Die böse Macht. C. S. Lewis
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Das einzige Mal, als ich Gast am Bracton College war, überredete ich meinen Gastgeber, mich für eine Stunde allein in den Wald gehen zu lassen. Er entschuldigte sich dafür, dass er mich dort einschließen musste.
Nur wenige Leute hatten Zutritt zum Bragdon-Wald.
Das Tor von Inigo Jones war der einzige Eingang. Eine hohe Mauer umschloss den Wald, der etwa eine viertel Meile breit und von Westen nach Osten eine Meile lang war. Wenn man von der Straße kam und sich durch das College dorthin begab, hatte man das starke Gefühl, allmählich zu einem Allerheiligsten vorzudringen. Zuerst ging man über den kahlen, kiesbedeckten Newton-Hof; überladene, aber schöne georgianische Gebäude blicken auf ihn herab.
Dann kam man durch einen kühlen, tunnelartigen Gang, der selbst zur Mittagszeit beinahe dunkel war, es sei denn, zur Rechten stand die Tür zum Speisesaal oder zur Linken die Tür zum Vorratsraum offen und gewährte flüchtige Blicke auf gedämpftes Tageslicht an dunkel getäfelten Wänden oder ließ einem den Duft nach frischem Brot um die Nase wehen. Am Ende dieses Tunnels fand man sich im mittelalterlichen College wieder: im Säulengang des viel kleineren, so genannten Hofes der Republik. Nach der Kargheit des Newton-Hofs sieht das Gras hier sehr grün aus, und selbst der Stein, aus dem die Säulen sind, wirkt weich und lebendig. Die Kapelle ist nicht weit, und von oben hört man das raue, schwerfällige Werk einer mächtigen alten Uhr. Dieser Säulengang führt vorüber an Grabplatten, Urnen und Büsten, die an verstorbene Mitglieder des Kollegiums von Bracton erinnern; dann führen flache Stufen hinab ins helle Tageslicht des Lady-Alice-Hofs. Die Gebäude links und rechts stammen aus dem siebzehnten Jahrhundert, bescheidene, fast anheimelnde Häuser mit Fenstern in den bemoosten, schiefergrauen Dächern. Eine freundliche protestantische Welt, die an Bunyan oder an Waltons Leben denken lässt. Auf der vierten Seite des Lady-Alice-Hofs, derjenigen, auf die man blickt, gibt es keine Gebäude: nur eine Reihe Ulmen und eine Mauer. Und hier hört man zum ersten Mal Wasser fließen und Wildtauben gurren. Die Straße ist mittlerweile so weit entfernt, dass keine anderen Geräusche zu hören sind. In der Mauer befindet sich eine Tür. Sie führt in einen überdachten Gang mit schmalen Fenstern auf beiden Seiten. Blickt man durch diese hinaus, so stellt man fest, dass man über eine Brücke geht und unter einem das dunkelbraune, gekräuselte Wasser des Wynd herfließt. Nun ist man dem Ziel sehr nahe. Durch eine Pforte am anderen Ende der Brücke gelangt man auf den grünen Kricketrasen der Dozenten. Dahinter erhebt sich die hohe Mauer des Waldes, und das Tor von Inigo Jones gewährt einen Blick in sonnenbeschienenes Grün und tiefe Schatten.
Ich glaube, allein schon die Einfriedung verlieh dem Wald einen Teil seiner eigenartigen Stimmung, denn sobald etwas umschlossen ist, betrachten wir es gern als etwas Besonderes. Als ich über die stillen Rasenflächen ging, hatte ich das Gefühl, erwartet zu werden. Die Bäume standen gerade so weit auseinander, dass man in der Ferne ein lückenloses Laubdach sah, doch die Stelle, an der man stand, schien immer eine kleine Lichtung zu sein; umgeben von einer Schattenwelt, ging man im milden Sonnenschein. Bis auf die Schafe, die das Gras kurz hielten und gelegentlich ihre langen, einfältigen Gesichter hoben, um mich anzustarren, war ich ganz allein; doch es war eher die Einsamkeit eines sehr großen Raumes in einem verlassenen Haus als das ganz normale Alleinsein im Freien. Ich weiß noch, dass ich dachte: »Dies ist einer der Orte, die man als Kind entweder fürchtet oder sehr liebt.« Und einen Augenblick später: »Aber allein – wirklich allein – ist jeder ein Kind. Oder niemand?« Jugend und Alter berühren nur die Oberfläche unseres Daseins.
Eine halbe Meile ist ein kurzer Spaziergang. Dennoch schien es lange zu dauern, bis ich in die Mitte des Waldes kam. Ich wusste, dass es die Mitte war, denn hier befand sich das, weswegen ich eigentlich hergekommen war. Es war eine Quelle, eine Quelle, zu der Stufen hinabführten und die eingefasst war von den Überresten eines alten, schlecht erhaltenen Steinpflasters. Ich betrat es nicht, sondern legte mich ins Gras und berührte es mit den Fingern. Denn dies war das Herz von Bracton oder vielmehr des Bragdon-Waldes. Dies war der Ursprung aller Legenden, und auf Grund dieses Ortes, so vermutete ich, war das College einst hier gegründet worden. Die Archäologen stimmen darin überein, dass das Mauerwerk der Fassung aus der späten britisch-römischen Zeit, kurz vor der angelsächsischen Invasion stammt. Wie der Wald von Bragdon mit dem Rechtsgelehrten Bracton zusammenhängt, ist ein Rätsel, aber ich denke, dass die Familie der Bradons sich eine zufällige Ähnlichkeit der Namen zu Nutze machte, um glauben zu können oder weiszumachen, sie habe etwas damit zu tun. Wenn die Legenden nur zur Hälfte der Wahrheit entsprachen, dann war der Wald viel älter als das Geschlecht der Bractons. Heute würde vermutlich niemand Strabons Geografika viel Bedeutung beimessen, aber im sechzehnten Jahrhundert veranlasste dieses Werk einen Rektor des Colleges zu der Bemerkung, dass »wir selbst in der ältesten Überlieferung von keinem Britannien ohne Bragdon wissen«. Doch es gibt ein mittelalterliches Lied, das uns ins vierzehnte Jahrhundert zurückführt:
In Bragdon, als der Abend fiel,
erlauscht’ ich Merlins Saitenspiel
und hörte Singens und Sagens viel.
Das mag genügen als Beweis, dass die Quelle mit der britisch-römischen Einfassung bereits ›Merlins Brunnen‹ war, auch wenn dieser Name erst zur Zeit der Königin Elizabeth auftaucht, zu der Zeit, da der wackere Rektor Shovel den Wald mit einer Mauer umgab, »um allem profanen und heidnischen Aberglauben zu wehren und das gemeine Volk von allerlei Lustbarkeit, Maienspiel, Tanz, Mummenschanz und dem Backen von Morganbrot abzubringen, wie es ehedem bei der voller Stolz ›Merlins Brunnen‹ genannten Quelle Brauch war und als eine Verquickung von Papismus, Heidentum, Liederlichkeit und nichtswürdiger Narretei entschieden zu verwerfen und zu verabscheuen ist«. Nicht dass das College damit sein eigenes Interesse an dem Ort aufgegeben hätte. Der alte Doktor Shovel, der beinahe hundert Jahre alt wurde, war kaum in seinem Grab erkaltet, als einer von Cromwells Generälen, der es für seine Aufgabe hielt, »Haine und heilige Stätten« zu zerstören, einige Soldaten ausschickte, um die Landbevölkerung für dieses fromme Werk zu gewinnen. Es wurde dann doch nichts daraus, aber mitten im Bragdon-Wald kam es zu einem Streit zwischen dem College und den Soldaten, wobei der höchst gelehrte und gottesfürchtige Richard Crowe auf den Stufen des Brunnens von einer Musketenkugel niedergestreckt wurde. Niemand würde Crowe des Papismus oder des Heidentums bezichtigen, doch der Überlieferung zufolge waren seine letzten Worte: »Wahrlich, ihr Herren, wenn Merlin, der Sohn des Teufels, ein treuer Gefolgsmann des Königs war, ist es dann nicht eine Schande, dass ihr, die ihr nur Hundesöhne seid, Rebellen und Königsmörder sein müsst?« Und durch alle wechselnden Zeiten hindurch hatte jeder Rektor von Bracton am Tag seiner Wahl feierlich einen Schluck Wasser aus Merlins Brunnen getrunken mit dem großen Becher, der auf Grund seiner Schönheit und seines Alters Bradons größte Kostbarkeit war.
An all dies dachte ich, als ich bei Merlins Brunnen lag, dem Brunnen, der sicherlich aus Merlins Zeit stammte, wenn es jemals einen wirklichen Merlin gegeben hatte; als ich da lag, wo Sir Kenelm Digby eine ganze Sommernacht gelegen und eine seltsame Erscheinung gehabt hatte; wo der Dichter Collins gelegen und George III. Tränen vergossen hatte; wo der brillante und viel geliebte Nathaniel Fox drei Wochen vor seinem Tod in Frankreich das berühmte Gedicht verfasst hatte. Die Luft war so still und das Laubwerk über mir bauschte sich so üppig, dass ich einschlief. Ich wurde von meinem Freund geweckt, der mich von ferne rief.
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Die umstrittenste Frage bei der Sitzung des Kollegiums war der Verkauf des Bragdon-Waldes. Käufer war das N.I.C.E., das ›National Institute of Co-ordinated Experiments‹. Diese bemerkenswerte Organisation suchte ein Grundstück für das Gebäude, das sie angemessen beherbergen sollte. Das N.I.C.E. war die erste Frucht jener konstruktiven Verbindung zwischen Staat und Wissenschaft, auf die so viele nachdenkliche Menschen ihre Hoffnungen auf eine bessere Welt setzen. Es sollte frei sein von möglichst allen lästigen Einschränkungen – Bürokratismus war der Ausdruck, den seine Anhänger gebrauchten –, die die Forschung in diesem Lande bisher gehemmt hatten. Auch war es weitgehend frei von ökonomischen Zwängen, denn ein Staat, so argumentierte man, der täglich viele Millionen für einen Krieg ausgegeben hatte, konnte sich in Friedenszeiten gewiss ein paar Millionen im Monat für produktive Forschung leisten. Das geplante Gebäude hätte