Die Invasion der Barbaren. Christian Demand

Die Invasion der Barbaren - Christian Demand


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      Reihe zu Klampen Essay

       Herausgegeben von

       Anne Hamilton

      Christian Demand, Jahrgang 1960, studierte Philosophie und Politikwissenschaft in München, wo er 1996 promoviert wurde. In den neunziger Jahren arbeitete er als Musiker und Komponist, anschließend als Hörfunk-Journalist beim Bayerischen Rundfunk. Nach seiner Habilitation im Jahre 2003 war er Gastprofessor für Philosophie an der Universität für Angewandte Kunst Wien, von 2006 bis 2012 hatte er den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg inne. Seit 2012 ist er als Nachfolger von Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel Herausgeber der Kulturzeitschrift »Merkur«. Im zu Klampen Verlag ist von ihm erschienen: »Die Beschämung der Philister. Wie die Kunst sich der Kritik entledigte« (2003) und »Wie kommt die Ordnung in die Kunst?« (2010).

      CHRISTIAN DEMAND

       Die Invasion der Barbaren

      Warum ist Kultur eigentlich immer bedroht?

      Inhalt

       Cover

       Titel

       Zum Autor

       Vorwort

       Projekt Weltrettung: Kunstpädagogik im Höhenrausch

       Kritik der Kritik der Kritik: ein metadiagnostischer Zwischenruf in eigener Sache

       Demokratische Kirmes und die Sehnsucht nach der Tiefe

       Das Leben selbst: Kunst, Medien, Wirklichkeit

       Ästhetischer Puritanismus: die Angst vor dem Kontrollverlust

       Die Invasion der Barbaren: Weshalb ist Kultur eigentlich immer bedroht?

       Die Wir-Maschine: Museum und Erbengemeinschaft

       Epilog: endgültige Beantwortung der Frage »Könnten Sie sich vorstellen, einen Katalogtext für mich zu schreiben?«

       Nachweise

       Impressum

       Fußnoten

      IM Dezember 1772 wandte sich der Maler Sir Joshua Reynolds, Präsident der Royal Academy in London, mit einer feierlichen Ansprache an die versammelten Studenten, die der alljährlichen Verleihung der Akademiepreise entgegenfieberten. Die Botschaft des hochangesehenen Porträtisten an den aufstrebenden Nachwuchs fiel nicht sehr ermunternd aus. Mit der Malerei, murrte Reynolds verdrießlich, gehe es bekanntlich schon seit langem nur noch bergab. So wie er die Lage beurteile, sei es eher unwahrscheinlich, dass sie jemals wieder das hohe Niveau eines Raffael oder Michelangelo erreichen werde. Dennoch könne es die Akademie auch künftig keinem jungen Künstler ersparen, diese unerreichbaren Vorbilder hingebungsvoll zu studieren und zu kopieren, um ihnen auf diese Weise wenigstens so nahe wie möglich zu kommen. Man kann sich die betretenen Mienen der Anwesenden vorstellen.

      Heutige Kunststudenten würden sich derartige Thesen vermutlich überhaupt nicht erst anhören. Schon seit mehr als 100 Jahren gilt die Vorstellung, daß man als Künstler irgend etwas durch die mühselige Nachahmung tradierter Formen oder das Befolgen akademischer Regeln zu gewinnen habe, geradezu als abwegig. Zwar existieren Kunstakademien nominell noch immer, doch deren Präsidenten legen in der Regel großen Wert auf die Feststellung, daß Studenten dort nicht mit der Aufarbeitung der Vergangenheit gequält, sondern in völliger Freiheit zu »assoziativem, surrealem, alogisch vernetztem Denken« angeleitet würden. Das ist nur konsequent, hat die Moderne doch dereinst mit aller Tradition gebrochen, und zwar ein für allemal. So jedenfalls steht es heute in den Schulbüchern: Romantiker, Realisten, Impressionisten, Kubisten, Dadaisten, Surrealisten etc., deren Werke heute den Stolz der Museen der westlichen Welt ausmachen, hätten in keiner Akademie ihrer Zeit reüssiert, während die Produktion, die dort geschätzt wurde, heute bestenfalls in den Depots verschimmelt. Die künstlerischen Leitwerte Innovation, Individualität, Originalität haben sich also offensichtlich bewährt. Wer es als Künstler zu etwas bringen will, muß folglich in erster Linie »authentisch sein«, wie es im Branchenjargon so schön heißt, und »eine eigene Position entwickeln«.

      Die Argumentation ist bestechend. Sie wirft allerdings die Frage auf, woran man eigentlich eine »eigene Position« erkennt. Daran, daß sie innovativ, originell und damit unverwechselbar sei, ist als Antwort leider unbefriedigend. Genau das hätten die etablierten Größen des akademischen Zeitalters für ihre Arbeit nämlich ebenso in Anspruch nehmen können und zwar zu Recht. Auch der traditionsgläubige Reynolds war in seinem Fach innovativ und dabei in höchstem Maße originell und unverwechselbar. Auf der anderen Seite warfen sich ausgerechnet so programmatische Modernisten wie die italienischen Futuristen, die in ihren Manifesten mit vollen Backen zur totalen Revolte gegen alle Tradition geblasen hatten, mit zähem Fleiß auf das erztraditionelle Feld der Tafelbildmalerei und stürmten damit direkt in die erztraditionellen Museen, deren augenblicklichen Abriss sie noch kurz zuvor energisch gefordert hatten. Originalität ist also offenbar kein geeigneter Indikator für den Wert künstlerischer Produktion – nichts ist leichter, als eine »eigene Position« zu entwickeln.

      Andererseits aber ist, wie jeder Künstler weiß, zugleich auch nichts schwerer. Auf jeder beliebigen zeitgenössischen Biennale oder Kunstmesse wird dem Besucher vorgeführt, wie schnell der Anspruch auf unbedingte Originalität implodiert. Das liegt nicht etwa an mangelnder individueller Begabung, sondern zunächst einmal an der schieren Menge. Selbst dem professionell geschulten Auge verschwimmt der größte Teil der Exponate schon nach kurzer Zeit zu einem bunten Einerlei. Und das ist keineswegs nur eine Ermüdungserscheinung. Es hängt vielmehr damit zusammen, daß die zahllosen »eigenen Positionen«, mit ihren subtilen konzeptuellen Nuancen und formalen Verwerfungen, so singulär und unverwechselbar gar nicht sind. Auf der Jagd nach unbedingter Originalität ist die Kunst der Moderne nämlich längst zu dem geworden, was sie niemals sein wollte: zu einem Spiel mit Überbietungen und Wiederholungen, sprich: zu einer Tradition. Das klingt wie eine schlechte Nachricht, ist aber vermutlich gar keine. Zur Zeit Reynolds’, als die Salonausstellung der Pariser Akademie europaweit das Maß aller Dinge war, hingen die Gemälde dort in jedem Saal zu Hunderten eng gedrängt bis unter die Decke. Porträts, Landschaften, Schäferszenen, Seestücke, Schlachtengemälde – die unterschiedlichsten Genres bunt durcheinandergemischt, große neben kleinen Formaten, Dezentes neben Schreiendem, Meisterhaftes neben Mißratenem, berühmte Namen neben Anfängern. Schon damals überboten sich die Künstler in der Herstellung von Unverwechselbarkeit. Schon damals lautete die Klage der Besucher, es gebe nichts Originelles mehr zu sehen. Und schon damals ging der Betrieb weiter.


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