Hasenrein eingemiezelt. Kathrin Dittmer
Leichte Beute
Neulich habe ich sie gesehen. Ganz früh in der Dämmerung. Leicht geduckt schnürte sie auf die Ligusterhecke zu, die Amsel fest im Maul. Von mir nahm sie kaum Notiz, nur die leicht zurückgelegten Ohren deuteten Unwillen an.
Wir waren beide auf dem Heimweg, die Katze und ich. Beute hatte ich nicht gemacht, es sei denn eine monatliche Gehaltsüberweisung kann als solche gelten. Und wesentlich müder als die Mieze war ich gewiss. Akkumulative Prozesse können belastend sein, egal, was man anhäuft. Ich schichte Müdigkeit. Die sedimentiert an mir zu einem kalkigen Gebilde, das ich als mein verschwommenes Selbst herumschleppe.
Neulich, in einer Besprechung, saß ein netter junger Mann neben mir. Er war windgezaust und vergnügt, weil man zwei wenig effektive Stunden erwarten durfte. Ich gestand, dass es mir genauso ginge. Früher hatten mich langwierige Besprechungen unruhig gemacht, heute nehme ich alles dankbar hin, wenn es nur eine gewisse Einförmigkeit birgt. Es wirkt – so stellten wir beide fest – nicht nur ein permanentes Kommunikationsgewitter auf uns ein, ein Artilleriefeuer der Zurufe, sondern irrerweise sind wir diesem Beschuss bereits vollständig erlegen. Und müssten doch eigentlich tot sein. Und sind es aber nicht, sondern werden nur schon etwas durchsichtig an den Rändern.
Aus Notwehr stellen sich manche jedoch tot. Aber das ist auch keine Lösung. Damit lässt man sich alles nehmen. Denn die gefährliche Spezies, die unnachgiebigen Knechte der Zeitzerhackung, tritt immer noch fest auf und schwingt gern mal die Peitsche. Es ist »Die Frau, die alles im Griff hat«. Am Früstückstisch, ihr gegenüber, sitzt ihr Gefährte, »Der Mann, der nicht versteht, wo das Problem liegt«. Diese Spezies ist nicht direkt extraterrestrisch, aber immer konsequent auf dem falschen Dampfer, hat die lieben langen 24 Stunden des Tags im Plan, zu allem eine Meinung und hinkt jeder Entwicklung zwei Jahre hinterher. Wir verdanken ihr den Börsengang der Bahn, die Wiedereinführung der Fünzig-Stundenwoche ohne Lohnausgleich, Tablettenmissbrauch, die Tütensuppe und Gehwegplatten zwischen den Miniazaleen auf Omas Grab. Vielleicht auch Atomkraft und Gürtelrose.
Aber die Herrschaft der Zeithacker wird nicht ewig dauern. Die Natur wird überwuchern, was wir ihr entwunden haben und alles entschleunigen. Wir müssen uns einfach nur sehr, sehr langsam bewegen. Viel gähnen und Gedichte lesen. Auswendig lernen. Horchen. Nichts tun. Das wirkt energetisch zurück. Bis Nebel aufsteigt und das Gewitter verklingt. Der frühe Vogel endet im Maul der späten Jägerin. Ungerührt zwitschern die Rotkehlchen.
2012
Wenn der warme Wind das Fell zaust
Immer wenn ich mir eine Weltanschauung zurechtgelegt habe, muss ich sie gleich wieder verwerfen. Gut so.
Denn schön ist es vielmehr, die Sichtweise so oft wie möglich zu wechseln. Vielleicht sogar vorübergehend ein Kaninchen zu sein, vorzugsweise an einem angenehmen Frühlingstag, wenn ein warmer Wind das Fell zaust und alles Raubzeug schon satt ist. Metamorphose nicht als Einbahnstraße, sondern hin und her, wie und wohin man gerade möchte. Ja, natürlich, das lässt sich schlecht mit regelmäßigen Verpflichtungen verbinden. Es ist ja auch bloß eine Phantasie, ein alter Traum von multipler Existenz und vom Mythos der Gestaltwandlung.
Von Ferne betrachtet, brauchen wir das nicht, solange wir fühlen können. Wir sind Teil des Ganzen und es reicht, in die Welt hinaus zu blicken. Von sich weg. Das bekannte buddhistische Rätsel löst, wer im Spiegelkabinett sitzt und auf die Frage, was er sieht, antwortet: »Nichts.« Nicht, weil seine Existenz nichtig wäre. Nein, weil er einfach da ist und von sich aus nach außen schaut und es da gerade nichts zu sehen gibt.
Die Anschaffung einer Weltanschauung hingegen ist heikel und lässt sich am besten mit der Anschaffung einer Küchenmaschine vergleichen. Man hat alles zum Thema Häckseln, Raffeln und Rühren parat, aber es ist zu aufwendig, wegen einer Salatgurke oder einem Pfund Quark, die Maschine aus dem Schrank zu nehmen, aufzustellen und dann zu reinigen. Die Küchenmaschine dient hauptsächlich der Vergegenwärtigung von Gewichtigkeit, Lärm und Befähigung in der eigenen Küche. So auch die Weltanschauung. Dabei geht nichts über ein wirklich scharfes und handliches Messer. Und man wusste das, hat aber trotzdem die teure Maschine gekauft, um endlich kompetenter zu sein. Am besten, man lässt sie im Schrank und spricht nicht mehr von ihr.
Nun gibt es Leute, die haben die Weltanschauung nicht im Schrank, sondern benutzen sie täglich. Das ist gefährlich. Weltanschauungen legt man sich nämlich ausschließlich aus Erschöpfung zu, leichterhand und allzu oft als menschliche Reife bezeichnet. (Auch eine Küchenmaschine wird gerne erworben, wenn man schon alles hat!) Eine einzige Weltanschauung ist aber, solange man lebt, hinderlich, es sei denn, man wäre lieber tot. Allen, die gerne davon reden, man solle seinen Platz in der Welt finden, möchte ich an dieser Stelle zurufen: Immer schön wechselhaft! Der einzige Platz, den wir je belegen werden, ist recht klein und unspektakulär und sollte nur eingenommen werden, wenn man wirklich schon tot ist.
2012
Da nich’ für!
In diesen Tagen ist es en vogue, sich von etwas zu distanzieren, in dessen Nähe man sich nie befunden hat. Nun will man ja keinem verwehren, sich zur eigenen Verortung zu äußern. Aber wäre es nicht schlauer – und irgendwie auch weniger geräuschvoll – seinen Standpunkt zu benennen als seine multiplen Nicht-Standpunkte?
Noch schlimmer und wesentlich weniger unterhaltsam finde ich, von anderen zu verlangen, dass sie auf Distanz zu etwas gehen, von dem sie weit entfernt sind. Ha, werden Sie jetzt denken, es ist klar, worauf das hinausläuft. Und Sie haben Recht: Ich bin nicht bereit, mich vom Terrorismus zu distanzieren. Wie sollte ich da auch auf mehr Distanz gehen? Da müsste ich schon die Galaxie wechseln. Wäre ich muslimischen Glaubens, dürfte ich das gar nicht schreiben, nicht wahr? Schrecklich.
Aber wäre ich Muslim und fühlte ich mich genötigt, mich vom Terror zu distanzieren, würde sich garantiert irgendjemand dafür bei mir bedanken. Auch schrecklich. Es ist in diesen Tagen nämlich genauso Mode, sich öffentlich zu bedanken. Auch mir wurde neulich bis zum Abwinken gedankt. Mit ungefähr 24.999 anderen Menschen war ich auf einer Demonstration. Mein Eindruck war, die meisten waren wie ich da, weil sie Meinungsfreiheit wichtig finden. Nun gut, manche trugen Banner gegen Intoleranz. Das ist lieb, bringt aber nicht viel, denn gegen Dummheit ist kein Kraut gewachsen. Lieber öfter mal für ein konkretes politisches Ziel eintreten, das rührt zwar den Bundespräsidenten nicht so, ist aber effektiver. Dennoch verstehe ich, dass man auch mal in der Innenstadt zeigen möchte, dass man sich nicht zu den Bekloppten und Bescheuerten zählt. So folgte auch ich bereitwillig dem Aufruf verschiedenster Gruppierungen. Die Aufrufer hatten wohl nicht mit solchem Andrang gerechnet und so standen wir überwiegend demonstrativ. Das machte ja nichts. Was mich aber doch störte, war, dass sich vom Rednerpodium herab dauernd einer bei uns bedankte. Wie ein Firmen-Jubilar seinen Angestellten dankt. Auch bedankte man sich, für meine demokratische Gesinnung. Die habe ich aber nicht zu Gefallen der Politik, Kirche oder Gewerkschaft. Die habe ich einfach von mir aus. Ich wusste auch gar nicht, dass ich auf deren Feier war. Ich dachte, es wäre eine gemeinsame – ja, Demonstration. Sozusagen Einigkeit für Recht und Freiheit. Einfach so.
Ich hege seitdem einen schlimmen