Hans Weigel. Wolff A. Greinert
den Fendrich gewertet hat und, und, und …
Wie kann einer, der das innere Erleben des Schauspielers nie selbst mitgemacht hat – wie kann der in seinem Buch Masken, Mimen und Mimosen die Seele des Schauspielers so aufblättern? Wie kann er wissen, was ewig gültig ist? Er hat extrem abgelehnt, aber auch extrem gejubelt, wenn ihm etwas gefallen hat. Aber ich glaube nicht, dass es unser Zueinander auch gegeben hätte, wenn er weiterhin Kritiken geschrieben hätte. Ich hätte das nicht ausgehalten. Dabei war er ein außergewöhnlicher, aber auch schwieriger Partner. Ich bin nicht in allen Dingen seiner Meinung gewesen, teilte durchaus nicht alle seine Ansichten: Wenn er zum Beispiel in aller Öffentlichkeit äußerte, was ihm in der heimischen Kulturlandschaft missfiel, hätte ich in einem Mauseloch verschwinden gemocht. Ein Beispiel von einigen: Bürgermeister Helmut Zilk lud viel Prominenz zu Hans Weigels 80. Geburtstag ins Rathaus ein. Am Ende seiner Geburtstagsrede zu dem neben ihm stehenden Jubilar: „Lieber Hans, wir freuen uns, dass wir dich ehren können, und zeigen dir jetzt, was für ein Geschenk wir für dich haben.“ Er drehte sich um, nahm ein großes Bild, drehte es nach vor: eine große Radierung des Burgtheaters von Luigi oder Robert Kasimir. Hans übernahm das Bild, bedankte sich, sagte nicht nur, welche Ehre das für ihn sei, sondern fügte noch hinzu, dass er diesem Bild in dem Moment einen Ehrenplatz geben würde, da Peymann nicht mehr Burgtheaterdirektor sein werde. Dass mir in diesem Augenblick das Herz stillstand, kann ich erwähnen, denn wenn der Hund aus dem eigenen Haus bellt und beißt, ist das nicht so angenehm.
Am nächsten Tag war für ihn eine Feier im Unterrichtsministerium. Ich flehte ihn an, Ähnliches wie am Vortag nicht mehr in der Öffentlichkeit zu sagen. Mich beruhigte er, aber in seiner Rede kam er darauf zurück: „Gestern habe ich etwas gesagt, das ich heute bestärken muss. Ich habe das Recht zu sagen: Wenn ein Burgtheaterdirektor nicht das Wort Chance sagt, sondern Schangse, dann gehört er zurück nach Bochum und hat hier nichts zu suchen!“ Konkret wehrte sich Weigel gegen die Beschimpfung und Verfolgung verdienter Schauspieler durch Peymann, dagegen, dass „der Burgtheaterdirektor negative Kritiken damit quittiert, dass er den Kritikern das Götzzitat schriftlich anschafft“. Danach ist Hans gleich zum Auto hinuntergelaufen, um zu hören, ob und was im Mittagsjournal darüber berichtet wurde. Strahlend – wie ein kleiner Giftzwerg – kam er zurück: Nicht nur in diesem Mittagsjournal, sondern jahrelang war Peymanns „Schangse“ ein geflügeltes Wort in den Medien, am Theater, in den Kabaretts. Niemand konnte ihn richtig einordnen: in seiner Liebe, seinem Zorn, seiner Zuneigung, seiner Ablehnung, seiner Zurückhaltung, seinen Beschimpfungen, seiner Großzügigkeit, seiner Härte, seinem Fleiß, seiner Schweigsamkeit, seinen offenen Armen, seiner Verschlossenheit, seinem Sarkasmus, seiner Hilfsbereitschaft, seinem Verstehen, seiner Wärme, seiner Kälte, seiner Unnachgiebigkeit, seiner Verlässlichkeit, seinem Wissen, seiner Kraft … Und das alles in zehnfacher Ausführung. Nicht normal verteilt, sondern von allem ein bisserl mehr. Und immer arbeitend. Nicht von früh bis abends, sondern von Anfang bis zur letzten Stunde.
Mir hat er auch beigebracht, dass das Leben ganz mit dem gefüllt sein muss, zu dem man bestimmt ist. Er hat mich geführt, geleitet, mir gesagt, was falsch und richtig ist. Durch das Zusammenstellen und Finden meiner Duett- und Soloprogramme hat er mir eine zusätzliche Dimension als Diseuse verliehen. Er hat mir viel mitgegeben, zum Beispiel Mut zum Entscheiden. Ich durfte durch Hans viele Persönlichkeiten kennenlernen, hatte Begegnungen mit großen Kolleginnen und Kollegen, die ich ihm zu verdanken hatte. Er wurde anerkannt und so öffneten sich Türen für mich. Ich weiß, dass er mich bewusst geführt hat, um mir Werte mitzugeben, um mir Erinnerungen zu schenken: Er hat mir die Anna Freud gezeigt und die Lotte Lehmann, ich durfte dem Erich Fried begegnen und der Christine Busta – seine Freunde wurden zu meinen. Es ergab sich eine enge Bindung zu Marlen Haushofer und zu Hermann Friedl. Mit Arthur Miller und Inge Morath habe ich Kaffee getrunken. Franz Nabl, Paula Grogger, Julian Schutting, Georg Kreisler, Paul Flora, Pavel Kohout, Gottfried von Einem, Paul Burkhard, von vielen Burki genannt, und Lotte Ingrisch zählten durch Hans auch zu meinem Bekannten- und Freundeskreis – und natürlich nicht zu vergessen Heimito von Doderer und Viktor Frankl. Gerhard Fritsch, Hertha Kräftner, Wolfgang Kraus, Herbert Zand, Jörg Mauthe und viele andere Autorinnen und Autoren kamen dazu. Wir waren, als zu ihm gehörig, bei den großen Abenden von Karl Böhm in Salzburg. Immer wieder das Alban Berg Quartett. Hans zeigte mir die Bachmann, die in seinem Leben der End-Vierzigerjahre eine große Rolle gespielt hat.
Elfriede Otts Lieblingsbild
Er hat mich zum Rilke-Stein in Sils Maria geführt, wir waren mit der geliebten Lilly Sauter am Grab von Georg Trakl. Ich habe mit Elias Canetti geplaudert, wir haben den Herbert Eisenreich besucht. Ich war einmal im Haus von Susi Nicoletti, wo zu Ehren der Knef eine Party veranstaltet wurde – eine so ausgefallen schöne Frau und ein reizender Mensch. Sie wusste, dass ich Chansons singe, und hat mich plötzlich aufgefordert, mit ihr zu kommen. Wir gingen in einen Raum, wo der große Tisch voll mit Noten war – sie sagte: „Nimm dir, was du willst, such dir was aus für deine Programme, ich schenk dir alles.“ Und das durch ihn! – Natürlich immer wieder sein Freund noch aus der Schweizer Emigration: Fritz Hochwälder. Dabei zeigte er eine ständige Präsenz für alle, die ihn brauchten, denn er war ein Mensch ohne Egoismus. Ob böse oder gut: immer für die Sache oder den Menschen seiner Überzeugung. Nie für sich.
Erwähnen muss ich seinen „fünfeinhalbten Sinn“, wie er es nannte. Dieser Über-Sinn war eine sehr starke prophetische Begabung. Sie spiegelt sich auch in seinen Romanen und frühen Texten. Dort kann man oft Stellen finden, die in der Zeit ihrer Entstehung grausam und allzu abwertend geklungen haben mussten. Aber heute weiß man: Er hatte recht, als hätte er es gerochen, vieles ist so eingetreten, wie er es geschrieben hat. So konnte man sich auch auf seine Voraussagen verlassen, die mit Bestimmtheit vorgetragen wurden. Seine Prognosen, Entwicklungen betreffend, waren stets sicher.
Ich könnte lange fortsetzen mit den Bereicherungen meines Lebens, die ich durch Hans erfahren habe. Er hat mir seine Gegenwart und seine Vergangenheit für meine Zukunft geschenkt. Solange er lebte, konnte ich mir ein weiteres Leben ohne ihn nicht vorstellen, denn ich wusste nicht, dass es möglich ist, an einen Menschen so gebunden zu sein. Dabei konnte er selbst glücklich sein. Aber nicht über Dinge, die andere Menschen glücklich machen. Immer nur über Momente, in denen anderen, die ihm wichtig waren, etwas geglückt war.
Jeder Mensch hat Schattenseiten, auch er! Zum Beispiel seine Strenge, die Unpünktlichkeitsneurose, die durch nichts zu beeinflussen war. Verzweifelte Besucher mussten umdrehen und weggehen, ohne mit ihm gesprochen zu haben, weil sie die vereinbarte Zeit nicht genau eingehalten hatten oder nicht einhalten konnten. Zum Beispiel kam ein Chefredakteur einer bekannten deutschen Zeitung aus Hamburg extra zu einem Interview nach Maria Enzersdorf. Er kam verspätet, weil das Flugzeug Verspätung hatte. Hans ließ ihn nicht ins Haus. Wie ungerecht in vielen Fällen, wie hart. Fast wie eine Krankheit. Grundlose Härte. Gekränkte Menschen. Unnachgiebige Strenge. Während einem seiner Vorträge hustete eine Frau ständig. Er hat sie hinausgeschmissen! Im Alter milderte sich das dann. Auch habe ich nie verstanden, wenn er etwas behauptete, ohne seine Gründe dafür anzugeben, ohne aufzuklären. Kämpfe standen wir deswegen aus. Bewusst wollte er provozieren. Er behauptete Dinge, stellte sie in den Raum, ohne den Beweis dafür anzutreten, ohne das Warum zu erklären, aus welchem Grund er diese oder jene Ansicht vertrat.
Er besaß einen prophylaktischen Hass auf Apparate. Er erwartete sozusagen die Funktionsuntüchtigkeit von Aufnahmegeräten der Interviewer; er bebte schon im Vorhinein vor Wut auf ein sicher nicht funktionierendes Mikrofon. Sein Zorn übertrug sich auf alle armen Leute, die die Anlagen bedienten. Dieser Zustand wurde immer ärger. Dieser Zustand wurde zu einer Mikro-Neurose. Das ging so weit, dass er mitten in einem Vortrag das Auditorium sitzen ließ und fortging, weil ständig einer gekommen war, das Mikrofon zu richten. Er fühlte sich gestört, konnte das nicht ertragen. Er war „fehlersüchtig“, weil falsche Sachen immer weiter falsch weitergegeben und zitiert werden, weil Fehler sich vervielfachen.
Er wurde seiner Ansichten wegen oft beschimpft; jeder andere an seiner Stelle hätte sich dagegen verwahrt, er ist lächelnd dort gesessen und ließ alles über sich ergehen. Ich hätte es so nicht ertragen können. Er hat sich aber auch über