Die Weisheit der Götter. Rupert Schöttle

Die Weisheit der Götter - Rupert Schöttle


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Gegner ebenbürtig ist.“

      Und einen solchen hatte er bis zu seinem Tod nicht gefunden, denn wer wagt es schon, sich mit einer Institution anzulegen?

      FRAGEN AN PIERRE BOULEZ

       Wenn Sie die Möglichkeit hätten, mit irgendeinem Komponisten, ob tot oder lebendig, einen Abend zu verbringen, mit wem wollten Sie sich treffen und was würden Sie ihn fragen?

      Lieber würde ich einen Schriftsteller oder Maler treffen. Das wäre für mich interessanter. Wenn ich etwa Monteverdi treffen würde, was könnte ich mit ihm besprechen?

       In welcher Zeit hätten Sie als Komponist am liebsten gelebt?

      In der Gegenwart.

       Auf der Bühne entfernt man sich immer mehr vom Urtext, während man sich im Orchestergraben diesem immer mehr nähert. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

      Die Musik ist viel präziser als der Text, den man auf vielfältigere Art interpretieren kann. Als Regisseur hat man viel mehr Freiraum als ein Musiker. Wagner etwa hat die Handlung aus seiner Zeit heraus gesehen, während seine Musik außerhalb der Zeit steht.

       Seit dem 20. Jahrhundert besteht das Konzertprogramm zu 90 Prozent aus Musik schon längst verstorbener Komponisten. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Begründung dafür?

      Dieses Problem herrscht schon eine lange Zeit. Schon Berlioz hat in seinen Memoiren beklagt, dass in Paris immer derselbe Beethoven und dieselben Werke von konservativen Komponisten gespielt würden, weil man gegenüber den Neuigkeiten nicht aufgeschlossen war. Bereits im 19. Jahrhundert hat man wegen des historischen Bewusstseins viel mehr Musik der Vergangenheit gespielt, weil die gegenwärtige Musik so individuell geworden war. Es gab schon immer einen Abstand zwischen dem neu Geschaffenen und dem bereits Akzeptierten. Das ist dasselbe wie in der Malerei. Die Impressionisten etwa, die heute überall gefeiert werden, waren in ihrer Zeit keineswegs angesehen.

       Es gibt immer mehr sehr gute Orchester und immer weniger herausragende Dirigenten. Woran liegt das?

      Das ist eine Frage der Persönlichkeiten – und der Genetik.

       Welche gesellschaftliche Aufgabe hat die Musik in der heutigen Zeit?

      Die Musik hatte bis zu Mozarts Zeiten, in der Kirche wie auch in der Gesellschaft, die Aufgabe der Unterhaltung. Jetzt ist sie leider eine elitäre Kultur geworden, die für viele nicht notwendig ist. Das liegt an der Erziehung, bei der die Kultur immer mehr vernachlässigt wird. Zudem hat die Kirche keinen Einfluss mehr auf die Musikkultur, wodurch diese nur mehr für eine Konzertgesellschaft relevant ist, die nur eine kleine Gruppe im Vergleich zur Bevölkerung bildet. Deshalb sollte man sich viel mehr um die kulturelle Erziehung kümmern, damit unsere Nachfahren erkennen können, wie wichtig die Kultur für das Leben ist.

       Wären Sie kein Dirigent geworden, welchen Beruf hätten Sie ergriffen?

      Keinen, weil ich keine andere Begabung habe.

       Welcher Dirigent ist Ihr Vorbild und warum?

      Es gibt kein Dirigentenvorbild für mich. Ich bin ja ziemlich spät zum Dirigieren gekommen, und als ich jung war und eigentlich bis heute, steht für mich im Konzert nicht der Dirigent im Vordergrund, sondern das Werk.

       Was war Ihr bewegendstes Musikerlebnis?

      Es sind immer die Jugenderlebnisse, die wichtig sind, weil man zum ersten Mal etwas Bestimmtes gehört hat. Ich bin in einer kleinen Stadt aufgewachsen, wo es kein Orchester gab. Erst als Student habe ich zum ersten Mal ein Orchesterkonzert erlebt, was ein großes Erlebnis war. Auch meine ersten Opern, die ich gehört habe, Die Meistersinger von Nürnberg und Boris Godunow, waren für mich eine ganz neue Welt. Diese ersten Eindrücke sind unwiederholbar.

       Womit verbringen Sie am liebsten Ihre Freizeit?

      Mit Dingen, bei denen ich mich geistig erfrische: Ich gehe spazieren, lese oder gehe in Ausstellungen.

       Was hören Sie in Ihrer Freizeit?

      Nichts.

       Sind Interpretationsschemata dem Zeitgeist unterworfen?

      Sicher. Wenn man etwa Furtwänglers Beethoven-Interpretationen hört, bemerkt man sehr stark den Einfluss von Wagner. Wenn man heutige Aufnahmen damit vergleicht, die von der Erfahrung mit der Barockmusik gekennzeichnet sind, ist das ein ganz anderer Gesichtspunkt. Wobei beides legitim ist. Es gibt für mich keine Authentizität. Das ist reine Fantasie.

       Welche Art von wissenschaftlicher Forschung würden Sie unterstützen?

      Jede Forschung, die nicht dem Kriege dient, obwohl unsere Kultur sehr oft davon profitiert hat. All die Fortschritte, die nach dem Krieg in der Wissenschaft gemacht wurden, waren zuerst für diesen entwickelt.

       Würden Sie noch einmal geboren, was würden Sie anders machen?

      Nichts. Vielleicht würde ich die Zeit zwischen Komponieren und Dirigieren besser aufteilen.

       Welche drei Dinge würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?

      Nur Notenpapier. Um in Ruhe zu komponieren.

       Welches Motto steht über Ihrem Leben?

      Keines. Das wäre eine Verpflichtung. Ich möchte frei sein. Schließlich ändert sich das Leben, und deshalb möchte ich auch immer mein Motto ändern können.

      DER THEATERMACHER

      CHRISTOPH VON DOHNÁNYI

      * 8. September 1929, Berlin

      Es gehört schon ein gerüttelt Maß an Idealismus dazu, neben der musikalischen Leitung eines Opernhauses gleichzeitig noch dessen Intendanz zu übernehmen.

      Schließlich trägt man in so einem Fall nicht nur die künstlerische Gesamtverantwortung für ein Theater, sondern muss sich auch ständig um die mühsamen administrativen Belange kümmern. Zudem hat man einen viel schwereren Stand bei seinen musikalischen Mitstreitern, weil man sich nicht als Anwalt des künstlerischen Personals gegenüber der Direktion profilieren kann. Doch Christoph von Dohnányi kümmerte all das nicht. Er war viel zu neugierig, um sich von solchen Vorbehalten abschrecken zu lassen, und ging dieses Risiko sogar gleich zweimal in seinem Leben ein. Zu groß erschien ihm die Verlockung, im damals noch reichlich verstaubten deutschen Musiktheater etwas bewegen zu können.

      Möglicherweise ist die Ursache für ein solch außergewöhnliches Verantwortungsbewusstsein in seiner Biografie zu finden. Zwar hatte der hochintelligente Spross einer prominenten Familie – sein Onkel war der Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer – schon frühzeitig mit dem Klavierspiel begonnen und mit fünf Jahren seine ersten Kompositionen zu Papier gebracht. Doch mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs fand der Junge kaum mehr die notwendige Muße, zumal sein Vater Hans, eine entscheidende Figur im Widerstand gegen Hitler, 1943 von der Gestapo verhaftet und zwei Jahre später im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet wurde.

      Nachdem er trotz dieser außergewöhnlichen Belastung bereits mit 16 Jahren das Abitur bestanden hatte, strebte er zunächst eine Juristenkarriere an. Denn er war sich dessen bewusst, dass er durch die schicksalhaften Zeitläufte viel zu wenig Zeit gehabt hatte, sich so intensiv mit der Musik auseinanderzusetzen, wie es zur professionellen Ausübung notwendig gewesen wäre. Dennoch gab er nach vier Semestern seiner eigentlichen Neigung nach, verbrachte er doch inzwischen mehr Zeit mit dem Komponieren als mit seinem eigentlichen Studium. So


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