Seufzer kehrt er ins Bett zurück.

      Elin geht ins Wohnzimmer und kauert sich in den großen Ohrensessel, der vor dem Kamin steht. Ihr Lieblingsort, wenn sie nachdenken oder sich entspannen möchte.

      Stille und Dunkelheit, die nur durch sanftes Rauschen des Sommerregens und fernes Wetterleuchten durchbrochen werden.

      Sie weiß, dass sie endlich mit ihrer Tochter sprechen muss, doch sie kann nicht. Sie hat Angst vor dem grauen Schleier, der sich sofort wieder auf ihrer Seele niederlässt, sobald sie der Vergangenheit die Tür öffnet.

      Doch vielleicht hat Michael recht, und es wäre leichter, die Geschichte niederzuschreiben? Vielleicht könnte sie auf diese Weise das Vergangene verarbeiten und dann endgültig hinter sich lassen?

      Doch wann beginnt ihre Geschichte eigentlich?

      Hat sie nicht bereits ihren Ursprung viel, viel früher, als die kleine Elin noch gar nicht geboren war? Gibt es nicht immer Geschichten vor den Geschichten? Schicksalsfäden, die von früheren Generationen bis ins jetzige Leben hineingesponnen sind? Großmutter, Mutter, Kind und Enkelin?

      Elin fröstelt und zieht den Schal enger um die Schultern. Sie kennt den roten Faden, der die Frauen ihrer Familie miteinander verbindet, hat in ihrer Kindheit immer wieder Bruchstücke aufgeschnappt, die ihr wie vergiftete Brotstückchen hingeworfen wurden. Von Saga, Katla, den Nachbarn. Als Kind die Bedeutung noch nicht verstehend, doch die Seele verletzend.

      Trollenkind.

      Sie lacht schmerzhaft auf. Wie


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