Der Tag des Schmetterlings. Jens Böttcher

Der Tag des Schmetterlings - Jens Böttcher


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Sie, Herr Griesbach“, sagte Bergmann zu ihm und brachte so die Situation auf diese Weise sofort wieder ins Gleichgewicht. „Herzlichen Glückwunsch ... also, wirklich ...“

      Der EC 306 kam quietschend am Dortmunder Hauptbahnhof zum Stehen. Daniela stand kurz auf, schaute sich im Gang um, ob vielleicht ein Kollege in der Nähe war, und nahm dann wieder Platz. Alle schauten sie an.

      „Ich ... na ja, ich wollte nur mal schauen, ob alles seine Ordnung hat ...“

      „Machen Sie ruhig noch ein bisschen weiter Pause, Frau Kurtz“, sagte Herr Bergmann mit dem beruhigenden Tonfall eines väterlichen Freundes. „Sie haben es sich wirklich verdient. Und es wird heute schon kein betrügerischer Schwarzfahrer dabei sein ...“

      Daniela lehnte sich zurück und entspannte sich. Sie wollte tatsächlich nichts lieber, als auf diesem Platz zu bleiben. Eine so schöne Fahrt hatte sie schon lange nicht erlebt. Sie genoss es einfach. Normalerweise hätte sie natürlich ein ganz schlechtes Gewissen gehabt, aber heute war das alles irgendwie anders.

      Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Herr Bergmann wandte sich wieder Herrn Meier zu. Er hatte jetzt für einen Moment etwas Spitzbübisches.

      „Siehst du, genau, wie ich gesagt habe. Gar nichts passiert!“

      Dann lehnte er sich zufrieden lächelnd in seinen Sitz zurück und reckte die Arme in die Höhe.

      „Ach, herrlich so eine Zugfahrt, finden Sie nicht?“

      Er schaute Hertha an, die für ihre Verhältnisse nun geradezu lieblich zurücklächelte und nickte.

      Nun schien sich Herr Meier abermals zu Wort zu melden. Bergmann drehte seinen Kopf wieder zu ihm und hörte ihm aufmerksam zu.

      „ Ja, ich weiß, dass du möchtest, dass ich Fräulein de la Roché das sage, aber das kann ich doch nicht einfach so tun. Nein, verzeih mir, dass ich dir da so vehement widerspreche, aber du musst doch zugeben, dass das, na, sagen wir mal, etwas delikat ist, oder?“ Bergmann begann zu flüstern. Natürlich konnten trotzdem alle hören, was er sagte: „ Ja, das denkst du vielleicht! Nein, und wenn du dich auf den Kopf stellst, das tue ich nicht!“

      Alle schwiegen. Bergmann schaute nun etwas verlegen an die Decke des Abteils und ließ seinen Blick über die Gepäcknetze schweifen. Dabei summte er unbeholfen.

      Jasmin de la Roché schaute ihm dabei zu. Sie schaute ihn nämlich schon seit seinem kleinen Zwiegespräch mit Herrn Meier herausfordernd an und wusste genau, dass er wusste, dass sie es tat. Schließlich trafen sich ihre Blicke. Herr Bergmann war das Ganze offensichtlich sehr peinlich.

      „Entschuldigen Sie bitte Herrn Meier, verehrtes Fräulein de la Roché“, sagte er leise.

      Sie allerdings nahm den herausfordernden Blick nicht von ihm und entließ ihn so nicht aus seinem Erklärungsnotstand.

      Bergmann versuchte ein Ablenkungsmanöver.

      „Sagen Sie, ist das eigentlich Ihr richtiger Name?“

      „ Ja“, presste Jasmin mit beinahe komplett zusammengedrückten Lippen heraus. Und immerhin war das ja auch nur halb gelogen, denn sie hieß tatsächlich Jasmin. De la Roché war natürlich ein Künstlername. Das klang einfach besser als Wiedemann.

      Und sie wollte es schließlich zu etwas bringen.

      Jasmins Tonfall verriet indes, dass sie nicht auf Small Talk aus war. Sie wollte jetzt endlich wissen, was Herr Meier so dringend zu wissen begehrte.

      „Es ist ... recht schönes Wetter heute ... also draußen ... also jedenfalls ... dann, wenn es nicht dauernd regnet ...“, stotterte Bergmann und versuchte weiter, sich aus der heiklen Situation zu befreien.

      Da stupste Herr Griesbach ihn an. Mit dem rechten Zeigefinger, direkt aufs Knie.

      „Nun fragen Sie doch ruhig ... so schlimm kann es ja nun auch wieder nicht sein ...“, sagte er ermunternd.

      Bergmann schaute sich Hilfe suchend um und wirkte dabei wie ein kleiner Junge, der gerade von seinen Kameraden aufgefordert wird, absichtlich mit einem Fußball eine Schaufensterscheibe zu zerschießen. Jasmin de la Roché starrte ihn von rechts weiter selbstbewusst an.

      Daniela Kurtz, Hertha und Herr Griesbach waren längst viel zu neugierig, um auf seiner Seite zu sein. Und von Herrn Meier war in diesem Fall natürlich erst recht keine Hilfe zu erwarten.

      Bergmann seufzte.

      „Na gut, aber nur, wenn Sie mir versprechen, hinterher nicht mich, sondern Herrn Meier dafür verantwortlich zu machen. Ich möchte betonen, dass ich Sie das nicht gefragt hätte, verehrtes Fräulein.“ Jetzt wurde er noch etwas lauter: „Und zwar nie im Leben!“

      „Also bitte“, sagte Jasmin de la Roché mühsam beherrscht. Sie wollte es jetzt endlich hören.

      Bergmann sammelte Mut.

      „Also schön. Herr Meier möchte gerne wissen ... es sind genau genommen nämlich zwei Dinge ...“

      „Und zwar?“, sagte Jasmin ungeduldig, denn sie mochte es nun endgültig nicht länger abwarten.

      „Also“, sagte Bergmann. „Das erste ist ... ob es vielleicht möglich sein kann, dass Herr Meier Sie schon mal im Fernsehen gesehen hat?“

      Jasmin lächelte erleichtert.

      „Das war’s schon?“ Aus ihrem Lächeln wurde ein Lachen. „ Ja, das kann sogar sehr gut sein. Ich bin nämlich Schauspielerin.“

      Nun zögerte sie.

      Dass sie nur ganz gelegentlich ein paar schlecht bezahlte Nebenrollen in dämlichen Vorabend-Seifenopern und billigen Gerichtsshows hatte, konnte sie natürlich nicht zugeben. Dafür hatte sie viel zu lange gekämpft und zu sehr an ihrer Fassade gearbeitet. Der Tag heute, dieses Casting für den Spielfilm in Köln, ja, der konnte endlich alles verändern. Aber bislang war die beste Rolle, die Jasmin je gehabt hatte, die ihres eigenen Wunschbildes.

      Sie überspielte den Moment der inneren Unruhe mit einem selbstsicheren Lachen.

      „Und das Zweite? Die wirklich heikle Frage?“, säuselte sie und betonte dabei das Wort heikel bewusst erotisch.

      „Also, ich glaube, das kann ich nicht“, sagte Herr Bergmann eingeschüchtert.

      „Nun geben Sie sich schon einen Ruck, mein Lieber“, sagte Hertha Griesbach aufmunternd und gab ihm einen koketten Stupser, wieder ans rechte Knie.

      „Es ist dieser bezaubernde Duft ...“, kam es Bergmann endlich über die Lippen. Dabei schloss er genießerisch die Augen und atmete tief ein.

      „Wir beide ... also Herr Meier und ich haben es gleich bemerkt, als Sie hereinkamen ...“

      Alle Mitreisenden lächelten erleichtert und verständnisvoll. Natürlich fand niemand die Frage wirklich schlimm oder zu indiskret. Jedenfalls nicht mehr. Vor zwei Stunden wäre das vielleicht noch etwas anderes gewesen. Auch Jasmin lächelte weiter.

      „Sie wollten also die ganze Zeit bloß wissen, welches Parfum ich benutze? Das ist alles?“

      Sie ließ sich mit einem übertriebenen Ruck in den Sitz fallen und lachte lauthals. Die anderen ließen sich anstecken und fielen in das Gelächter mit ein. Auch Richard Bergmann lachte nun erleichtert mit.

      Nachdem etwa eine Minute des Lachens und Kicherns vergangen war, sammelten sich die Fahrgäste wieder.

      „ Jil Sander“, sagte Jasmin.

      Es entstand ein ganz kurzer Moment des erwartungsvollen Schweigens.

      „ Jil Sander ... oh, ja, das riecht auch wirklich wundervoll ...“, sagte Bergmann, als wäre er nicht recht verstanden worden, „aber ... also ... das ist nicht der Duft, den Herr Meier meinte ...“

      Das Lächeln auf den Gesichtern verblasste. Jasmin schaute ihn fragend an.

      „Wie bitte?“

      „Also, bitte verstehen Sie


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